Haiti beim Gold Cup 2019: Keine Namen, viele Sprachen, noch mehr Erfolg

Von SPOX
Freude pur: Haiti steht beim Gold Cup 2019 sensationell im Halbfinale.
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Haiti ist ein Team der No-Names. Sogar eines, das nicht einmal dieselbe Sprache spricht. Beim Gold Cup sorgen die Karibik-Kicker dennoch für Furore. Ein Erklärungsversuch...

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Houstons China-Town ist nur ein paar Blocks entfernt. Doch statt chinesischen fliegen hier unaufhörlich französische Wortfetzen durch die Luft. "Vas y", zu deutsch "Auf geht's", kann man entschlüsseln. Oder ein verschmitztes "Oh la, la", wenn der nächste Beinschuss fällt. Ausrufe, die alle verstehen, die sich da gerade auf dem Platz in Haitis Trainingsquartier tummeln.

"Ich weiß, dass sich manche Fans fragen, wie wir miteinander kommunizieren", sagt Andrew Jean-Baptiste exklusiv gegenüber SPOX und Goal. Der 27-Jährige von Umea FC, dritte schwedische Liga, ist beim Gold Cup seit dem zweiten Gruppenspiel gesetzt in Haitis Innenverteidigung.

Völlig überraschend steht der Inselstaat aus der Karibik im Halbfinale der Kontinentalmeisterschaft Nord- und Mittelamerikas, trifft in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch (4:30 Uhr deutscher Zeit live auf DAZN) auf den haushohen Favoriten Mexiko.

Sprachliche Differenzen? "Wenn es um Fußball geht, spreche ich es fließend"

Spätestens, seit Haiti im Viertelfinale gegen die hoch eingeschätzten Kanadier einen 0:2-Rückstand noch in einen rauschenden 3:2-Triumph verwandelte, staunt jeder über diese Truppe, in der viele noch nicht einmal dieselbe Sprache sprechen. "Einige sprechen Kreol (zweite haitianische Amtssprache neben Französisch, d. Red.), einige nicht.

Einige sprechen Französisch, andere nicht. Ein paar Jungs sprechen Spanisch, andere wiederum Portugiesisch", erklärt Jean-Baptiste. Er selbst, in Brooklyn in den USA geboren, spricht logischerweise gut Englisch. Sein Französisch sei dagegen eher holprig. "Aber wenn es um Fußball geht, spreche ich es fließend", betont er.

Jean-Baptiste und Co. leisten momentan Historisches. Erstmals seit 1991, seit es den Wettbewerb unter diesem Namen gibt, steht Haiti im Halbfinale des Gold Cup. In den 1970er Jahren hatte das knapp elf Millionen Einwohner zählende Land mal eine ganz gute Phase, gewann 1973 den CONCACAF-Nations-Cup und qualifizierte sich damit für die WM 1974 in Deutschland. Doch seitdem waren drei Viertelfinal-Teilnahmen beim Gold Cup (2002, 2009 und 2015) das Höchste der Gefühle.

Haiti: Skepsis gegenüber Karibik-Teams? "Wir nutzen das als Antrieb"

"Es überrascht mich nicht, dass uns die Leute nicht auf dem Schirm hatten", sagt Stürmer Derrick Etienne Jr. zu SPOX und Goal. "Es ist die alte Leier: Als karibisches Team gibt es eben eine ganz bestimmte Denke über deine Spielweise", führt er aus. Spielfreude und Enthusiasmus verbindet Otto Normalverbraucher mit den Inselkickern, nicht unbedingt aber Organisation, defensives Geschick und unbedingten Siegeswillen.

"Wir nutzen das als Antrieb und wollten allen zeigen, dass diese Klischees gar nicht zutreffen", erklärt Etienne Jr. Intern hatte man bei Haiti schon direkt nach der Auslosung im April das Ziel ausgegeben, seine Gruppe vor Costa Rica, 2014 immerhin WM-Viertelfinalist, zu gewinnen. Federführend beim Erreichen dieses Ziels mit drei Siegen aus drei Vorrundenspielen, gipfelnd im 2:1-Erfolg über die Costa Ricaner: Trainer Marc Collat.

