"FCB ist nicht auf Talente angewiesen"

Lukas Raeder wechselte 2014 vom FC Bayern zu Vitoria Setubal
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Im Sommer 2014 wechselte Lukas Raeder vom FC Bayern München in die portugiesische Liga NOS zu Vitoria Setubal. Im Interview spricht der 22-Jährige über sprachliche Improvisation, den Schritt ins Ungewisse, die Klublegende Jose Mourinho und Chancen für Nachwuchsspieler beim FCB. Außerdem erklärt er den Stellenwert von Torhütern in Portugal - und die damit verbundenen Schwierigkeiten.

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SPOX: Herr Raeder, eine Statistik besagt, ein Portugiese isst im Schnitt 22 Kilogramm Bacalhau im Jahr - eine landestypische Stockfischzubereitung. Gehören Sie zum Durchschnitt?

Lukas Raeder: Ich esse schon viel Fisch, Bacalhau ist aber nicht ganz so oft dabei. Man merkt aber, dass Setubal eine Fischerstadt ist, hier kann man immer frisch und gut essen. Ich selbst finde mich daher auch häufig im Restaurant wieder.

SPOX: Also haben Sie sich an die portugiesische Mentalität gewöhnt?

Raeder: Ich denke schon, wobei hier tatsächlich einige Klischees bedient werden: Es heißt ja, Portugiesen hätten eine etwas lockerere Lebensart. Das kann ich nur bestätigen. Man sieht hier viele Dinge nicht so eng und generell scheint man mit allem etwas mehr Zeit zu haben. Das habe ich gemerkt, als ich anfangs auf Haussuche war und es endlos dauerte, bis alle Verträge unterschrieben waren. Mittlerweile weiß ich aber Bescheid und ich habe mich gut daran gewöhnt. Einzig mit der Sprache muss man manchmal etwas improvisieren, denn ich habe mir keinen Unterricht genommen.

SPOX: Wie kommunizieren Sie dann mit den Kollegen und Bekannten?

Raeder: Wenn es in der Kabine um Fußball geht, verstehe ich alles. Auch Gesprächen aus dem Alltag kann ich größtenteils folgen. Einzig das Sprechen fällt mir noch schwer. Wenn mein Gegenüber aber Zeit hat, kann ich mich ganz passabel mit ihm unterhalten - auch wenn grammatikalisch nicht immer alles ganz korrekt ist. (lacht)

SPOX: Setubal ist Ihre erste Station im Ausland. Sie betonten einmal, wie wichtig Ihnen Ihre Familie und Freunde im direkten Umfeld seien. Wie schwer fiel es Ihnen, den Großteil Ihrer bekannten Umgebung aufzugeben?

Raeder: Gerade am Anfang war es schon eine große Umgewöhnung, schließlich bin ich alleine nach Portugal gezogen. Meine Familie wohnt noch im Ruhrgebiet. Ich habe aber oft Besuch aus Deutschland, sodass es nicht so ist, dass ich Einsamkeit beklagen müsste. Natürlich komme ich im Sommer beziehungsweise im Winter auch sehr gerne nach Hause.

SPOX: Gab es damals aber keine Option für Sie, in Deutschland zu bleiben?

Raeder: Wir haben auch mit einigen Vereinen in Deutschland gesprochen, die sportliche Perspektive war für mich aber hier in Setubal am besten.

SPOX: Was wussten Sie überhaupt von Stadt und Verein, bevor Sie den Vertrag unterschrieben haben? Wer an Portugal denkt, hat Sonne und Strand vor Augen - und im Fußball den FC Porto, Benfica und Sporting. Der gemeine Deutsche kennt Setubal nicht unbedingt.

Raeder: Ich war einen Tag dort, um mir die Gegebenheiten und die Stadt einmal anzuschauen und ein Gefühl für den Verein zu bekommen. Das war es aber auch schon. In Deutschland habe ich mir dann etwa eine Woche Zeit für die Entscheidung genommen. Setubal war also durchaus auch ein Schuss ins Blaue. Grob wusste ich aber, was mich erwartet.

