"Die ultimative Bankrotterklärung"

Von Daniel Reimann
Präsident Sepp Blatter und seine FIFA stehen seit Jahren im Fokus von Korruptionsvorwürfen
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SPOX: Garcia hat als Reaktion auf die angeblich falsche Interpretation seines Berichts angekündigt, das FIFA-"Appeal Committee" anzurufen. Doch das ist auch nur ein FIFA-Gremium, zu großen Teilen von Vertretern kleiner Inselstaaten besetzt, die Blatter traditionell gewogen sind. Kann man sich davon etwas versprechen?

Kistner: Nein, das ist alles lächerlich. Von keinem dieser FIFA-Gremien sollte man sich in der Hoffnung auf Aufklärung viel versprechen. Das wird gewiss wieder eine rein politische Entscheidung. Aber: Wenn sein Berufungsantrag abgelehnt wird, muss Garcia zurücktreten. Das würde ihn vielleicht zusätzlich reizen, seinen Report publik zu machen. Und dieses Papier muss auf den Tisch. Denn dort steht vermutlich mehr drin, als in Eckerts Bericht erwähnt wird.

SPOX: Wie kommen Sie zu dieser Annahme?

Kistner: Ich habe am Sonntag mit der Whistleblowerin Bonita Mersiades telefoniert. Sie war damals in Australiens WM-Bewerbung involviert. Sie hat die Vermutung, dass Garcia richtig gearbeitet hat, aber Eckert keine oder die falschen Schlüsse aus dessen Ermittlungsergebnissen gezogen hat. Die Whistleblowerin Phaedra Almajid, die einst für Katar als Ausrichter geworben hat und Garcia Hinweise für Korruptionsvorgänge geliefert hat, teilt diese Auffassung.

SPOX: Meinen Sie beispielsweise die Tatsache, dass kein Zusammenhang zwischen den dubiosen Machenschaften von Mohammed Bin Hammam und Katars WM-Bewerbung gesehen wird? Er war einst Teil des Exekutivkomitees und wurde 2011 von der Ethikkommission für immer ausgeschlossen.

Kistner: Diesen Punkt hat Mersiades explizit angesprochen. Von solchen Geschichten wimmelt es nur so in Garcias Bericht. Im November 2010, Wochen vor der WM-Vergabe, hat Bin Hammam beispielsweise dem Vertreter von Tahiti im Exekutivkomitee, Reynald Temarii, angeboten, dessen Anwaltskosten zu übernehmen, nachdem er wegen Korruptionsverdachts für drei Jahre gesperrt wurde. Temarii wollte sich zurück in das Gremium klagen und Bin Hammam war bereit, ihm das zu zahlen. Der Bin Hammam, der angeblich nichts mit der WM-Bewerbung Katars zu tun haben will, versucht einen sicheren Wähler zurück ins Boot zu holen - mit eigenen finanziellen Mitteln. Wie kann man bitteschön das falsch verstehen?

SPOX: Hat Garcia womöglich schon bei den Ermittlungen die falschen Fragen gestellt?

Kistner: Es hätte keine Millionen Euro und jahrelange Untersuchungen gebraucht. Eine einzige zentrale Schlüsselfrage hätte vielleicht gereicht: Was lief damals unmittelbar vor dem WM-Votum? Dafür hätte man nach England blicken und Geoff Thompson befragen müssen.

SPOX: Den Vorsitzenden der WM-Bewerbung Englands für 2018, der auch im Exekutivkomitee der FIFA saß.

Kistner: Er soll damals die Wahl kreidebleich verlassen haben mit dem Hinweis, eine WM 2018 in England könne man vergessen. Er hat seiner Delegation - sinngemäß, so wurde es immer wieder berichtet - erzählt: Blatter habe die Exekutive vor der Wahl auf eine Fülle englischer Zeitungsartikel hingewiesen: Diese Pressemeute erwartet uns, wenn wir England die WM geben. Acht Jahre lang britische Enthüllungspresse, die im Fußball eine der härtesten der Welt ist.

SPOX: Der FIFA-Präsident hat also unmittelbar vor der Wahl gegen einen der Bewerber Stimmung gemacht?

