"Da geht dir keiner auf den Sack"

Von Interview: Micha Schneider
Kristian Nicht kam über Aachen, Stavanger und den KSC nach Nordamerika
© getty

Kristian Nicht stand in der Bundesliga für Alemannia Aachen im Kasten. Nach Stationen bei Viking Stavanger und dem KSC ging es nach Amerika, wo er binnen weniger Stunden aus der zweiten Liga ins CONCACAF-Champions-League-Finale katapultiert wurde. Im Interview spricht er über das Spiel seines Lebens, Training auf dem Schrottplatz, die Freundschaft zu NFL-Star Björn Werner und Förderer Dieter Hecking.

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SPOX: Herr Nicht, starten wir gleich mal mit einer etwas provokanten Frage: Wie finden Sie eigentlich Diego, den Ex-Bremer?

Kristian Nicht: (lacht) Soweit ich weiß, ist das ein ganz ordentlicher Spieler, der auch einen relativ guten Schuss hat und vor allem ziemlich weit schießen kann.

SPOX: Sein Weitschusstor gegen Sie ist Ihnen also noch präsent. Es wurde ja später sogar zum Tor des Jahres 2007 gewählt.

Nicht: Gut, wir lagen damals 1:2 gegen Bremen zurück und es war die letzte Minute. Ich werde sicher nicht der letzte Torwart sein, der bei einem Rückstand in der Nachspielzeit mit nach vorne geht. Es war natürlich auch weltklasse von Diego. Er trifft das Ding perfekt, der Ball springt noch auf und touchiert die Latte. Aber ich mache mir keine Vorwürfe.

SPOX: Sie waren damals in der Aachener Aufstiegssaison unter Dieter Hecking Stammkeeper und gingen als Nummer eins in die Bundesliga-Saison. War das rückblickend die schönste Zeit Ihrer Karriere?

Nicht: Die dreieinhalb Jahre in Aachen waren definitiv überragend. Viele Fußballprofis erleben das nicht. Wir standen als Zweitligist fast im UEFA-Cup-Achtelfinale und sind gegen Alkmaar nur um ein Tor gescheitert. Wir hatten in Dieter Hecking und Jörg Schmadtke zwei sehr gute Strategen, die ein Team zusammengestellt haben aus lauter Jungs, die woanders gescheitert waren. Das war auf jeden Fall die coolste Truppe, in der ich je gespielt habe.

SPOX: Sie haben damals auch gegen die Bayern und Oliver Kahn gespielt und hatten wie Kahn einen großen Ehrgeiz. Sie sagten mal: "Ich hasse es, Durchschnitt zu sein."

Nicht: Ich konnte noch nie verlieren. Auch heute, wenn in Amerika Winterpause ist und ich in Deutschland bin, arbeite ich hart an meiner Fitness. Wir haben hier in Porstendorf vor den Toren Jenas einen herrlichen Schrottplatz, wo ich immer hinfahre.

SPOX: Was machen Sie auf einem Schrottplatz?

Nicht: Der ist überragend. Man ist ungestört und keiner geht dir auf den Sack. Du hast viele Sachen, mit denen du komplex trainieren kannst. Seile, alte Autoreifen, auf die ich mit einem Vorschlaghammer draufhaue, um meine Schultermuskulatur zu stärken. Ich habe auch mal bei einem Kumpel als Fahrradkurier ausgeholfen. Du sitzt jeden Tag auf dem Fahrrad und tust etwas für deine Kondition.

SPOX: Sie sollen sich als Jugendlicher eine Wandzeitung gebastelt haben, worauf Sie klar definierte Lebensziele abgebildet haben.

Nicht: Die hängt immer noch bei mir. Das ist einfach eine Maßnahme, seine Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Man wird täglich daran erinnert, was man noch alles erreichen möchte. Da stehen sportliche, aber auch private Dinge drauf und bisher hat das immer gut funktioniert.

SPOX: Das Ziel Bundesligakeeper haben Sie erreicht. Trotzdem: Ein gestandener Erstliga-Profi waren Sie nie. In Aachen unterliefen Ihnen in Ihrer ersten und einzigen Bundesligasaison immer wieder Patzer und es kam zum Wechsel auf der Torhüterposition. Wie Sind Sie damit umgegangen?

