Die Auferstehung der Millonarios

Von Dominik Stenzel
Grenzenloser Jubel: River Plates Spieler feiern den Einzug ins Finale der Copa
© getty

Beim Triumph über Tigres UANL stand River Plate das fünfte Mal im Finale der Copa Libertadores. Auch wenn der Verein über eine beeindruckende Historie verfügt, war das Erreichen des Endspiels vier Jahre nach dem Abstieg in die Nacional B nicht selbstverständlich. Durch den Sieg über das mexikanische Gastteam krönt der argentinische Traditionsklub ein eindrucksvolles Comeback.

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Das Halbfinal-Rückspiel der Copa Libertadores am Abend des 21. Juli 2015. Schauplatz ist das Estadio Rogelio Livieres in Paraguays Hauptstadt Asuncion. Der heimische Club Guarani empfängt River Plate. Es läuft die 79. Spielminute, als Lucas Alario die Argentinier erlöst: Nach einem tollen Zuspiel läuft er alleine auf das gegnerische Tor zu. Der Stürmer lässt sich die Chance nicht nehmen und überlupft den herausstürmenden Guarani-Keeper eiskalt. Das 1:1.

Als der Ball die Torlinie überquert, gibt es bei den Spielern und mitgereisten Fans kein Halten mehr. Nach dem 2:0-Erfolg im Hinspiel besiegelt Alarios Treffer River Plates fünften Copa-Libertadores-Finaleinzug der Vereinsgeschichte. Los Millonarios melden sich endgültig zurück.

Abstieg vor vier Jahren

Blickt man auf River Plates lange Liste an Erfolgen, mutet das Erreichen des Endspiels nicht unbedingt überraschend an. Der Klub ist mit 36 nationalen Meistertiteln Argentiniens Rekordmeister, zudem konnte bereits zweimal die Copa Libertadores gewonnen werden.

Vor gerade einmal vier Jahren dachte bei River Plate allerdings keiner an das südamerikanische Pendant zur Champions League. Der 26. Juni 2011 wird wohl als schwärzester Tag in die Vereinshistorie eingehen. Nach dem 1:1 im Relegations-Rückspiel (Hinspiel: 0:2) gegen den Zweitligisten Belgrano war klar: Der Traditionsklub aus Buenos Aires muss den Gang in die Nacional B antreten. Zum ersten Mal in der 110-jährigen Vereinsgeschichte.

Die Spieler vergossen auf dem Platz bittere Tränen. Auf den Rängen des legendären El Monumental herrschte blankes Entsetzen, das schon bald in grenzenlose Wut umschlug. Bereits während der Partie kam es zu Ausschreitungen, auf den Straßen von Buenos Aires lieferten sich aufgebrachte Fans Straßenschlachten mit der Polizei. Die traurige Bilanz: Rund 70 Verletzte und 50 Festnahmen.

"Als würde Real Madrid absteigen"

Auch finanziell war River Plate in einer prekären Lage: Der Verein hatte in den letzten Jahren einen Schuldenberg angehäuft. Viele Anhänger forderten daher den Rücktritt von Präsident und Klubikone Daniel Passarella. Der Ex-Nationalspieler, Argentiniens Kapitän beim WM-Triumph 1978, lehnte ab und blieb noch bis 2013 im Amt.

River Plate lag - ironischerweise auf den Tag genau 15 Jahre nach dem zweiten Erfolg in der Copa Libertadores - in Trümmern. Die spanische Tageszeitung El Pais zog am folgenden Tag einen treffenden Vergleich: "Das ist, als würde Real Madrid in die 2. Liga absteigen." Auch Argentiniens Medien reagierten bestürzt: "Niemand, absolut niemand, wird in der Lage sein, diesen Tag zu vergessen", schrieb die Tageszeitung Clarin.

Die Website der Sportzeitung Ole schmücken seit jeher die Wappen der 20 Erstligisten. Das Emblem von River Plate wurde nach deren Abstieg nicht etwa entfernt, es wurde lediglich an die letzte Stelle gesetzt und mit einem weißen Hintergrund hinterlegt.

Die Geburtsstunde Millonarios

Das Medienecho untermauerte die Sonderstellung des Klubs im südamerikanischen Vereinsfußball. River Plate zählt zu den bekanntesten, zweifellos auch zu beliebtesten Klubs und blickt auf eine beeindruckende Historie zurück.

Gegründet wurde der Verein am 25. Mai 1901 in La Boca. Jenem Stadtviertel, in dem nun die Boca Juniors beheimatet sind. Ein Gründungsmitglied wurde im Hafen von Buenos Aires auf Kisten mit der Aufschrift The River Plate - der englischen Bezeichnung für den Rio de la Plata - aufmerksam. Die Inschrift sollte fortan auch der Name des neu gegründeten Klubs sein.

