"Fliegende Feuerzeuge sind normal"

Fabian Ernst spielte mehrere Jahre für Besiktas
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SPOX: Ähnlich ging es Ihnen dann nach vier Jahren bei Königsblau. Nach jahrelangen Stationen in der Bundesliga wechselten Sie zu Besiktas. Hatten Sie nicht mehr das Gefühl, die nötigen Reizpunkte in der Bundesliga zu finden?

Ernst: Bei dem Wechsel gingen einige Faktoren Hand in Hand. Auf Schalke habe ich weniger Spielminuten zugesprochen bekommen und gleichzeitig kam das Angebot aus Istanbul, das finanziell sehr attraktiv war. Deshalb fiel mir die Entscheidung nicht schwer.

SPOX: Sie haben insgesamt vier Jahre in der Süper Lig gespielt. Wie haben Sie den türkischen Fußball erlebt?

Ernst: Auf der einen Seite sind die Derbys in Istanbul herausragend: Die Stadien sind ausverkauft, die Fans machen tolle Stimmung und die sportliche Qualität ist gut. Auf der anderen Seite habe ich auch im türkischen Hinterland vor 5.000 Zuschauern gespielt. Schaut man sich da die Stadien, die Straßen und die Stadt generell an, ist das wirklich ein Kulturschock. Je weiter man Richtung Anatolien kommt, desto deutlicher wird der Unterschied. Dabei hält sich das sportliche Gefälle sogar in Grenzen, als großer Istanbul-Klub wirst du auswärts immer angefeindet und deshalb wird dir kein einziger Punkt geschenkt.

SPOX: Besonders bezüglich der türkischen Fanszene liest man die wildesten Geschichten. In welcher Form haben Sie diese Anfeindungen erlebt?

Ernst: Fliegende Feuerzeuge sind in der Türkei normal. Wenn man vor der gegnerischen Kurve eine Ecke ausführt, muss man teilweise in Deckung gehen. Außerdem werden direkt vor dem Stadion Bengalos verkauft als wären es Trikots. Bei Auswärtsfahrten haben wir im Bus immer das Licht ausgemacht und die Gardinen geschlossen, weil gegnerische Anhänger regelmäßig Steine auf den Bus geworfen haben. Da bringt es auch nichts, dass man von einer Polizeieskorte begleitet wird und die Straßen extra abgesperrt werden. An diese Umstände gewöhnt man sich mit der Zeit. Mir ist zum Glück auch nie irgendetwas Schlimmeres passiert. Und das Temperament der Fans kann sich auch positiv ausschlagen.

SPOX: Inwiefern?

Ernst: Ich war bei meinem Wechsel 28 Jahre alt und wurde bereits in Dortmund und Schalke ausgepfiffen, aber die Türkei ist wirklich eine andere Welt. Die Fans peitschen einen im wahrsten Sinne des Wortes 90 Minuten nach vorne. Du verstehst zwar dein eigenes Wort nicht mehr, aber du rennst bis zur totalen Erschöpfung. Allgemein hat man als Spieler - wenn man denn seine Leistung bringt - in der Türkei einen höheren Stellenwert. Fußballspieler sind dort Popstars. Die Paparazzi stehen da wirklich überall und wenn man essen oder ins Einkaufszentrum geht, steht das am nächsten Tag in der Zeitung. Das hat zur Folge, dass man in guten Zeiten von seinen Fans angehimmelt wird, in schlechten eher weniger. (lacht)

SPOX: Ihre Zeit bei Besiktas nahm ein unrühmliches Ende. Stimmt es, dass Ihr Trainer ohne Sie plante, es Ihnen aber nicht persönlich mitteilte?

Ernst: Der Sekretär von Besiktas hat mein Management informiert, dass ich eine Woche später zum Training kommen soll. Zu diesem Zeitpunkt war die Mannschaft aber schon im Trainingslager. Ich musste dann eine Woche in einer anderen Trainingsgruppe trainieren, bis ich ein Gespräch mit dem Präsidenten hatte, der sagte: 'Verzichte auf 40 Prozent deines Gehalts und du bist wieder dabei.' Währenddessen hat der Trainer aber auch Politik gemacht und gesagt, dass jüngere Spieler meine Rolle übernehmen können. Dieses Vorgehen ist in der Türkei gang und gäbe. Da ich aber auch irgendwo meinen Stolz habe, habe ich mir einen neuen Arbeitgeber gesucht.

SPOX: Trotz dieser negativen Erfahrung sind Sie aber nicht nach Deutschland gewechselt, sondern haben sich Kasimpasa, einem anderen Verein aus Istanbul, angeschlossen. Warum?

Ernst: Ich stand unter unheimlichem Zeitdruck und für mich und meine Familie war klar, dass ich in Deutschland nicht für irgendeinen Verein spielen würde, sondern wenn ich zurückkehre nur nach Hannover gehen will. Aber das hat sich nicht ergeben. So war Kasimpasa die beste Option. Da ich die Strukturen bereits kannte, hatte ich auch keine Angst, dass es ein ähnliches Ende wie bei Besiktas nehmen würde.

SPOX: Dort haben Sie eine Saison gespielt, bevor Sie das Abenteuer Türkei beendeten und zum OSV Hannover in die Landesliga in Ihre Heimat wechselten. Vor rund einem Jahr haben Sie Ihre aktive Karriere dann beendet.

Ernst: Ich bin zufrieden mit meiner Karriere und würde auch im Nachhinein nicht viel anders machen. Die Zeit in der Landesliga war auch schön, da muss man sich kein Bein ausreißen. Um Geld ging es da natürlich nicht mehr.

SPOX: Im Profifußball dagegen fließt immer mehr Geld. Wie sehen Sie die Entwicklung des Sports?

Ernst: Gehälter steigen seit mehreren Generationen, das finde ich gar nicht mehr so bemerkenswert. Schlimmer finde ich, dass die Omnipräsenz der Medien zugenommen hat. Man muss immer im Gespräch bleiben, die sportliche Qualität reicht gar nicht mehr. Früher hatte man eine Homepage und konnte auf Gästebucheinträge antworten, wenn man Bock hatte. Social Media hat das in eine andere Dimension katapultiert. Wenn du erfolgreich sein willst, musst du dich auch dementsprechend vermarkten.

SPOX: Sie wollen auch in Zukunft im Fußball erfolgreich sein. Was planen Sie?

Ernst: Ich baue derzeit eine Spielerberatungsagentur auf. Deshalb bin ich viel unterwegs und schaue mir viele Fußballspiele an. Das ist ein tolles Projekt und ich bin gespannt, wo das endet.

SPOX: Für den ghanaischen Fußball haben Sie sich immer wieder Tipps von Ihrem langjährigen Kumpel Gerald Asamoah geholt. Wäre es denkbar, ihn dauerhaft ins Boot zu holen?

Ernst: Denkbar ist viel und unsere Wege kreuzen sich immer wieder. Unsere Freundschaft ist keineswegs selbstverständlich. Von allen Spielern, mit denen ich gespielt habe, habe ich nur noch mit einer Hand voll so viel Kontakt. Es ist enorm schwierig, diese Freundschaften als Profi zu pflegen. Aber Gerald und ich kennen uns seit unserer Schulzeit und stehen seitdem immer in Kontakt.

Fabian Ernst im Steckbrief

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