"Ich bin Aufbauhelfer"

Thomas Doll wurde beim BVB am 13. März 2007 Nachfolger von Jürgen Röber
© getty

Thomas Doll ist seit Dezember 2013 Trainer beim ungarischen Traditionsverein Ferencvaros Budapest. Der ehemalige Coach des Hamburger SV und von Borussia Dortmund spricht im Interview über seinen Job als Aufbauhelfer in Ungarn, die Probleme bei seinen vorherigen Stationen in Ankara und Saudi-Arabien und seinen Ruf in Deutschland.

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SPOX: Herr Doll, zu Ihrer Zeit bei Genclerbirligi in Ankara trafen Sie sich einmal wöchentlich mit dem Vereinspräsidenten zu einer Tasse Tee und haben Bericht erstattet. Was trinken Sie denn nun in Budapest mit Gabor Kubatov?

Thomas Doll: Dieses Ritual fällt hier weg, weil die Wege deutlich kürzer sind. In Ankara mussten wir immer hinaus zur Mehl-Fabrik des Präsidenten fahren, um ihn zu treffen. Gabor Kubatov sehe ich dagegen fast täglich am Vereinsgelände. Wir sitzen beinahe Büro an Büro und laufen uns ständig über den Weg. Er ist ab und an auch mit dabei, wenn die Mannschaft im Trainingszentrum zu Mittag isst.

SPOX: Sie sind jetzt seit knapp über einem Jahr bei Ferencvaros Budapest und haben kürzlich Ihren Vertrag um zwei weitere Jahre verlängert. Gleicht Ihr Trainerjob im ungarischen Fußball einem Entwicklungshelfer?

Doll: Ich bin Aufbauhelfer, so würde ich das eher bezeichnen. In Ungarn boomt der Fußball natürlich nicht so sehr, wie man das aus den europäischen Top-Ligen kennt. In Sachen Stadien, Qualität der Spieler und Attraktivität der Partien hinkt man hier noch deutlich hinterher. Aber auch hier spielen wir vernünftigen und ehrlichen Fußball, der eben ein Stückchen vom internationalen Standard entfernt ist. Doch man ist dabei, den Status Quo zu verändern - und genau das macht die Arbeit so spannend und interessant. Nicht nur wir bei Ferencvaros haben ein modernes Stadion bekommen, auch an anderen Standorten bewegt sich einiges.

SPOX: Sie müssen konzeptionell sicherlich an viele Baustellen ran, wo aber ist der Handlungsbedarf für Sie am größten?

Doll: Ganz eindeutig bei der Athletik und Dynamik der Spieler. Am Ball können hier alle ein bisschen was. Wir müssen aber zusehen, dass künftig schon in den Jugendteams im athletischen Bereich professionell gearbeitet wird. Wir wollen Frequenz sowie Umfang der Trainingseinheiten grundsätzlich erhöhen und auch die Ausbildung der Trainer verbessern. Bei uns entsteht bis 2018 ein moderner Trainingskomplex mit neuen Plätzen und Internaten, auch die Eishockey- und Handball-Abteilung werden dort beheimatet sein. Man ist sich bei Ferencvaros sowohl der sportlichen Dringlichkeit, als auch der Tatsache bewusst, dass diese Maßnahmen Geduld erfordern, bis sie Früchte tragen können.

SPOX: Wie schwierig ist es unter diesen Bedingungen, eine Mannschaft mit Perspektive aufzubauen, wenn der eigene Nachwuchs noch Zeit braucht und man dazu nicht mit der attraktivsten Liga locken kann?

Doll: Es ist nicht einfach, da wir natürlich auf die Wirtschaftlichkeit achten müssen. Alles muss vernünftig gegenfinanziert werden, dazu sollen künftig auch noch mehr Sponsoren mit ins Boot geholt werden. Das Paket, das wir Spielern aktuell bieten, beinhaltet eine tolle Stadt, gute Trainingsbedingungen und eine moderne Infrastruktur. Es gibt hier die Perspektive, den Sprung in einer höherklassige Liga zu schaffen. Wir haben beispielsweise vor der Saison Muhamed Besic für 2,5 Millionen Euro an den FC Everton verkauft. Man kann sich bei uns also bestens präsentieren.

