Lieber verwässert als elitär

Die FIFA beschloss weitreichende Reformen zur künftigen Austragung von Weltmeisterschaften
© getty

Die Entscheidung der FIFA, die WM-Teilnehmerzahl zu erhöhen sorgte für einen kollektiven Aufschrei. Genau wie vor einigen Monaten die Entscheidung der UEFA, die Champions League künftig elitärer zu gestalten. Die Übersättigung des Klub-Fußballs schadet dem Sport jedenfalls deutlich mehr als die Verwässerung des Nationen-Fußballs. Ein Kommentar von SPOX-Redakteur Nino Duit.

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Ein Rückblick ins Jahr 1978, das zwei große Sieger hervorbrachte: Bei den Klubs den FC Liverpool, der sich den Landesmeistercup sicherte, bei den Nationen Argentinien, das sich im eigenen Land zum Weltmeister kürte.

Auf dem Weg zu seinem Landesmeistercup-Titel entschied Liverpool vier K.o.-Runden-Duelle für sich. Dynamo Dresden, Benfica Lissabon und Borussia Mönchengladbach mussten sich den Reds geschlagen geben. Im Finale besiegte Liverpool Brügge mit 1:0.

Auf dem Weg zu seinem WM-Titel wurde Argentinien in der Vorrunden-Gruppe Zweiter hinter Italien und vor Frankreich und Ungarn. Die Zwischenrunden-Gruppe gewann die Albiceleste dann vor Brasilien, Polen sowie Peru und qualifizierte sich somit fürs Finale. Rob Rensenbrink traf nur die Stange, Argentinien rettete sich in die Verlängerung und gewann dort mit 3:1 gegen die Niederlande.

Das Jahr 1978 sah einen Landesmeistercup, an dem im K.o.-Modus Vertreter aus Zypern, Island und Nordirland teilnehmen durften. Blamierte sich ein großer Verein, war er raus. Und es sah eine WM, die in zwei Gruppenphasen und somit den großen Nationen äußerst wohlgesinnt ausgetragen wurde. Ausrutscher erlaubt, sechs Spiele fast garantiert.

In den folgenden knapp 40 Jahren später hat sich das Blatt gewendet.

Kollektive Aufschreie

Als die UEFA im vergangenen Spätsommer bekanntgab, dass die großen europäischen Ligen aus England, Spanien, Italien und Deutschland künftig je vier fixe Startplätze für die Champions League bekommen und die Chancen für Vertreter kleiner Ligen somit noch geringer werden, war der öffentliche Aufschrei groß. Der elitäre Kreis wird immer elitärer, die Großen immer größer und der Fußball verliert seine Bodenhaftung, lauteten die Anklagepunkte.

Als die FIFA vor einigen Tagen letztlich das exakte Gegenteil tat, die Aufstockung der WM auf 48 Mannschaften verkündete und somit den Kleinen eine Chance gibt, gab es (genau wie bei der EM-Aufstockung der UEFA vor einigen Jahren) erneut einen empörten Aufschrei. Der Wettbewerb wird verwässert, uninteressant und überhaupt: Was haben karibische Inseln bei einer WM verloren?

Konträre Entwicklungen

Im großen Kontext verlaufen die Entwicklungen des Klub-Fußballs und Nationen-Fußballs in den vergangenen Jahrzehnten - trotz einiger Wellenbewegungen - konträr. Ersterer war mal offen und wird immer elitärer, Zweiterer war mal elitär und wird immer offener.

Die FIFA sorgt mit ihrer WM-Reform künftig in der Gruppenphase vielleicht für eine Verwässerung des Wettbewerbs, letztendlich werden sich ab dem Achtelfinale aber die großen Fußball-Nationen duellieren. Kämpft sich mal ein Außenseiter in diese Runden vor, so hat er es sportlich verdient. Die Vorrunden-Gruppen sollten als Zwischenqualifikationen betrachtet werden. Dass es besser wäre, diese aus logistischer Sicht nicht alle im gleichen Land auszutragen, ist selbstredend. Dass es besser wäre, gleich im K.o-Modus zu beginnen um in Dreiergruppen mögliche Absprachen am letzten Spieltag, an dem immer ein Team spielfrei hat, zu verhindern, ebenfalls.

Die UEFA sorgt mit ihren Champions-League-Reformen für das Gegenteil der Verwässerung. Sie sorgt für Übersättigung. Trifft der FC Bayern jedes Jahr auf einen spanischen Top-Klub, verliert auch das irgendwann seinen Reiz - das wirtschaftliche Konzept der Verknappung lässt grüßen. Schon in dieser Saison sind im Achtelfinale lediglich sechs Nationen vertreten. Dieser Trend wird sich ab der Saison 2018/19, wenn die Reformen greifen, verfestigen. Eintönigkeit und Wiederholungen statt Vielfältigkeit und Überraschungen.

Die erpresserische ECA

Entschieden wurden diese Reformen zwar von den Verbänden UEFA und FIFA, tatsächlich aber vom Diktat des Geldes. Die UEFA braucht die großen Vereine zwingend, um ihre Champions League gewinnbringend vermarkten zu können. Das wissen die großen Klubs, die ihre Interessen über die ECA (European Club Association) mit ihrem Sprachrohr Karl-Heinz Rummenigge vertreten. Gern drohen sie mit dem durchaus erpresserischen Vorschlag, eine eigene Super-Liga zu gründen. Die UEFA Champions League wäre damit am Ende.

Am Ende und nicht mehr vermarktbar wäre genauso ein FIFA World Cup ohne England, Spanien, Italien oder Deutschland. Die großen Nationen verfügen aber über keine vergleichbare Organisation wie die Klubs mit der ECA, mit der sie ihren Wunsch nach einer elitären WM vorantreiben könnten.

Und das ist gut so. So opportunistisch, geldgetrieben, gierig und machtbesessen die WM-Erweiterung der FIFA auch ist, sie ist dem Fußball kurioserweise trotzdem zuträglicher als die Elitärisierung des europäischen Klub-Fußballs, die einen Keil in den Sport treibt.

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