Tod und Hass powered by...

Von Mario Krischel
Die Timbers Army gilt als beste Fanszene der Major League Soccer
© getty

Das Franchise-System führte in der Major League Soccer in der Vergangenheit zu mehreren Standort-Wechseln. Inzwischen begrüßt die Liga hingegen zahlreiche neue Vereine, welche vor allem die Fankultur beleben und neue Rivalitäten erzeugen sollen. Der Mangel an Tradition wird durch findiges Marketing ersetzt. L.A. hat Ultras, aber keine Spieler, Orlando ein Stück vom BVB.

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Jock Stein war garantiert ein weiser Mann. Wie sonst konnte er schon Mitte des 20. Jahrhunderts gewusst haben, dass der Fußball ohne seine Fans nichts wert ist? Seine Erkenntnis, wenn es denn eine war, wird inzwischen auch gar nicht mehr auf den Prüfstand gestellt.

Er hatte gut reden, immerhin wurde ihm die Ehre zuteil, seine Lisbon Lions dutzende Jahre vor einem früher wie heute frenetischen Celtic-Publikum zu coachen. Auf der Insel wird Fankultur sowieso seit jeher gelebt, wie an keinem Ort sonst.

Auch andere Vereine in Europa sind ziemlich verwöhnt, was den Support aus den eigenen Reihen betrifft. Da genügt schon ein Anruf beim SV Illertissen, der mit seiner One-man-army bald vielleicht endlich in den Europacup einzieht. Selbst ein Emporkömmling wie RB Leipzig darf sich bei Heimspielen auf ein ausverkauftes Stadion freuen.

Ein Ausflug in die Balkan-Region des Kontinents macht sich ebenfalls bezahlt, sofern der Zugereiste vorher gut die Broschüre durchliest. In Belgrad könnte ihn unter Umständen ein Feuerwerk erwarten - im ziemlich wahrsten Sinne.

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Ein wenig differenzierter sieht das Angebot aus, sobald die Schwellen Europas überschritten werden. In Afrika und Australien wird der Fußball generell anders definiert als bei uns, in der Antarktis wurden bislang noch keine orangenen Bälle produziert und auch wenn Hulk, Oscar und Co. schon zu Jugend-Zeiten von den einzigartigen Shanghai-Ultras geschwärmt haben, ist auch Asien noch weit entfernt von normalen Maßstäben

Wer an Südamerika denkt, dem kommt wohl als erstes der Superclasico zwischen den Boca Juniors und River Plate in Argentinien in den Sinn. Ähnliche Szenarien spielen sich bisweilen in Rio de Janeiro, Montevideo oder Bogota ab. In Coyoacan, dem Standort des Aztekenstadions, definitiv.

Und ein bisschen Wasser den Rio Grande herauf warten dann irgendwann die Vereinigten Staaten. Da, wo David Beckham 2007 in Los Angeles für abertausend verdutzte Gesichter sorgte, als er bei seiner Vorstellung als neues Galaxy-Aushängeschild von 'Football' sprach. "Aaah sorry", bemerkte er seinen Fauxpas rechtschnell. "An 'Soccer' muss ich mich noch gewöhnen." Müssen viele, David.

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Zum damaligen Zeitpunkt duellierten sich gerade mal 13 Teams um den MLS-Cup, "Soccer" war hinter der NFL, NBA, MLB und NHL schlichtweg irrelevant. Zehn Jahre und dutzende, alternde Weltstars später sind es 22 Mannschaften und Nummer 23 und 24 stehen in den Startlöchern. Eine der beiden neuen Franchises wird Beckham selbst in Miami gründen, erst vor kurzem entschied er eine Abstimmung in der Stadt für sich und bekam die Genehmigung für den Wunsch-Standort des geplanten 20.000-Zuschauer-Stadions.

Er hat erkannt, dass die MLS in den vergangenen Jahren einen enormen Sprung gemacht hat und Fans gewillt sind, diesen noch weiter voranzutreiben. 2017 sind die Einschaltquoten, Zuschauerschnitte und das Faninteresse so groß wie nie. An vielen Orten des Landes warten Einwohner nur darauf, dass ihre Umgebung die 25. oder 26. MLS-Franchise wird.

Kann man Rivalitäten erfinden?

