Luis Escobar: Die Geschichte von Perus Jahrhundert-Talent, das viel zu früh verstarb

Von Oliver Maywurm
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Luis Escobar wurde als Fixpunkt einer Goldenen Generation Perus auserkoren. Doch ein Flugzeugabsturz kostete ihn viel zu früh das Leben. Das ist seine Geschichte.

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März 1985. Luis Antonio Escobar ist seinerzeit - wenngleich es immer mal wieder Kontroversen über sein Geburtsdatum gab - gerade einmal 15 Jahre alt. Schon ein kleiner Star in Peru. Aber gleichzeitig eben auch noch ein Teenager, der hin und wieder zu Selbstbewusstsein in Übergröße neigt. So auch an jenem Morgen, als er eine Wette mit einem seiner Kumpels eingeht.

Später steht das große Derby an, der peruanische Clasico. Alianza Lima, Escobars Team, gegen Universitario de Desportes, den Stadtrivalen, bei dem der damals aktuelle Nationalkeeper Ramon Quiroga im Tor steht. Escobar ist sich in seiner jugendlichen Unbekümmertheit aber sicher: Quiroga schenkt er einen ein.

"Wir sagten ihm, er würde verlieren", wird besagter Kumpel, Jose Zegarra, von thesefootballtimes.com zitiert. "Aber wir gingen zum Spiel und sahen dort dann, wie er Quiroga mit einer Kopfball-Rakete keine Chance ließ. In den letzten Minuten ging er dann plötzlich nach hinten und verteidigte. Nicht nur die Führung, sondern auch seine Wette - es war unerträglich."

Escobar: Hauptfigur eines Teams mit dem schönsten Fußball

Es war Escobars erster von insgesamt 50 Treffern für Alianza. Er war die Hauptfigur in einem Team, das Mitte der 1980er-Jahre - glaubt man der peruanischen Presse - den schönsten Fußball spielte, den das stolze Land im Westen Südamerikas je zu Gesicht bekam. Die Spieler galten als Goldene Generation, die in den folgenden Jahren das Gerüst von Perus Nationalelf bilden sollte. Die den Triumph bei der Copa America von 1975 wiederholen könne, die als Stammgast bei Weltmeisterschaften auserkoren wurde und in die Fußstapfen der vorherigen Generation um den großen Teofilo Cubillas treten sollte.

Escobar wurde wahrscheinlich im Juni 1969 in Lima geboren. Er wuchs in ärmlichen Verhältnissen auf, im Barrios Altos, dem als gefährlich geltenden historischen Zentrum der peruanischen Hauptstadt. Schon als kleiner Junge ging er zu Alianza, durchlief die Nachwuchsmannschaften des berühmtesten Klubs des Landes.

Escobar war schnell und elegant in seinen Bewegungen, was ihm den Spitznamen El Potrillo, das Pony, einbrachte. Er spielte auf dem linken Flügel, hatte aber auch einen guten rechten Fuß, weshalb er seiner Zeit mitunter voraus war. Und er war, obwohl nicht übermäßig groß, ein herausragender Kopfballspieler.

Debüt in der ersten Mannschaft mit 14

Bereits als 14-Jähriger, im Frühsommer 1984, gab er sein Debüt in Alianzas erster Mannschaft. Rekord. Der Verein hatte da schon sieben Jahre lang immer wieder den peruanischen Meistertitel verfehlt. Escobar und Co. sollten das ändern.

In seiner dritten Saison, 1986, waren der immer noch blutjunge Escobar und seine Teamkameraden nicht zu stoppen. Unter dem brasilianischen Trainer Didi, als Spieler 1958 Weltmeister mit der Selecao, begeisterte Alianza das ganze Land. Der Erzrivale Universitario wurde zunächst mit 4:0, im Rückspiel vier Monate später dann mit 5:1 vom Platz gefegt.

Escobar gelingen beim 5:1-Triumph zwei Tore, einmal trifft er traumhaft und wuchtig aus der Distanz. In Spielberichten von damals ist zu lesen, dass der damals 17-Jährige wie ein Besessener spielte. Ein Jahr zuvor hatte er im Halbfinale um die Meisterschaft gegen Universitario den entscheidenden Strafstoß versemmelt, Quiroga hatte pariert. Unter Tränen schwor Escobar Revanche - ein Versprechen, das er nun eingelöst hatte.

