"Wir sind ins Nationalmuseum geflüchtet"

Hendrik Helmke stand beim ägyptischen Top-Klub Al Ahly Kairo unter Vertrag
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SPOX: Kann man so überhaupt trainieren?

Helmke: Das war schon ein wenig beängstigend. Unser Trainer ließ uns ein paar Runden laufen, ehe wir das Training abbrechen mussten. Dann musste man noch drei Stunden warten, bis man das Trainingsgelände durch den Hintereingang verlassen konnte. Ich wollte zum Parkplatz gehen, es haben mich sechs, sieben Securities mit Schlagstöcken begleitet. Sobald wir aus der Tür rausgingen, hat man nichts mehr gesehen. Das waren hunderte Fans. Sie haben die Securities umgeschmissen und wir sind einfach alle gerannt. Ich hatte Flip-Flops an. Wir liefen zur Straße und wollten in Taxis springen, aber selbst dafür war keine Zeit.

SPOX: Klingt nicht unbedingt nach Spaß.

Helmke: Das war wirklich zu viel. Man hätte totgetrampelt werden können. Wir sind dann ins Nationalmuseum geflüchtet. Dort waren wir eine halbe Stunde gefangen. Das ist eine andere Welt.

SPOX: Ist Ägypten in vielerlei Hinsicht extrem?

Helmke: Ich habe anfangs ein paar Sachen hinterfragt, aber die Leute haben für alles eine Erklärung, egal, wie lächerlich das in unseren Augen ist. Dort ist man sehr rückständig, was Gesetze oder das Denken über Frauen betrifft. Man hat viel Armut gesehen, die Schere zwischen Arm und Superreich ist schon sehr extrem. Es ist dort selbstverständlich, dass die Spieler Menschen auf der Straße Geld geben.

SPOX: Fühlten Sie sich sicher?

Helmke: Ich habe oft Nachrichten aus Deutschland bekommen, weil in den Medien von irgendwelchen Autobomben im Zentrum berichtet wurde. Komischerweise habe ich kaum etwas mitbekommen. Die Stadt hat mir dennoch nicht wirklich gefallen.

SPOX: In Malaysia fanden Sie es paradiesisch. Im Februar 2013 sind Sie zu Sabah FA gewechselt.

Helmke: Das stimmt. Natürlich war das nicht mein Wunschwechsel, aber es hatten sich einige Angebote zerschlagen, sodass mir fast nichts anderes übrig blieb. Ich wusste auch gar nichts über das Land. Ein ehemaliger Teamkollege ist dahin gewechselt, der hat mir von Malaysia erzählt. Es hat mir auf Anhieb sehr gut gefallen. Nach nur sechs Wochen wurde ich sogar direkt zum Kapitän ernannt.

SPOX: Wieso sind Sie nicht dortgeblieben?

Helmke: Leider sind wir abgestiegen. Damals gab es diese blöde Regelung, dass ausländische Spieler nicht innerhalb der Liga wechseln dürfen, es sei denn, man spielt zwei, drei Jahre in irgendeinem anderen Land. Dann durfte man auch zu einem anderen malaysischen Verein wechseln. Eine richtig lächerliche Regelung, die etwa ein halbes Jahr nach meinem Weggang aufgehoben wurde. Sonst wäre ich vielleicht dort geblieben.

SPOX: Trotzdem scheinen Sie nicht damit zu hadern.

Helmke: Nein. Ich habe gemerkt, dass viele ausländische Spieler dort ihre Karriere ausklingen lassen und nochmal ordentlich Geld einstreichen. Ich war gerade mal 23 Jahre alt, habe mich gut gefühlt und war ein wenig zu jung für diese Liga.

SPOX: Wie bewerten Sie solch horrende Gehaltszahlungen?

Helmke: Das hat Dimensionen angenommen, die man nicht mehr gutheißen kann. Wenn man sieht, wieviel Armut es auf der Welt gibt, finde ich das verantwortungslos, wie mit dem Geld im Fußball herumgeschmissen wird. Andererseits kann man die Fußballer natürlich nicht kritisieren, wenn sie ein solches Gehalt annehmen. Warum sollte ein Spieler sagen: Ich will nicht so viel verdienen? Wie man das verdiente Geld dann einsetzt, ist deren Sache.

SPOX: Zerstört Geld den Fußball?

Helmke: Das wird man sehen. Ich habe schon von vielen Leuten gehört, dass sie sich nicht mehr so für Fußball interessieren, weil es ein riesiges, schmutziges Geschäft geworden ist.

SPOX: Welche Rolle spielt Loyalität Ihrer Meinung nach noch?

Helmke: Fußball ist einfach ein Geschäft geworden. Jeder versucht irgendwie Geld zu machen - egal, ob Berater, Vereine oder die Spieler selbst. Man denkt eher egoistischer und versucht so erfolgreich zu sein, wie es eben geht. Da spielt Loyalität heute keine große Rolle mehr.

SPOX: Was hat sich verändert?

Helmke: Die Interessen haben sich verschoben. Heute kann es passieren, dass ein Spieler nach einem schwachen halben Jahr direkt wieder abgeschoben und der nächste Spieler gekauft wird. Es kann aber auch sein, dass ein Spieler sehr gute Leistungen zeigt und eigentlich bleiben will, bei einem guten Angebot aber verkauft wird, damit der Verein Profit schlagen kann.

SPOX: Am Ende bleiben viele Spieler auf der Strecke.

Helmke: Genau. Es läuft nicht immer alles glatt, wenn man nicht gerade einen Zehn-Jahresvertrag bei Barcelona unterschreibt.

SPOX: Ihre Erfahrungen wollen Sie nun weitergeben. Was hat es mit dem Projekt "All about Football" auf sich?

Helmke: Ich habe die Firma zusammen mit meinem Bruder aufgebaut. Wir haben die Absicht, talentierten Spielern eine ehrliche Plattform zu bieten - ohne falsche Berater und Leute, die nur Geld verdienen wollen.

SPOX: Wie genau funktioniert das in der Praxis?

Helmke: Wir veranstalten Scouting-Events - bisher nur in Brasilien - und lassen Profi-Scouts aus verschiedenen Ländern und Ligen einfliegen, die wirklich auf der Suche nach Spielern sind. Der Andrang ist sehr groß. Hier in Brasilien gibt es wirklich sehr viele talentierte Spieler, die dann aber einfach aufhören, weil sie keinen Profivertrag bekommen haben. Es gibt hier unglaubliches Potenzial, das aufgrund des schlechten Ligasystems aber nicht entdeckt wird.

SPOX: Welche Scouts kommen zu solchen Events?

Helmke: Es kommen Scouts aus Finnland und vor allem einheimische. Aber uns wurde auch schon Interesse aus Amerika, Kanada und Mexiko bekundet. Es gibt in Bahia auch eine Jugendakademie von Inter Mailand. Daher arbeiten wir auch mit den Italienern zusammen. Sie sind natürlich vor allem an U18-Spielern interessiert. Alle sind auf einen Goldjungen aus, mit dem man später viel Geld verdienen kann. Je jünger, desto besser.

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