Der Los Angeles Football Club, der trotz des verwirrenden Namens Soccer spielt, ist soweit. Im kommenden Jahr geht die 2014 gegründete Franchise aus dem südlichen Kalifornien in der Major League Soccer an den Start. Ein neu gebautes Stadion im Zentrum der Stadt, ein von den Fans mitentworfenes Logo sowie Mit-Eigentümer Will Ferrell und Magic Johnson stehen schon bereit.

Und noch bevor der LAFC auch nur einen Fuß auf den Liga-Rasen gesetzt oder einen einzigen Spieler unter Vertrag genommen hat, haben seine Fans bereits den Weg in die überseeischen Gazetten gefunden, weil sie das suchen, was viele Klubs schon haben: eine Rivalität.

Der Guardian fragt sich, ob es möglich ist, eine solche Rivalität zu erfinden oder zu fabrizieren. Ist es offenbar, die LAFC-Supporter und auch die MLS geben sich jedenfalls größte Mühe.

Es gibt längst zahlreiche Rivalitäten in der Liga, nur wechseln diese ab und zu den Standort, den Team-Namen oder verschwinden ganz. Das sind natürliche Folgen des in den USA waltenden Franchise-Systems. Das haben sie genau dort in Los Angeles bereits erfahren müssen, wo der beliebte Super Clasico gegen Chivas USA ein gern gesehenes Aufeinandertreffen für die Galaxy war. Von 34 Duellen gingen 22 an Beckhams Ex-Klub, nur vier gewann Chivas.

Der Super Clasico war noch dazu viel mehr als nur ein Lokalderby zweier rivalisierender Fan-Lager. Es war gleichwohl auch repräsentativ für die größtenteils freundschaftliche Rivalität zwischen den USA und Mexiko.

Doch Chivas gibt es seit 2014 nicht mehr, als die MLS entschloss, sich die Rechte an der Franchise zurückzukaufen und alle Tätigkeiten im Verein einzustellen. Stattdessen wurde Platz geschaffen für jenen LAFC, der nicht nur den Standort übernimmt. Ginge es nach den Fans, dann übernehmen diese gleich auch den Platz der Chivas-Supporter. Besser noch, es sind ehemalige Chivas-Supporter, zumindest Teile davon.

Wenn die Ultras bei der U12 landen

In den vergangenen Wochen haben sich mehrere kleine Gruppierungen in Downtown Los Angeles aufgemacht, schon vor dem ersten Spiel ihres Teams eine Rivalität mit den Galaxy-Fans zu kreieren, zu erfinden. Diese Gruppierungen sind die Cuervos, District 9 Ultras, Lucky Boys, Relentless, Expo Originals und die Black Army 1850. Alle sechs münden in der 3252, der "unabhängigen Fangemeinschaft" des LAFC, wie sie sich selbst in einem Statement bezeichneten. Und weil die erste Mannschaft noch nicht eingreifen kann, werden Spiele der hauseigenen U12 oder von Mexikos A-Auswahl besucht und lautstark begleitet.

Mit dubiosen Facebook-Posts, die inzwischen gelöscht sind, übermalten Galaxy-Logos und jeder Menge Graffiti versuchen die 3252, "gegen den Strom der Konformität zu gehen und eine unabhängige, treue und authentische Stimme für den LAFC zu sein". Und obendrein noch ein bisschen Hass zu streuen und eine Feindschaft zum anderen Team der Stadt zu züchten, die jene andere Seite nicht so sehr zu interessieren scheint.

Aus Gründen. Einer davon ist der bereits bestehende Cali Clasico zwischen den Galaxy und den San Jose Earthquakes, der von 2005 bis 2008 ruhen musste, da die Quakes kurzerhand nach Houston auswandern, als Houston Dynamo weiterspielen mussten und drei Jahre später am alten Standort nochmals neu gegründet wurden. Auch mit den Seattle Sounders pflegt LA eine gesunde Rivalität, in diesem Fall jedoch im sportlichen Sinne. Der Rekordchampion und der amtierende Meister treffen sich zumeist in den Playoffs der Western Conference.

