Kein Platz für Memmen

Von Florian Bogner
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© Getty

München - Sonntagnachmittag wäre wirklich der perfekte Zeitpunkt für einen ausgeprägten Stadtspaziergang durch London. Vorbei am Big Ben und den Houses of Parliament, hoch zum Buckingham Palace und danach noch ein kleiner Abstecher durch den Hyde Park.

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Überaus viele Menschen werden einem wahrscheinlich nicht begegnen. Denn am Sonntag ist "Super Sunday" in England, die Top-Vier Klubs des Landes treffen in der Premier League aufeinander und die ganze Nation, nach dem blamablen EM-Aus der Nationalmannschaft auf den Vereinsfußball manisch fixiert, wird in den Pubs oder zuhause vor dem Fernseher sitzen.

Den Auftakt machen der FC Liverpool und Manchester United, danach geben sich der FC Arsenal und der FC Chelsea (14.30 Uhr und 17 Uhr im SPOX-LIVE-TICKER, bei Premiere und im Internet TV) die Ehre. Und alle Beteiligten sind sich sicher: An diesem Sonntag könnte bereits eine kleine Vorentscheidung im Titelrennen fallen.

"Wenn du eine Memme bist, bist du tot"

Bereits im letzten Jahr gab das Spiel der Reds gegen ManU den entscheidenden Impuls zur Meisterschaft der Red Devils. Mit einem späten Tor durch John O'Shea siegten die Gäste mit 1:0 und marschierten danach schnurstracks zum 16. Meistertitel. 

"Der Sieg an der Anfield Road hat uns damals einen Riesenschub gegeben. Er hat uns gezeigt, dass wir reif für den Titel sind", erinnert sich ManU-Stürmer Louis Saha an den 29. Spieltag der vergangenen Saison zurück. "Dieses Jahr spielen wir dort zwar weit früher in der Saison, aber es gibt uns wieder genau die gleiche Chance zu zeigen, wie stark wir sind."

Trainer Sir Alex Ferguson hat schon mehr Derbys erlebt als die meisten seiner Spieler Jahre auf dem Buckel haben. Dennoch ist das Duell mit dem Reds immer noch was ganz besonderes für ihn. "Es ist egal, in welcher Situation die Teams gerade stecken, dieses Spiel ist immer etwas ganz anders", sagte Ferguson.

"Jeder sieht den anderen als den Erzfeind an. Die Liverpool-Fans sind ein großer Faktor, besonders gegen United. Man muss ein Mann sein, um in dieser Atmosphäre zu bestehen. Wenn du eine Memme bist, bist du tot." 

Queiroz schwärmt von "Adler" Torres

Mit nur einem Punkt hinter Spitzenreiter Arsenal hat ManU die Tabellenführung vor Augen. Allerdings ist Liverpool in dieser Saison stärker einzuschätzen, meint Superstar Wayne Rooney: "Es ist ein wichtiges Spiel für uns, vielleicht sogar das wichtigste der Saison. Es wird zwar nicht die Meisterschaft entscheiden, aber mit einem Sieg könnten wir uns einen Vorsprung erarbeiten."

Manchesters Co-Trainer Carlos Queiroz warnt jedoch vor Liverpools neuem Sturmjuwel Fernando Torres, der immer besser in Form kommt. "Ich bin sehr beeindruckt von ihm. Er hat einfach alles im Blick, er ist wie ein Adler", schwärmte der Portugiese dieser Tage: "Er erkennt Räume und ist sofort da, egal ob mit Ball oder ohne. Er kann seinen Gegenspieler ausspielen, Räume schaffen, auf Zeit spielen. Er ist ein Spieler, der Liverpool unberechenbar macht."

Er sei nun bereits seit fünf Jahren in England und habe Liverpool zu diesem Zeitpunkt der Saison noch nie so stark erlebt. "Sie haben eine gute Balance im Team, sind konstanter in ihren Leistungen und haben ein paar sehr gute Ergebnisse erreicht. Und sie haben Spieler wie Torres", gibt Queiroz zu bedenken.