SPOX: Der Verein versprüht immerhin einen kleinen Hauch von Prominenz. Es ist der ehemalige Klub von Jose Mourinho und dessen Vater Felix.

Raeder: Wenn man es nicht vorher schon wusste, weiß man es spätestens, wenn man durch das Stadion läuft. (lacht) Selbst im Vorraum der Kabine hängt noch ein Foto der beiden, die Mourinhos sind hier allgegenwärtig. Darüber spricht man in Setubal auch heute noch, die Menschen sind stolz auf ihren Jose. Seine Eltern leben auch immer noch hier und schauen sich sicher gelegentlich mal eines unserer Spiele an.

SPOX: An Karten kommt man ohnehin leicht, in Portugal spielen Sie oft vor leeren Rängen. Fühlt sich das manchmal gar nicht richtig wie Profifußball an?

Raeder: Für meine Leistung und Konzentration spielt es keine große Rolle, ob ich vor 1.000 oder 30.000 Zuschauern spiele. Natürlich ist es schöner, wenn man nach einem Sieg mit einem ausverkauften Stadion feiern kann. Man muss aber bedenken, dass Portugal viel weniger Einwohner hat als Deutschland, die aber trotzdem auf 18 Erstliga-Vereine verteilt sind. Zudem fehlt den Menschen hier oft das Geld, um jede Woche ins Stadion zu gehen. Und wenn sie gehen, dann wollen die meisten natürlich Porto oder Benfica sehen.

SPOX: Macht sich das für Sie persönlich auch auf der Straße bemerkbar?

Raeder: Setubal ist eine sehr kleine Stadt. Wenn man ins Restaurant oder an den Strand geht, wird man zwar erkannt, die Leute lassen einem aber auch genug Freiraum. Das ist als Spieler einer der großen Klubs anders.

SPOX: In der letzten Saison waren Sie auf Anhieb die Nummer eins, spielten dann aber plötzlich mehrere Partien in Folge nicht. Letztlich beendeten Sie die Saison doch als Stammtorhüter. Diese Saison nimmt einen sehr ähnlichen Verlauf. Wie kommt es zu diesen Schwankungen?

Raeder: Vorausgegangen waren jeweils Spiele, in denen wir hoch verloren hatten. Letztes Jahr war das ein 0:5 gegen Benfica, diese Saison ein 2:5 bei Maritimo. In den Spielen darauf tauschte der Trainer drei, vier Spieler aus - unter anderem auch mich. Ich kann mir gar nicht den Vorwurf machen, schlecht gehalten zu haben, sodass die Entscheidungen für mich doch sehr unerwartet kamen. Durch einen Trainerwechsel beziehungsweise eine Verletzung des anderen Keepers kam ich zurück ins Tor - und konnte mich dort zum Glück auch wieder beweisen. Die Art und Weise, wie Torhüter hier betrachtet werden, unterscheidet sich generell aber doch deutlich von der in Deutschland.

SPOX: Blickt man zu sehr auf Zahlen und nicht auf die eigentliche Leistung?

Raeder: Das Gefühl habe ich schon, man sieht eher die Ziffer im Resultat als den Verlauf des Spiels. Als Torwart bin ich hier stark dem Ergebnis ausgesetzt. Die Trainer handeln schnell sehr populistisch, weil sie den Fans zeigen möchten, dass sie ein Zeichen setzen. Das ist vor allem dann problematisch, wenn man sich in der Vorbereitung durchgesetzt und den Trainer von sich überzeugt hat, der aber nach einem Spiel mit fünf Gegentoren ohne Begründung den Torhüter wechselt. Ich habe gelernt, zu akzeptieren, dass das hier gelegentlich vorkommt. Es ist aber sicherlich nicht die beste Lösung.

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