Die Sounders sind es auch, die sich mit den Portland Timbers die ohne Zweifel größte Rivalität liefern. Diese reicht noch bis ins 19. Jahrhundert zurück, als sich beide Städte im pazifischen Nordwesten des Landes gegenseitig den Rang im Seefahrtshandel abliefen. Portland, die Rosenstadt, war zunächst der Taktgeber und entsandte Korn, Holz und Dosenfisch an internationale Häfen. Über die Jahre jedoch wuchs Seattle, die Smaragdstadt, und zog an Portland vorbei. Heute führen beide Klubs diese feindliche Beziehung auf und neben dem Feld fort. 2015 krönte sich Portland zum Champion, 2016 Seattle.

Heineken kauft und sponsert den Hass

Portlands Fans, die Timbers Army, haben sich in der Liga einen Ruf erarbeitet, den unzählige Vereine gerne kopieren würden. Dafür investieren die Liga und die Franchises viel, angefangen 2007, als die "Designated Player"-Regel es überhaupt erst möglich machte, einen Spieler zu verpflichten, der über der Gehaltsgrenze liegt. Ohne die David Beckhams, Bastian Schweinsteigers, David Villas und Andrea Pirlos wären auch heute noch ein, zwei Tickets mehr an den Tageskassen übrig.

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Von der MLS wurde außerdem jüngst die Rivalry Week ins Leben gerufen, die die niederländische Brauerei Heineken gleich mal zur "Heineken Rivalry Week" umtaufte. Diese Woche findet zweimal in der Saison statt, an den Spieltagen treffen nur die prädestinierten Rivalen aufeinander und wer übrig bleibt, für den wird noch ein Rivale erfunden. Das führt dann unter Umständen auch mal zu einer Partie zwischen San Jose in Kalifornien und Columbus Crew in Ohio.

"Rivalitäten sind ein großer Teil unserer Strategie", erklärte MLS-Commissioner Don Garber. "Diese Duelle erzielen wiederholt die höchsten Einschaltquoten. Deswegen sind Rivalitäten wichtig."

Und deswegen begrüßt die Liga auch immer wieder neue Teams an neuen Standorten, die dann neue Fans an Land ziehen und neue Rivalitäten erzeugen können. Wie 2014 den New York City Football Club, eine Kooperations-Gründung von Manchester City und den New York Yankees, denn die New York Red Bulls alleine waren nicht genug für den Empire State. Bis auf ein bisschen Social-Media-Geplänkel ist von Feindseligkeit bislang jedoch wenig zu spüren. Das könnte auch an den durchwachsenen Spielzeiten beider Klubs zuletzt liegen.

Orlando und das Vorbild BVB

Die Red Bulls verfolgen dazu vielmehr die älteste Rivalität der Liga mit D.C. United aus der Hauptstadt Washington. Bevor der Energy-Konzern 2006 ins Geschehen eingriff, waren die Red Bulls noch als MetroStars bekannt und zudem Gründungsmitglied der Liga.

Der Plan sieht vor, in naher Zukunft 28 Teams um den Cup konkurrieren zu lassen, 14 im Westen und 14 im Osten. In den letzten zwei Jahren gesellten sich Atlanta United, wo der deutsche Youngster Julian Gressel zuletzt auf sich aufmerksam machte, Minnesota United und Orlando City neu dazu. Im Disney-World-Paradies spielen Kaka und Co. als erste Franchise überhaupt vor einer Stehtribüne. Diese wurde mit dem Vorbild der Süd in Dortmund als "The Wall" betitelt.

Nachdem die Stimmung in Orlando dadurch deutlich verbessert wurde, hat sich auch der Los Angeles FC dazu entschieden, eine Seite mit Stehplätzen zu versehen, "um eine einzigartige Stimmung am Spieltag zu kreieren". Das war zu Beginn eigentlich nicht eingeplant.

Die positive nationale und internationale Entwicklung der Liga hat beinahe alle Teams aufhorchen lassen. Egal ob in Kanada, Salt Lake City oder in Atlanta, durch den erhöhten Stellenwert des "Soccer" gewinnen auch die Liga und die Franchises. Obwohl es etwas erzwungen ist, auch das künstliche Züchten von erwünschten Rivalitäten scheint zu funktionieren - das zeigt sich jedoch erst 2018, wenn die LAFC-Ultras ihr Team auch mal auf den Rängen unterstützen können.

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