SPOX: Wenn Sie all diese Begebenheiten zusammen nehmen, wie fällt dann Ihr Zwischenfazit aus?

Doll: Als das Angebot aus Budapest vorlag und ich mir einen Eindruck vom Klub verschafft habe, sagte mir mein Bauchgefühl relativ zügig, dass das eine tolle Aufgabe ist. Es macht mir durchgehend Spaß, ich fühle mich rundum wohl und bin voll ausgefüllt. Mich beeindruckt es, mit welchem Engagement man im Verein an die Aufgaben herangeht. Wir wollen uns alle stetig weiter entwickeln, es muss jedoch alles behutsam wachsen. Das ist ein langer Prozess, aber die Geduld ist vorhanden.

SPOX: Sie sind andere Standards im Tagesgeschäft mittlerweile gewohnt, haben in Ankara, aber auch in Saudi-Arabien trainiert. Wie kam es jeweils dazu?

Doll: Ich hatte damals auch die eine oder andere Anfrage aus der 2. Liga vorliegen, das hatte mich zu dem Zeitpunkt aber nicht gereizt. Kurz bevor ich dann in Ankara unterschrieb, stand ich vor einem Engagement bei einem tollen Verein, den ich allerdings nicht nennen möchte. Da entschied man sich letztlich für den Gegenkandidaten, so wie das in diesem Geschäft einfach laufen kann. Nach dem Ende in Ankara wollte ich erst einmal eine Ruhephase einlegen. Das Angebot aus Saudi-Arabien hat sich dann sehr gut angehört und war definitiv ein großes Abenteuer.

SPOX: Damit man gerade an diesen Standorten kontinuierliche Entwicklungen vorantreiben kann, braucht es viel Geduld - ein Gut, das im Fußball sehr selten geworden ist. Wie sah es damit in Ankara und Riad aus?

Doll: Das Hauptproblem ist, dass der Trainer dort eine relativ unwichtige Person war. Die Oberen haben ihre Vorstellungen und möchten Eigeninteressen umgesetzt sehen. Dort kann man schnell das Gefühl bekommen, nur eine austauschbare Marionette zu sein. Es wird viel vom großen Fußball fabuliert, der Blick für die Realitäten ist aber verschwommen. In Riad sah sich beispielsweise ein Scheich gezwungen, den anderen Scheich mit Spielertransfers zu übertrumpfen, nur damit er politisch gut wegkommt.

SPOX: Ihr Vereinsboss bei Al-Hilal war ein Prinz, der viel Geld in den Verein gesteckt hat. Wie war Ihr Verhältnis zu ihm, bislang haben Sie ja immer mit europäisch geprägten Präsidenten zusammengearbeitet?

Doll: Wir haben uns das erste Mal in Paris getroffen. Da wurde schnell klar, dass es sich um einen wirklich feinen Menschen handelt, die Gespräche gingen entspannt vonstatten. Gegenüber seiner Entourage trat er auch bisweilen dominant auf, weil es dort einfach nach klaren Hierarchien geht. Wenn ich bei ihm zum Essen eingeladen war, konnten wir uns auch gut über nicht-sportliche Themen unterhalten. Was den Fußball angeht, war er sowohl zurückhaltend, als auch sehr lernwillig. Da wurden Stühle aufgestellt, der Tee serviert und dann hat er beim Training zugeschaut.

SPOX: Wie sind Sie mit dem Gebetsrhythmus Ihrer Spieler umgegangen?

Doll: Ich habe das Training so gelegt, dass sie gerade in der Ramadan-Zeit nicht zu müde sind. Da ändert sich der komplette Ablauf, aufgrund des Fastens macht man die Nacht zum Tag. Wir haben meist am späten Nachmittag trainiert, die Jungs haben dann in der Nacht etwas gegessen und am Morgen geschlafen, wurden allerdings um schon 5.30 Uhr wieder geweckt, um erneut zu beten. Gebetet wurde fünf Mal am Tag, manche Male auch in der Kabine nach dem Aufwärmen und direkt vor dem Anpfiff. Es war in diesen Fällen eine Herausforderung, die Spieler aus ihrer Welt zu holen und die Spannung hoch zu halten.

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