Für River Plate ging es von Anfang an aufwärts: Bereits 1908 stieg der Klub in die erste Liga auf, sechs Jahre später folgte die erste nationale Meisterschaft. Anfang der 1930er Jahre erhielt das Team seinen berühmten Spitznamen: River Plate konnte Carlos Peucelle für 10.000 Dollar von Sportivo Buenos Aires loseisen, Bernabre Ferreyra kam für 35.000 Dollar von Tigre. Immense Summen in dieser Zeit - fortan wurde der Klub Los Millonarios genannt. Auch in den kommenden Jahrzehnten trugen zahlreiche Stars das weiße Trikot mit dem roten Querbalken: Beispielsweise Alfredo di Stefano, Mario Kempes oder Hernan Crespo.

Erbitterte Rivalität mit den Boca Juniors

1938 zog River Plate von La Boca in das deutlich wohlhabendere Stadtviertel Nunez - es war die Geburtsstunde einer erbitterten Rivalität. Die 1905 gegründeten Boca Juniors verkörperten fortan die Arbeiterschicht, River Plate repräsentierte die gehobene Mittelschicht.

Aktuell sind sieben der 30 Erstligisten in Buenos Aires beheimatet. Die Boca Juniors und River Plate sind jedoch zweifellos die Aushängeschilder der Welthauptstadt des Fußballs. Rund 70 Prozent der argentinischen Fußballfans unterstützen entweder die Boca Juniors (40 Prozent) oder River Plate.

Old Firm Derby ein "Grundschul-Kick"

Die direkten Duelle beider Klubs versetzen Argentinien regelmäßig in Ekstase. Der Superclasico ist nicht nur ein Fußballspiel, er ist ein nationales Ereignis. Die englische Wochenzeitung The Observer setzte das Derby sogar auf Rang eins der "Sportereignisse, die man gesehen haben muss bevor man stirbt". Glasgows altehrwürdiges Old Firm Derby wirke dagegen wie ein "Grundschul-Kick".

Nicht nur auf dem Platz geht es dabei heiß her, zwischen den beiden berüchtigten Fanlagern kommt es regelmäßig zu schweren Auseinandersetzungen. Der harte Kern der berüchtigten River-Plate-Anhänger nennt sich los borrachos del tablon - die Besoffenen von der Theke. Selbst Todesfälle sind leider keine Seltenheit - ein Problem, das allerdings den kompletten argentinischen Fußball betrifft. Vor drei Jahren sah sich die Primera Division daher zum Handeln gezwungen: Fans ist seitdem der Zutritt zu den Auswärtsspielen ihres Klubs untersagt.

"Mehr Krieg als ein Fußballspiel"

In diesem Jahr trafen River Plate und die Boca Juniors im Achtelfinale der Copa Libertadores aufeinander. Im Rückspiel im Bombonera sorgten dabei die Fans der Blau-Gelben für einen neuerlichen Skandal.

Sie bewarfen die River-Plate-Spieler mit Gegenständen und besprühten sie von der Tribüne aus sogar mit einer chemischen Substanz. Leonardo Ponzio klagte im Anschluss: "Das ist mehr Krieg als ein Fußballspiel." Das Spiel musste zur Halbzeit abgebrochen werden, River Plate zog ins Viertelfinale ein.

Unter Diaz zurück an die Spitze

Die starke Saison in der diesjährigen Copa Libertadores ist für River Plate die Krönung eines fulminanten Comebacks. Bereits 2012 gelang dem Klub der direkte Wiederaufstieg, Ende desselben Jahres kehrte Ramon Diaz auf die Trainerbank zurück. Der heutige Nationalcoach Paraguays ist bei den Rot-Weißen eine Legende. Unter seiner Leitung gewann River Plate insgesamt acht Titel, darunter die Copa Libertadores 1996.

In seiner dritten Amtsperiode gelang es ihm auf Anhieb, River Plate wieder in Argentiniens höchster Spielklasse zu etablieren. Bereits 2014 errang der Klub seine 36. nationale Meisterschaft, im Anschluss verlies Diaz River Plate: "Meine Aufgabe war es, River Plate zurück an die Spitze zu führen und ich glaube, das habe ich geschafft. Als ich hier ankam, wurde nur über den Abstieg gesprochen. Jetzt bin ich froh, dass River Plate wieder ganz oben steht."

Diaz' Nachfolger ist ebenfalls eine Klubikone: Marcelo Gallardo, der als Spieler insgesamt 262 Ligapartien für River Plate absolvierte. Unter seiner Leitung machte der Klub noch einen Schritt nach vorne und überzeugte auch auf internationaler Ebene. Mehrere Spieler rückten dadurch in den Fokus internationaler Spitzenteams. Das vielversprechendste Talent ist wohl der 22-jährige Matias Kranevitter. Der defensive Mittelfeldspieler könnte schon bald auf dem Weg zu Atletico Madrid sein.

River Plate mit historischem Triumph

Doch zuvor wird Kranevitter den Triumph der Copa Libertadores auskosten. "Bei River Plate ist jeder besessen von diesem Pokal", sagte Gallardo jüngst. Mit dem dritten Triumph im wichtigsten Vereinswettbewerb Südamerikas haben Los Millonarios den 26. Juni 2011 auf jeden Fall weiter in den Hintergrund gedrängt und sind endgültig dorthin zurückgekehrt, wo sie hingehören.

River Plate in der Übersicht