Nations League - Gibraltar schreibt Geschichte: Wenn Zwerge lange Schatten werfen

Von Dennis Melzer
Gibraltar hat in der Nations League zwei Spiele in Folge gewonnen.
© imago

Vor fünf Jahren bestritt die Nationalmannschaft Gibraltars ihr erstes Länderspiel, ein Sieg war ihr lange nicht vergönnt. Nun gewinnt Gibraltar binnen drei Tagen zweimal und schreibt damit Geschichte. Über einen Fußball-Zwerg in völliger Ekstase.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

"Wenn die Sonne tief steht, werfen auch Zwerge lange Schatten", lautet ein Sprichwort, das von dem österreichischen Schriftsteller Karl Kraus geprägt wurde. Obwohl die Sonne an diesem Dienstagabend längst hinter den zerklüfteten Felsen Gibraltars verschwunden war, gerierte sich ein Fußball-Zwerg als echter Riese.

Die Nationalmannschaft des winzigen Landes hatte das - zugegebenermaßen - ebenfalls nicht unbedingt als Fußballgigant bekannte Liechtenstein mit 2:1 bezwungen und damit Außergewöhnliches erreicht. Der Grund dafür, dass sich nach dem Erfolg 5000 Leute auf den Rängen des ausverkauften Victoria Stadiums teils tränenüberströmt in den Armen lagen, ist nämlich einfach wie historisch: Erstmals seit der Verband vor fünf Jahren offiziell von der UEFA anerkannt wurde, entschied seine Auswahl ein Pflichtspiel vor heimischer Kulisse für sich.

Zum zweiten Mal binnen vier Tagen schrieb das Team aus dem britischen Überseegebiet Geschichte. Am vergangenen Samstag feierte die Mannschaft des uruguayischen Trainers Julio Ribas, ebenfalls in der Nations League, den ersten Triumph in einem Punktspiel überhaupt, als sie in Jerewan Armenien mit 1:0 in die Knie zwang, nachdem die Verantwortlichen im Vazgen Sargsyan Stadion im Vorfeld versehentlich die liechtensteinische Hymne gespielt hatten.

gibraltar-stadion-600
© getty

Chipolina: "Sind keine Profis, sondern haben ganz normale Jobs"

In beiden Partien avancierte ein völlig unbekannter Abwehrspieler, der hauptberuflich als Verwaltungsfachangestellter arbeitet, zum gibraltarischen Helden: Joseph Chipolina markierte in der armenischen Hauptstadt per Strafstoß den entscheidenden Treffer, gegen das kleine Fürstentum aus den Alpen glänzte er abermals als Siegtorschütze.

Diesmal nickte er einen Eckball unhaltbar ein."Wir fühlen uns gerade, als seien wir im Himmel", frohlockte Chipolina im Anschluss an den Triumph gegen Armenien und schob nach: "Dieses Ergebnis ist unglaublich für uns, weil wir zum ersten Mal überhaupt ein Pflichtspiel gewonnen haben. Wir sind keine Profis, sondern haben alle ganz normale Jobs. Das alles unter einen Hut zu bringen, ist nicht einfach."

Tatsächlich muss Coach Ribas mit einem bunten Potpourri aus Polizisten, Feuerwehrleuten und Büroangestellten eine schlagfertige Truppe formen. Zum Vergleich: Der Gesamtwert der gibraltarischen Nationalmannschaft beläuft sich laut transfermarkt.de auf 225.000 Euro, während Armenien auf 45 Millionen Euro kommt - 35 Millionen davon macht alleine Arsenal-Star Henrikh Mkhitaryan aus, der übrigens gegen Gibraltar über die volle Distanz zum Einsatz kam, aber blass blieb.

Obwohl der Sieg gegen Mkhitaryan und Co. aus sportlicher Sicht wohl höher zu gewichten ist, brachen erst nach der Begegnung mit Liechtenstein alle Dämme. "Das ist die glücklichste Nacht meines Lebens", schwärmte Ribas, der während seiner Karriere als Trainer bereits einige nationale Titel in Uruguay einheimste.

Die größte Tageszeitung Gibraltar Chronicle schrieb vom "bedeutendsten Moment" der Fußball-Geschichte des Landes. Diese ist übrigens schon ziemlich lang. Der gibraltarische Verband zählt zu den zehn ältesten auf der Welt, wurde bereits im Jahre 1895 - und damit fünf Jahre vor dem DFB gegründet.

Gibraltar 2018 mit mehr Pflichtspielsiegen als Deutschland

Apropos DFB: Gibraltar hat es in drei Tagen bewerkstelligt, mehr Pflichtspiele im Jahr 2018 für sich zu entscheiden als der viermalige Weltmeister. Plötzlich träumen sie am Mittelmeer sogar von der Qualifikation für die nächste EM. Dabei schieben die fanatischen Fans erst einmal beiseite, dass die Quali-Gruppe für ebenjenen Wettbewerb weitaus hochwertiger ausfallen dürfte als das Tableau in der Nations League, in der man sich neben Armenien und Liechtenstein mit Mazedonien misst.

Bis diese am 2. Dezember in Dublin ausgelost wird, stehen allerdings noch zwei Partien in der Nations League an. Schon in vier Wochen haben die Verwaltungsfachangestellten, Polizisten und Feuerwehrmänner erneut die Chance, das Victoria Stadium in Ekstase zu versetzen, wenn es im Rückspiel gegen Armenien geht. Dann könnte es am Ende wieder heißen: "Wenn die Sonne tief, oder das Flutlicht hoch steht, werfen auch Zwerge lange Schatten."

Gibraltar in der Nations League D, Gruppe 4

PlatzMannschaftSpieleSiegeTorePunkte
1Mazedonien438:59
2Gibraltar423:56
3Armenien426:46
4Liechtenstein415:83
Artikel und Videos zum Thema