"China hat Fußball-Business entdeckt"

Marco Pezzaiuoli trainert unter anderem die U19, U18 und U17 von Guangzhou Evergrande
© imago

Seit 2014 ist Marco Pezzaiuoli Direktor Sport beim chinesischen Serienmeister Guangzhou Evergrande. Im Interview spricht er über die Nachwuchsarbeit in Guangzhou, die Aspekte Technik, Ernährung und Kultur sowie Fußball als Pflicht-Schulfach in China. Außerdem erklärt er die plötzlichen Millionentransfers aus dem Reich der Mitte und das Vorhaben der Politik.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX: Herr Pezzaiuoli, ich erwische Sie gerade in Deutschland. Ein glücklicher Zufall für meine Telefonrechnung?

Marco Pezzaiuoli: (lacht) Meine Familie lebt hier, leider war es nicht möglich, dass Sie mit nach China zieht. Meine Frau und ich haben sieben Kinder, einige von ihnen kommen schon ins Erwachsenenalter. Es hätte keinen Sinn gemacht, sie zeitweise aus ihrem gewohnten Umfeld zu zerren und in ein neues Land mitzunehmen. Von daher bin ich regelmäßig zuhause.

SPOX: Als Trainer arbeiteten Sie bereits in Korea bei den Suwon Bluewings, nach Ihrer Zeit in Hoffenheim zog es Sie zu Cerezo Osaka in Japan - und jetzt sind Sie bei Guangzhou Evergrande. Asien scheint es Ihnen angetan zu haben.

Pezzaiuoli: So würde ich es gar nicht sagen. Es ist vielmehr die Aufgabe an sich, die mich reizt. Es ist ein anspruchsvoller Job, aber es macht Spaß, dieses Projekt voranzutreiben.

SPOX: Als Sie im Oktober 2014 in Guangzhou begannen, hieß der Trainer der Profimannschaft Marcello Lippi. Welchen Anteil hatte er an Ihrer Unterschrift?

Pezzaiuoli: Einen großen. Ich hatte zuvor noch nicht die Möglichkeit, mit so einem großen Trainer zu arbeiten. Die Möglichkeit, bei einem Weltmeister Erfahrung zu sammeln, imponierte mir. Er war der ausschlaggebende Punkt für meine Entscheidung.

SPOX: Was berichtete er Ihnen vom Verein und dem Fußball in China?

Pazzaiuoli: Er erklärte mir ehrlich, dass die Strukturen im chinesischen Fußball noch am Anfang seien und sehr viel Arbeit investiert werden müsste - sowohl im sportlichen als auch im administrativen Bereich. Guangzhou Evergrande wollte Vorreiter in Sachen Entwicklung sein. Ich sollte zur Etablierung einer neuen Fußballkultur beitragen. Dabei kamen mir meine internationalen Wurzeln und meine Arbeit beim DFB zugute. Lippi und China verneigen sich vor der deutschen Fußballphilosophie.

SPOX: Sehen Sie sich also nicht nur als Verantwortlicher bei Guangzhou, sondern vielmehr als Botschafter für den gesamten chinesischen Fußball?

Pazzaiuoli: Das bin ich mit Sicherheit. Wenn man in Europa, ob im Nachwuchs- oder Profibereich schon 38 Jahre Erfahrung gesammelt hat, kann man in China hinsichtlich des modernen Fußballs viel vermitteln und bewirken.

SPOX: Sie sind Direktor Sport und für die Guangzhou-Akademie zuständig. Was gehört zu Ihren Hauptaufgaben?

Pezzaiuoli: Ich bin dafür verantwortlich, dass die Jugendspieler auf die höheren Leistungsbereiche vorbereitet werden und innerhalb des Vereins eine einheitliche Philosophie gelebt wird, von der U9 bis hin zu den Profis. Auch mit Luiz Felipe Scolari, der seit letztem Jahr Trainer der ersten Mannschaft ist, gibt es einen regen Austausch. Er will immer informiert sein: Trainerausbildung, Trainingsinhalte, Offensiv- und Defensiv-Schwerpunkte... Uns ist es wichtig, dass diese Dinge im Nachwuchs abgestimmt sind.

SPOX: Zusätzlich trainieren Sie die Topmannschaften der U19, U18 und U17 im Nachwuchsbereich von Evergrande und der Guangdong Provinz. Ist das nicht ein bisschen viel auf einmal?

Pezzaiuoli: Es ist sehr viel, ja. (lacht) Ich bin aber jemand, der gerne arbeitet und ich fühle mich bei meiner Tätigkeit immer noch sehr wohl. Außerdem habe ich jeweils internationale Co-, Torwart- und Fitnesstrainer an meiner Seite, sodass wir die Aufgaben als Team sehr gut umsetzen können.