Der auf Martinique geborene Franzose hatte Haitis Nationalelf von Januar 2014 bis November 2015 erstmals trainiert, kehrte im September 2017 zurück. Er blickt über den Tellerrand hinaus, über die Landesgrenzen. "Mir fiel auf, dass viele haitianische Spieler in Europa oder den Staaten spielen. Nach und nach haben wir sie rekrutiert, auch, um die Altersstruktur im Team zu senken", sagte Collat letzte Woche auf einer Pressekonferenz.

Das Gesicht des Erfolgs bei Haiti: Trainer Marc Collat.
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Das Gesicht des Erfolgs bei Haiti: Trainer Marc Collat.

Haiti beim Gold Cup: Eine Mannschaft, viele Geburtsländer

Vier Spieler des aktuellen Kaders wurden in Frankreich geboren, drei in Kanada, zwei in den USA. Mittelfeldspieler Zachary Herivaux erblickte sogar in Japan das Licht der Welt. Jean-Baptiste aus Brooklyn, der 2015 sein Debüt für Haiti feierte, gibt indes zu, dass er sich anfangs teilweise als Außenseiter fühlte.

Dass es vor allem den in Haiti geborenen Akteuren nicht leicht fiel, damit umzugehen, dass einige ihrer Teamkollegen kein Kreol oder sogar kein Französisch sprechen. Startschwierigkeiten, die sich zunächst auch sportliche auswirkten, als sich Haiti 2017 erst gar nicht für den Gold Cup qualifizieren konnte.

Heute kann Coach Collat jedoch sagen: "Alle Spieler, egal ob aus Haiti oder in einem anderen Land geboren, verteidigen Haitis Farben mit Stolz, sobald sie dieses Trikot anziehen." Elf Spieler seines 23-Mann-Kaders sind 23 oder jünger, die Mannschaft hat Zukunft. Mit Etienne Jr. zum Beispiel, 22 und bei New York Red Bulls in der MLS unter Vertrag.

Steht in der MLS bei New York Red Bull unter Vertrag: der erst 22-Jährige Etienne Jr.
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Steht in der MLS bei New York Red Bull unter Vertrag: der erst 22-Jährige Etienne Jr.

Haiti: Nazon, Guerrier und Co. glänzen beim Gold Cup

Beim Gold Cup sind es derzeit noch die etwas Erfahreneren, die entscheidend für Furore sorgen - obwohl sie so sympathisch unbekannt sind, so sympathisch über den ganzen Globus verstreut ihr Geld verdienen. Wie Duckens Nazon etwa, bislang mit zwei Toren und drei Assists Haitis Topscorer, der den Siegtreffer gegen Kanada wunderschön vorbereitete und damit die Euphorie in der Heimat bis ins Unermessliche steigen ließ.

In Frankreich geboren und aufgewachsen, verschlug es Nazon über Vannes, Lorient und Laval auch mal für ein halbes Jahr nach Indien. Im vergangenen Halbjahr war er vom belgischen Erstligisten St. Truiden nach Schottland an St. Mirren verliehen.

Oder Herve Bazile, 29 Jahre jung, früherer französischer Junioren-Nationalspieler und letzte Saison immerhin mit fünf Toren in der Ligue 2 für Le Havre. Und Wilde-Donald Guerrier, der gegen Kanada so cool den Keeper umkurvte und zum umjubelten 3:2 einschob, als hätte er sich zu viele YouTube-Videos von Lionel Messi angeschaut. Der 30-Jährige ist einer jener, die in Haiti aufwuchsen, in einer kleinen Kommune ganz unten an der Südküste.

Bis er 24 war, spielte er in der Heimat, wechselte dann nach Polen, machte 2016/17 24 Süper-Lig-Spiele für Alanyaspor und ärgerte 2017/18 mit Qarabag Agdam in der Gruppenphase der Champions League Atletico Madrid. Zweimal kamen die Colchoneros gegen die Aserbaidschaner, bei denen Guerrier weiterhin unter Vertrag steht, nicht über ein Unentschieden hinaus.

"Unser Image hat sich offensichtlich geändert", sagt Jean-Baptiste und lässt seinen Blick dabei über die viel befahrene Hauptstraße, die Haitis Trainingsplatz auf dem Gelände einer Privatschule umgibt, gen China-Town schweifen. Entschlossen schiebt er nach: "Niemand wird uns mehr als das kleine Land aus der Karibik wahrnehmen. Wir wollen für alle Teams hier eine Bedrohung sein. Und mit den Spielern, die wir haben, sind wir das auch."

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