Kistner: So hat es ein Beteiligter erzählt. Wenn sich das tatsächlich so zugetragen hat, kann man den Eckert-Bericht sofort vergessen. Vorneweg die fromme Blatter-Passage: Was er da angeblich tat, widerspricht dem Ethik-Reglement. Es dürfte nicht sein, dass sich ein Präsident, dessen Stimme in Patt-Situationen sogar doppelt gewichtet wird, vor der WM-Vergabe explizit gegen einen Kandidaten ausspricht. Das hätte Garcia berücksichtigen und jeden Einzelnen der damals Beteiligten befragen müssen. Eine ganz einfache Sache. Und dann die Einzelaussagen zu Umständen, Situation etc. gewichten. Jeder Ermittler kennt das, jeder Richter muss das tun.

SPOX: Bleibt offen, ob die anderen, korruptionsumwitterten Mitglieder diese Version bestätigt hätten... Immerhin acht der 24 Mitglieder, die bei dieser Wahl beteiligt waren, sind später im Zuge von Korruptionsvorwürfen zurückgetreten oder nicht wieder angetreten.

Kistner: Das ist doch egal. Glaubwürdigkeit lässt sich bei einer so großen Anzahl von Zeugen schon ermitteln. Manche von ihnen können sich einer Vernehmung entziehen. Bin Hammam und Warner zum Beispiel, die nicht mehr im Fußball tätig sind. Man muss zudem bedenken: Garcia war in seinen Möglichkeiten limitiert. Als Ermittler der Ethikkommission hat er keine strafrechtlichen Werkzeuge zur Verfügung. Aber hätte er einem Bin Hammam oder Warner die oben genannte Frage gestellt, sie hätten - da gebe ich Ihnen Brief und Siegel - diese Version so bestätigt. Und diese Erkenntnis wäre für die Ethikkommission wichtig gewesen. Und wie hätten in der Einzelbefragung andere Leute reagiert, wie zum Beispiel der belgische Arzt Michel D´Hooge?

SPOX: Trotz noch so drängender Vorwürfe hat sich Blatter bisher immer aus der Affäre gezogen. Kann ihm ausgerechnet diese Untersuchung zum Verhängnis werden?

Kistner: Es kann ihm tatsächlich gefährlich werden, weil es keine fußball-interne Angelegenheit mehr ist. Aus allen fußball-internen Problemen kam Blatter bisher immer elegant raus. Denn Sepp Blatter ist Gott der FIFA, Gott des Weltfußballs. Blatter hat sich auch schon mit dem Papst verglichen. Etwa, wenn er sagt, die Bewegung, der er vorstehe, sei größer als die katholische Kirche. Die Protagonisten des Fußballgeschäfts werden wie Halbgötter angepriesen und genauso fühlen sich die FIFA-Oberen. Jack Warner hatte einst drauf bestanden, im Bett von Nelson Mandela zu schlafen.

SPOX: Wie bitte?

Kistner: Kein Scherz. Die letzte große Auslandsreise, die der damals schon sehr kranke Mandela machen musste, ging nach Trinidad und Tobago, um dort nochmal um den WM-Zuschlag zu werben. Auch Desmond Tutu war dabei. Das muss man sich mal vorstellen: Jack Warner, ein kleiner Geschichtslehrer aus Trinidad und Tobago, hat es als ehrenamtlicher Fußballfunktionär nicht nur zum Multimillionär geschafft, sondern er hat auch zwei Friedensnobelpreisträger geschwind für ein Abendmahl bei sich antanzen lassen. Und als die beiden Herren schon mal dort waren, hat natürlich auch Blatter noch kurz vorbeigeschaut. Vor einem solchen Hintergrund spiegeln sich diese Herren selbst.

SPOX: Das sind also die Umstände, unter denen heutzutage Weltmeisterschaften vergeben werden?

Kistner: Ja. Deutschland hat das zum Glück hinter sich. Man stelle sich vor, der DFB bewerbe sich um die nächste WM. Dann sitzt Blatter vielleicht in seinem Büro, schneidet die Fingernägel und denkt sich: "Angie...! Mensch, Angie sollte mal vorbeikommen. Vielleicht morgen zum Frühstück?" Ich garantiere ihnen: Das würde passieren.

Seite 1: Kistner über Ermittlungsdefizite, Ausreden & Eckerts Ahnungslosigkeit

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