SPOX: Die sportlichen Arbeitsbedingungen sind gigantisch. Um nur ein paar Zahlen zu nennen: 3.000 Kinder, 50 Fußballplätze, mehrere Gymnastikhallen und Fitnessstudios...

Pezzaiuoli: Der Verein hat hier seine eigene Fußballstadt, so klar muss man das sagen. Allein für meine U18- und U19-Mannschaften stehen mir acht Rasenplätze zur Verfügung.

SPOX: Das ist doch weit über europäischem Standard.

Pazzaiuoli: Die Plätze und die Ausmaße des Trainingszentrums sind wirklich toll, allerdings muss man auch sehen, dass wir in Sachen Technik noch Entwicklungspotenzial haben. Hightech-Geräte, wie man sie aus Deutschland kennt, haben wir nur für die Profis. In den Jugendzentren sind wir von Hoffenheim oder Leipzig noch weit entfernt.

SPOX: Wie kann man bei so einer Quantität an Nachwuchsspielern überhaupt noch Qualität hinsichtlich der Ausbildung gewährleisten?

Pezzaiuoli: An der Akademie arbeiten von der U9 bis hoch zur U16 unter anderem 22 spanische und 150 chinesische Trainer. Ich gebe ihnen die Theorie mit den jeweiligen Trainingsbausteinen und Möglichkeiten zur Förderung an die Hand. Alle Trainer erhalten jede Woche abgestimmte Trainingspläne für ihre Mannschaften. Es ist alles aufeinander aufgebaut.

SPOX: Bei mehr als 170 Trainern gestaltet sich die Kommunikation untereinander aber wohl nicht besonders einfach?

Pezzaiuoli: Alle Trainer haben ein bis zwei Dolmetscher an ihrer Seite, sodass es dahingehend keine Probleme gibt. Für die einzelnen U-Bereiche gibt es zudem noch eigene Zuständigkeiten, wie zum Beispiel Fitnesstrainer, die für ihre Abteilung hauptverantwortlich Leistungsdiagnostik und Trainingssteuerung koordinieren. Jeder weiß, was er zu tun hat. Außerdem spreche ich schon ein bisschen Chinesisch - leider noch nicht so sicher wie Koreanisch oder Japanisch, aber ich versuche es in meiner wenigen Freizeit immer weiter zu verbessern. Mit jedem Tag lerne ich die chinesische Sprache und Kultur ein bisschen besser kennen.

SPOX: Auch das Essen? Guangzhou ist Hauptstadt der Provinz Guangdong. In China sagt man über die Region: "In Südchina isst man alles, was schwimmt, fliegt oder vier Beine hat, außer U-Booten, Flugzeugen und Tischen." Können Sie das bestätigen?

Pezzaiuoli: (lacht) Absolut, hier gibt es vermutlich nichts, was man nicht isst. Auf dem Markt kann man Schlangen, Hunde, Schildkröten und noch unvorstellbarere Sachen kaufen.

SPOX: Wie groß ist der Faktor Ernährung aber gerade auch im Sportbereich? Achten Sie bei Ihren Jugendspielern darauf?

Pezzaiuoli: Wir versuchen das an der Akademie so gut wie möglich zu steuern. Allerdings muss man auch die kulturellen Gegebenheiten berücksichtigen. Leider sind die Speisen, die unsere Spieler zu sich nehmen, häufig zu fettig. Es gibt zwar immer Gemüse und diverse Arten von Kohlenhydraten und Proteinen, einige Gerichte werden aber frittiert serviert, was eine gesunde Ernährung natürlich schwierig macht. Die Esskultur im Kanton in Verbindung mit Leistungssport ist bis dato noch verbesserungswürdig.

SPOX: Kann man solche Gewohnheiten überhaupt dauerhaft verändern, ohne den Jugendlichen die Lust am Leistungssport zu nehmen?

Pezzaiuoli: Das ist tatsächlich die große Gefahr. Man muss die Kultur berücksichtigen und kann die Essgewohnheiten nicht komplett umkrempeln. Aber punktuelle Umstellungen würden schon weiterhelfen. Als ich mit meinen Teams in Europa war, haben die Spieler im Schnitt drei Kilo abgenommen. Die Speisen waren sportgerechter, da sie anders zubereitet wurden. Das hatte eine höhere Fitness und Spritzigkeit zur Folge, die Jungs fühlten sich insgesamt wohler.

SPOX: Haben sie dieses Bewusstsein nicht wieder mit nach China genommen?

Pezzaiuoli: Zu Beginn schon, sie versuchten, auch zuhause gesünder zu leben. Auf Dauer sind sie aber abhängig von der chinesischen Küche - und die ist nun mal viel fettiger als die europäische. Da helfen auch die Ratschläge unserer Physios und Ärzte nur bedingt etwas, man darf nicht vergessen, dass es noch Kinder sind.