Willkommen bei den Großen

Die Chilenen feiern den ersten Titel ihrer Copa-America-Geschichte
© getty

Chile und Jorge Sampaoli sind mit dem Triumph bei der Copa America endgültig im Kreis der Großen angekommen. Die Mannschaft ist eigenwillig, setzt ihre Entwicklung aber fort und schlägt Argentinien hochverdient.

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Alexis Sanchez hat für den FC Barcelona gespielt, für Arsenal. Insgesamt haben Klubs für den Chilenen mehr als 70 Millionen Euro Ablöse überwiesen. Um Arturo Vidal streiten sich die größten Klubs Europas und das in jeder Transferphase. Claudio Bravo gewann vor wenigen Wochen die Champions League.

Und dann steht da Jorge Sampaoli. Kein unscheinbarer Typ, das auf keinen Fall. Ein charismatischer Mann, drahtig und mit großer Ausstrahlung. Gespielt hat er nie für die großen Klubs, Erfolge gefeiert hat er als Spieler nicht. Seine Karriere bestand im Wesentlichen aus einem Wechsel zu den Newells Old Boys und der Erklärung seines Karriereendes wenig später mit 19 Jahren.

Als Trainer rumpelte er lange Zeit durch zweitklassige Ligen in Argentinien, Peru und Ecuador. Mit der Aussage: "Ich bin jetzt ein bisschen mehr wie Guardiola", leitete er vor wenigen Tagen den Gewinn der Copa America mit der chilenischen Nationalmannschaft ein.

Kein Fairplay-Preis für Chile

Sampaoli hat es geschafft. Im argentinischen Santa Fe aufgewachsen, stürzte er sein eigenes Heimatland erneut in ein Tal der Tränen. Argentinien ist am Boden zerstört, Chile feiert einen Mann, der keine einzige Partie als Profi absolviert hat. Sie feiern Sampaoli und erst im Nebensatz Sanchez, Vidal oder Bravo.

Der 55-Jährige hat aus La Roja eine brillante Mannschaft geformt. Was sich schon bei der Weltmeisterschaft in Brasilien andeutete, trägt nun erste Früchte. Bei seinem Amtsantritt sahen sich viele schnell an Marcelo Bielsa zurückerinnert. Der ließ einst hochintensives, aggressives Angrifspressing spielen und veränderte das Bild, das Chile international hinterließ.

Eine mit allen Wassern gewaschene Mannschaft, bewaffnet bis an die Zähne und keine Sekunde dazu bereit, auch nur einen Zentimeter nach hinten zu weichen. Sampaoli hat das nicht vergessen. Sein Team wird niemals einen Fairplay-Preis oder große Sympathien beim Gegner einstreichen.

Große spielerische Fortschritte

Sinnbildlich das Viertelfinale gegen Uruguay mit der Aktion von Gonzalo Jara gegen Edison Cavani. Chile ist noch immer bissig. Aber was Sampaoli verändert hat, hat ihnen den Titel eingebracht. Argentinien wurde von den Copa-Gastgebern dominiert und das in jeder Hinsicht.

"Das Spiel von Chile war besser als das von Argentinien", stellte der Trainer nach dem gewonnen Finale fest. Nicht nur das Pressing wusste zu gefallen - sowohl nach Ballverlust, als auch bei gesichertem Ballbesitz Argentiniens, sondern besonders das eigene Spiel mit Ball war dem der Albiceleste überlegen.

18 zu 8 Torschüsse führte die Statistik am Ende auf, aus dem Spiel heraus kam Argentinien nur zweimal zum Abschluss, die Chilenen 14-mal. Eine deutlichere Gegenüberstellung hätte es kaum geben können. Auf der einen Seite die individuell überragende, aber insgesamt unorganisiert wirkende argentinische Mannschaft, auf der anderen Seite das brutale Kollektiv Chiles.

Kollektiv stoppt Weltfußballer

Mit Jean Beausejour, einziger Nicht-Legionär auf dem Platz, und Francisco Silva von CA Osasuna verteidigte Sampaoli gegen Messi. Wobei diese Bezeichnung den Umständen nicht gerecht wird. Sampaoli verteidigte mit ganz Chile gegen Messi, während es bei Argentinien an Martin Demichelis und Nicolas Otamendi hing, Chile zu stoppen.

"Wir hätten innerhalb der 90 Minuten gewinnen können", so die Meinung des Trainers: "Wir haben kollektiv eine großartige Mannschaft wie Argentinien dominiert, die solide stand und auf unsere Fehler gewartet hat." Als er die Worte sprach, sah man Sampaoli kurz an, wie stolz ihn die Tatsache machte, den Gegner, den er vor dem Spiel noch als "potentiell beste Mannschaft der Welt" bezeichnet hatte, mit spielerischen Mittel klein gehalten zu haben.

Vom Spielaufbau bis zur Chancenerarbeitung wirkte sein Team wie aus einem Guss. Anfällig wurde es allerdings, als der grundlegende Plan aus Ballbesitz, Gegenpressing, Ballbesitz nicht mehr griff. Argentinien griff zu den langen Bällen, Chile schnell zu den Fouls.

Zwischen dunkelgelb und rot

Die Disziplin könnte man als größte Schwäche seiner Krieger aufführen. Aber: Kein Spieler verließ den Rasen vorzeitig, auch wenn sich manche Spieler an der Grenze zwischen Gelb und Rot bewegten. "Es hat sich gezeigt, dass man manchmal nicht alles diktieren muss", sagte Sampaoli über die nicht vorhandenen internen Konsequenzen nach Jaras Tätlichkeit an Cavani und Vidals Fahrt unter Alkoholeinfluss.

Er vertraut den Spielern und bekommt es zurückbezahlt. "Ich möchte jetzt nur diesen Titel mit einer einzigartigen Gruppe feiern. Jetzt ist nicht der Moment, um über Zyklen zu sprechen", entzog er sich dem Interview am Spielfeldrand und verschwand wieder inmitten der Feierlichkeiten.

Die Kameras zeigten ihn später Arm in Arm mit Jorge Valdivia. Der Zehner war von seinem Trainer bei der Auswechslung noch wenig angetan gewsesen: "Bei der Fotze deiner Mutter, du Hurensohn!" Eine passendere Szene hätte man vielleicht nicht finden können.

"Sollen uns ruhig verurteilen"

Valdivia ist 31 Jahre alt, seine europäischen Stationen lauteten Rayo Vallecano und FC Servette, im Sommer geht es nun ablösefrei nach Abu Dhabi. Für Chile wurde er vielleicht zum Mann des Turniers, nicht nur die drei Vorlagen in sechs Spielen sprechen eine klare Sprache.

Neben den Stars wie Sanchez, Vidal und Bravo hat Sampaoli ein Kollektiv geformt und für viele Spieler eine exzellente Rolle gefunden. Der von vielen Trainern verschmähte Valdivia ging in seiner Rolle regelrecht auf. Das Gerüst der Nationalmannschaft ist gebildet mit Stars aus europäischen Top-Klubs, außen herum finden Spieler ihren Platz, den sie bei anderen Trainern nicht gefunden hätten.

Das Gesamtkonzept eines Trainers ohne Profierfahrung hat aus Chile einen Copa-America-Sieger gemacht - zum ersten Mal in der Geschichte des Landes. Emotionalität, Vertrauen und kollektive, harte Arbeit - "das ist es, was wir Chilenen machen", stellte Sampaoli fest: "Sollen uns die Medien ruhig verurteilen."

Copa Finale, Chile - Argentinien: Die Statistik zum Spiel