"China hat Fußball-Business entdeckt"

Marco Pezzaiuoli trainert unter anderem die U19, U18 und U17 von Guangzhou Evergrande
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SPOX: In China scheint man aber erst am Beginn einer Großoffensive zu stehen. Xi Jinping etablierte Ende 2014 Fußball sogar als Unterrichtsfach in den Schulen.

Pezzaiuoli: Als Fußballtrainer kann ich diesen Entschluss nur positiv bewerten. Dadurch steigert man noch einmal das Bewusstsein für die Sportart und zeigt, dass man das große Potenzial in China endlich nutzen möchte. Diese Unterstützung hat dem Fußballverband bisher gefehlt.

SPOX: Muss man aber nicht aufpassen, dass die Erhebung des Fußballs zum Nationalsport nicht zu künstlich daherkommt? Man zwingt den Chinesen ja etwas auf, was viele vorher nie so richtig beschäftigt hat.

Pezzaiuoli: Da gebe ich Ihnen auf jeden Fall recht. Trotzdem ist es ja nicht so, dass die Chinesen keinen Spaß am Fußball hätten.

SPOX: Es wirkt aber dennoch so, als wolle man auf Teufel komm raus ein Lebensgefühl erzeugen, das beispielsweise Kinder in Brasilien von klein auf mit dem Straßenfußball entwickeln.

Pezzaiuoli: Dieser Eindruck kann tatsächlich entstehen, allerdings steht sich China dahingehend selbst im Weg, denn die Infrastruktur gibt diesen Lebensstil gar nicht her. Es gibt kaum Bolzplätze beziehungsweise generell wenig Spielraum für Kinder. Und auf anderen öffentlichen Flächen dürfen Kinder nicht spielen. In Parkanlagen sind Bälle zum Beispiel verboten.

SPOX: Das passt überhaupt nicht mit dem Vorhaben der Regierung zusammen: Xi Jinping hat 2014 einen Zehn-Jahres-Plan ausgerufen. Seine Ziele: eine WM-Teilnahme, eine WM-Austragung und ein WM-Sieg. Wie soll das gehen, wenn man gar keinen stimmigen Unterbau hat?

Pezzaiuoli: Sie sehen selbst: Vieles könnte in der Theorie funktionieren, in der Praxis scheitert es aber vor allem an alten, traditionellen Denkweisen und dem Verlangen nach schnellem Erfolg. Natürlich unterstützt die Politik den Fußball. Jedoch glaubt man, dass Geld alleine reicht. Dabei sind es vor allem die Strukturen, die überarbeitet werden müssen - und das großflächig. Unter dem Strich bewerte ich es aber positiv, dass man erkannt hat, dass die Weltsportart Fußball in diesem Land unterbesetzt ist und sich etwas tun muss.

SPOX: Der chinesische Fußballverband zählt gerade einmal 8.000 aktive Spieler - bei einer Einwohnerzahl von 1,37 Milliarden Chinesen.

Pezzaiuoli: Dann können ja noch einige dazu kommen. (lacht) Es gibt auf jeden Fall großes Steigerungspotenzial.

SPOX: Die Verbände schaffen es aber nicht, eine nationale Jugendliga zu installieren.

Pezzaiuoli: In diesem Jahr finden alle zwei Monate Turniere statt. Die Belastungsverteilung ist gerade für die Jugendlichen denkbar schlecht. Man spielt Monate lang gar nicht, dann wiederum gibt es sieben Spiele in zehn Tagen. Wir müssen deshalb auch andere Wege überlegen, wie wir den Jugendmannschaften Spielpraxis ermöglichen und sie physisch und psychisch auf den Wettbewerb vorbereiten. Ich fliege mit meinen Teams oft nach Europa, um dort Turniere zu bestreiten. Ich sehe an ihrer sportlichen Entwicklung, wie sehr sie diese Reisen weiterbringen. Sie lernen ein ganz anderes Tempo kennen, Aggressivität und Robustheit sind in Deutschland viel intensiver. Meine Jungs können durch diese positiven Stress-Situationen große Schübe machen. Allein durch das Training in China wäre das nicht möglich.

SPOX: Sind Sie schon in einer Position, in der Sie an diesen Problemen etwas ausrichten können? Am Geld scheitert es in China ja offensichtlich nicht.

Pezzaiuoli: Nein, mein Einfluss außerhalb des Vereins ist leider noch zu gering. Das sind Dinge, die wirklich ganz oben entschieden werden. Man müsste irgendwie an die Entscheidungsträger, vielleicht sogar den Staatspräsidenten, herankommen, um wirklich etwas zu bewirken. Das ist aber fast unmöglich. Und dadurch, dass die einzelnen Provinz-Verbände schlecht oder sogar gar nicht miteinander kommunizieren, geht vieles auch nur sehr langsam voran. Jeder Verband denkt erst einmal an sich, es gibt kein ganzheitliches Konzept.

SPOX: Das klingt so, als müsse man den kompletten Fußballverband neu strukturieren.

Pezzaiuoli: Man kann wegen einer Sportart nicht die gesamte Kultur eines Landes auf den Kopf stellen, aber viele Dinge müssten sich grundlegend verbessern. Immerhin bemerkt man in den Köpfen der Zuschauer langsam ein Umdenken. Als ich hierherkam, freuten sich viele Fans über einen Pass mit dem Außenrist oder einen Hackentrick mehr als über ein Tor. Fußball wurde nicht so recht als Ergebnissport, sondern mehr als Zirkus verstanden. Mittlerweile freut man sich immerhin schon über beides.

SPOX: Ihr Vertrag in Guangzhou läuft erst einmal bis 2017. Sehen Sie dieses Projekt langfristig als Ihres an?

Pezzaiuoli: Das würde ich gerne. Allerdings trage ich als Familienvater auch eine große Verantwortung, sodass es mich vermutlich in nicht allzu ferner Zukunft wieder nach Deutschland ziehen wird. Meine Kinder brauchen auch ihren Vater. In der Zeit, in der ich noch hier bin, versuche ich weiter Grundlagen zu schaffen und meinem Nachfolger ein gutes Fundament zu übergeben.

Marco Pezzaiuoli im Steckbrief