Nicht: Das war nicht einfach. Die Bundesligasaison lief unglücklich für mich. Nach dem zweiten Spieltag ist mein großer Förderer Dieter Hecking gegangen und in meinem ersten Spiel in Leverkusen habe ich eine Rote Karte kassiert. Stephan Straub hat ordentlich gehalten. Ich war dann zwar wieder im Tor, aber es war einfach komisch. Beim 0:0 gegen Dortmund halte ich überragend, eine Woche später verlieren wir 0:2 und beide Kisten gehen auf meine Kappe. Ich war damals dem Druck vielleicht noch nicht gewachsen. Aber ich schaue nicht reumütig zurück. Ich war zwar nicht Nationalspieler, aber ich bin mir sicher, dass viele gerne mit mir tauschen würden.

SPOX: Auch in der zweiten Liga lief es nicht mehr rund. Trainer Guido Buchwald hatte letztlich keine Verwendung mehr für Sie. Sie wechselten zu Viking Stavanger nach Norwegen. Wie gefiel Ihnen der norwegische Life-Style?

Nicht: Norwegen war überragend, ein sensationell geiles Land. An den Fußball muss man sich gewöhnen. Er ist sehr hart und englisch geprägt. Da wird nicht viel rumgespielt. Als Keeper musst du den Ball irgendwie nach vorne bringen, da ist dann eine Glückwunschkarte dran und die Stürmer müssen schauen, wie sie damit klar kommen. Kick-and-rush eben. Es war schon eine Umgewöhnung. Aber Stavanger ist eine schöne Stadt und es gibt tolle Stadien in Norwegen, auch wenn die Zuschauerzahlen natürlich nicht mit denen in Deutschland vergleichbar sind.

SPOX: Nach zwei Jahren ging's nochmal nach Deutschland zum Karlsruher SC. Glücklich wurden Sie dort allerdings auch nicht.

Nicht: Zum KSC bin ich nur gewechselt, weil ich davon ausgegangen bin, dass Markus Miller verkauft wird. Er ist allerdings geblieben und so saß ich das erste Jahr komplett auf der Bank. Die zweite Saison war ein absoluter Rohrkrepierer. Da hat von vorne bis hinten nichts gepasst. Ich glaube, wir hatten vier Trainer in der Saison. Da waren vom Torwarttrainer bis zum Präsidenten Leute am Werk, das glaubst du nicht. Die sind zum Glück heute alle nicht mehr da. Und das hat letztlich auch auf meine Leistung abgefärbt.

SPOX: Sie sind dann tatsächlich weit weg gegangen. Es ging nach Amerika in die dritthöchste Spielklasse zu den Rochester Rinos.

Nicht: Das war mir damals alles gar nicht so richtig bewusst.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Nicht: Naja, die Amerika-Geschichte ist im Endeffekt aus einer Laune heraus entstanden. Wir haben uns damals in Karlsruhe geeinigt und den Vertrag aufgelöst. Ich konnte damals nicht mal mehr aufs Trainingsgelände fahren. Ich konnte dieses Stadion und alles dort nicht mehr sehen. Ich dachte mir nur: Das ist ein guter Vertrag, die Liga heißt so und so, cool, das mache ich.

SPOX: War das nicht auch ein ziemliches Risiko?

Nicht: Ich habe es jedenfalls keine Sekunde bereut. Fußballspielen kann man auf der ganzen Welt und viele träumen davon, mal in Amerika zu leben. Ich habe es wahr gemacht. Ich hatte ein richtig geiles erstes Jahr, bin da damals blind hingeflogen, kannte kein Schwein, wurde aber zum "Goalkeeper of the Year" gewählt. So kam die Geschichte richtig ins Rollen.

Seite 1: Nicht über Training auf dem Schrottplatz, Norwegen und Chaos beim KSC

Seite 2: Nicht über sein unverhofftes Finale und seine Freundschaft zu Björn Werner

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