In einer Nacht verlor Peru sein größtes Team aller Zeiten

Den nationalen Meistertitel sollte Escobar allerdings nie erringen. Ende 1987 waren er und Alianza auf dem besten Weg dorthin. Nach einem Sieg im Auswärtsspiel bei Deportivo Pucallpa am 8. Dezember 1987 führte das Team, inzwischen gecoacht von der peruanischen Trainerlegende Marcos Calderon, die Tabelle an. Doch auf dem Rückflug von ebenjenem Spiel ereignete sich die folgenschwere Tragödie.

Kurz vor der Landung in Lima kam es zum Crash, das Flugzeug stürzte in den Pazifik. 43 der 44 Insassen, darunter die komplette Mannschaft Alianzas inklusive Stab und zwei Schiedsrichter, kamen dabei ums Leben. Lediglich der Pilot, Edilberto Villar, überlebte. Er war offenbar noch unsicher beim Fliegen im Dunkeln und soll einen Test bezüglich des Arbeitens unter Zeitdruck und enormem Stress nicht bestanden haben, wie eine Untersuchung im Jahr 2006, fast 20 Jahre nach der Katastrophe, enthüllte. Zudem soll das Flugzeug vor dem Start in einem schlechten mechanischen Zustand gewesen sein.

In einer Nacht hatte Peru sein bestes und größtes Team aller Zeiten verloren. Das Land verfiel in tagelange Depression, es gab Trauermärsche, die in den Nachbarschaften der Spieler begannen und über das Stadion Alianzas hin zu Limas Hauptfriedhof führten. "Caico" Gonzales, der Onkel des heutigen Nationalhelden und Ex-HSV-Stürmers Paolo Guerrero, hatte im Tor jener legendären Mannschaft gestanden und saß daher auch in dem verunglückten Flugzeug.

"Als mein Onkel starb, war ich drei oder vier Jahre alt", erinnerte sich Guerrero im Interview mit Bandeirentes. Onkel Caico war es gewesen, der ihn zum Fußball brachte, der ihn mit dem "Virus" Alianza ansteckte, ihm sein erstes Trikot des Klubs schenkte. "'Die Spieler von Alianza Lima sind alle tot, sie stürzten ins Meer'. Das ist alles, woran ich mich erinnere", sagt Guerrero, der wegen der Tragödie bis heute Angst vor dem Fliegen hat. "Jeder hier bei Corinthians (dort spielte Guerrero zum Zeitpunkt des Interviews, Anm. d. Red.) weiß das. Wenn unser Flugzeug durch Turbulenzen fliegt..."

Luis Escobar: Tod mit 18 Jahren

Seinem Onkel und Luis Escobar blieb es wegen jener verhängnisvollen Dezember-Nacht verwehrt, Geschichte zu schreiben. Escobar war erst 18 Jahre jung, als er starb. Man kann nur erahnen, was aus ihm noch geworden wäre. Ob er ein Weltstar a la Pele geworden wäre, der Peru zu mehreren WM-Teilnahmen in Serie geführt hätte.

Bewegtbilder-Relikte seiner Zeit auf dem Feld sind jedenfalls rar. Aber es gibt sie, in Form einiger verschwommener Youtube-Videos. Eines davon zeigt zum Beispiel Escobars spektakulären Fallrückziehertreffer bei Alianzas 3:2-Sieg gegen Union Huaral im Jahr 1987.

Alianza musste nach dem Tod seines Dream-Teams ganz neu anfangen. Mit Jugendspielern und der Aushilfe bereits zurückgetretener Legenden wie Cubillas oder Cesar Cueto spielte man die Saison noch zu Ende. Doch bis zum nächsten Meistertitel, an dem Escobar und Co. so nahe dran waren, dauerte es dann doch noch einmal elf weitere Jahre.

In Peru erinnert sich wahrscheinlich jeder Fußball-Fan gerne zurück an jene Zeit, als Luis Antonio Escobar mit Alianza das Land verzückte. Als er wundervolle Tore erzielte, wie ein Besessener spielte und nicht Ruhe gab, bis er Revanche an seinem Erzrivalen genommen hatte.

Jose Zegarra, sein alter Freund, erinnert sich auch daran. Und an eine furchtlose Wette, die Escobar mit ihm einging. Als er 15 Jahre alt und felsenfest davon überzeugt war, den Nationaltorhüter bezwingen zu können.

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