Benitez will Missverständnisse klären

Auf der Gegenseite steht Trainer Rafael Benitez weiter auf dem Prüfstein. Mit unglücklichen Aussagen in Richtung der neuen Klubeigentümer George Gillett and Tom Hicks hat er sich selbst unter Druck gesetzt, zudem liegt Liverpool in der Meisterschaft mit sieben Punkten Rückstand wieder mal nur auf Platz vier, was der Partie gegen Manchester erneut einen Alles-oder-Nichts-Charakter gibt.

Nach dem Spiel stehen Gespräche mit den beiden Amerikanern an - unschwer zu erraten, dass ein Sieg gegen den Erzrivalen Benitez' Position ungemein festigen würde. Vor dem Spiel bemüht sich der Spanier um Deeskalation. "Wir hatten ein paar Meinungsverschiedenheiten, aber auf professionellem Level. Wenn wir uns treffen und miteinander reden, dann wird sich das sicher als einfaches Missverständnis aufklären", ist sich der 47-Jährige sicher. 

Grant fest im Sattel

Keine Missverständnisse mit seinem Vorgesetzten Roman Abramowitsch hat anscheinend Chelsea-Coach Avram Grant. Zunächst nur als Zwischenlösung nach Jose Mourinhos Rücktritt gesehen, hat sich der Israeli an der Stamford Bridge etabliert und bekam in dieser Woche einen Vierjahresvertrag vorgelegt, den er ohne Zögern unterschrieb.

Die schlechten Leistungen der ersten Wochen sind vergessen, mit mittlerweile 16 Pflichtspielen ohne Niederlage kommt der Panzer Chelsea so langsam wieder ins Rollen. Grund genug, um vor dem Stadtduell mit dem Spitzenreiter Kampfansagen an die Konkurrenz zu schicken.

Cech: "Wir holen auf"

Die heiße Meisterschaftsphase beginne jetzt, meinte Keeper Peter Cech, der seinen Muskelfaserriss in der Wade pünktlich zum Spitzenspiel auskuriert hat. "Ich behaupte nicht, dass schon alles gelaufen ist, wenn man nach Weihnachten auf Platz eins steht. Aber man hat dann die Hinrunde hinter sich und ist dem Titel ein gutes Stück näher. Bis Neujahr kann sehr viel passieren", meinte der Tscheche.

Seine Rechnung: "Wenn wir einen Punkt holen, wäre das schon ein gutes Ergebnis. Aber wenn wir gewinnen, würde uns das natürlich in eine großartige Situation bringen."

Arsenal habe bereits gezeigt, dass es eine gute Mannschaft hat. "Aber ich denke, wir holen auf. Wir sind nur noch drei Punkte hinter ihnen und seit 16 Spielen ungeschlagen", so Cech.

Drei Arsenal-Stars angeschlagen

Sehr gelegen kommt den Blues dabei, dass Arsenal mit Cesc Fabregas, Alexander Hleb und Mathieu Flamini gleich drei Schlüsselspieler auszufallen drohen. Bei den drei angeschlagenen Mittelfeldspielern wird es sich wohl erst am Samstagnachmittag entscheiden, ob sie mitspielen können - dementsprechend vorsichtig ist Arsenal-Coach Arsene Wenger mit seinen Prognosen. "Es könnte bei einem, bei zwei oder bei allen drei hinhauen. Aber es ist noch zu früh, um das zu sagen", meinte Wenger am Donnerstag.

Chelsea muss derweil auf Torjäger Didier Drogba verzichten. "Natürlich hätten wir Didier gerne dabei gehabt, aber wir haben auch schon Spiele ohne ihn gewonnen", sagte Grant. Die Hoffnungen ruhen so auf Andrej Schewtschenko, der nach eineinhalb Jahren in London immer noch auf den Durchbruch wartet.

Der Ukrainer ist jedoch zuversichtlich, dass dies vielleicht schon am Sonntag passieren könnte. "Ich fühle mich gut", meinte Schewa, "es ist jetzt wichtig für mich, dass ich spiele und mir der Trainer auch das nötige Vertrauen dazu gibt. Und das Spiel am Sonntag ist natürlich ein sehr, sehr wichtiges Spiel."