"Welche Bombe soll hier explodieren?"

Vicente del Bosque baut Schritt für Schritt den Kader um
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In der Qualifikation für die EURO 2016 in Frankreich wurde klar, was del Bosque nun anstrebt. Ein merklich beweglicheres Spiel, mit mehr Fluidität und Beweglichkeit im mittleren Drittel. Wo zuvor drei Anker in der Zentrale spielten, ist es nunmehr mit Busquets nur noch einer. Koke orientiert sich am Katalanen und gibt den Takt vor.

Komplettiert wird die recht klassische Einteilung mit hohen Außenverteidigern und sehr beweglichen Halbspielern. Möchte man eine Grundordnung festlegen, müsste man wohl auf ein 4-4-2 mit leichter Tendenz zu einem 4-2-3-1 setzen. Besonders wichtig ist dabei die stete Besetzung der Flügel, um den Raum für das Ballbesitzspiel bestmöglich auszunutzen, als auch die Möglichkeiten des Anspiels in die Tiefe.

Flanken von der Grundlinie

Speziell letzteres ging den Spaniern oft ab. Weil der Gegner sich am eigenen Strafraum positioniert, bleibt der Raum zwischen Abwehrkette und Torwart eng. Umso wichtiger ist das Flügelspiel, das nach der WM neue Dimensionen erlebt.

Das Spiel gegen Weißrussland machte deutlich, was möglich ist. Während auf der linken Seite mit dem kombinationsstarken Jordi Alba das "alte" Spanien sichtbar wurde, dass über Überzahlsituationen Chancen erarbeiten wollte, war es auf der anderen Seite schon etwas weniger klassisch für spanische Verhältnisse.

Juanfran geht bis zur Grundlinie, um dann die Hereingabe zu suchen. Bei Ballverlust wird schnell nachgesetzt, weil der Gegner die Ordnung bereits verloren hat. Am Ende der Partie war der Rechtsverteidiger der Mann mit den zweitwenigsten Pässen pro Minute, war aber an allen drei Toren entscheidend beteiligt.

Isco glänzt gegen Weißrussland

Dabei ist nicht nur das Spiel im letzten Drittel verändert worden. Auch im Spielaufbau hat sich bereits einiges getan. Die spielstarken Innenverteidiger Spaniens überspielen öfter die erste Linie vor ihnen - der Ball landet direkt bei Koke, nicht wie zuvor bei Sergio Busquets. Dies bedeutet Zeit- sowie Raumgewinn und lässt dem Gegner weniger Möglichkeiten, um sich zu ordnen.

Gegen die Slowakei war Koke an jedem fünften Pass Spaniens direkt beteiligt. Der Mann von Atletico Madrid ist das neue Gehirn einer Mannschaft ohne Xavi und Alonso und bringt durch seine ausweichenden Bewegungen in die Räume auf der linken und rechten Halbseite ein neues Element mit. Das Spiel wird nicht mehr aus dem Zentrum heraus aufgebaut, sondern von den eröffnenden Innenverteidigern direkt in den Halbraum verlagert.

Hierfür hat del Bosque einen neuen Kader zusammengestellt, der wie zugeschnitten ist auf das, was inzwischen vielleicht doch ein wenig revolutionär sein dürfte. Mit Bruno Soriano, Koke, Isco, Raul Garcia, Santi Cazorla, Nolito und Jose Callejon hat er massig Spieler für das Spiel gegen Deutschland berufen, die sich pudelwohl im Halbraum fühlen.

Besonders Isco wusste zuletzt mit seiner von der linken Seite aus nach innen ziehenden Rolle zu begeistern. Der Spanier wurde in einer Umfrage der "AS" mit mehr als 80 Prozent zur positivsten Überraschung des Spiels gewählt - nicht nur dank seines Traumtores zum 1:0.

Volle Rückendeckung für alle

Ergänzt wird der Haufen an Debütanten von erfahrenen und gestandenen Spielern. Denn bei aller Veränderung auf dem Platz, hat sich doch neben dem Rasen wenig getan. Del Bosque steht zu seinen Spielern und gibt jedem einzelnen die volle Rückendeckung. Der kriselnde Gerard Pique wird vom stoischen Coach Spiel für Spiel berufen und ist eine feste Konstante in der Nationalmannschaft - trotz Stammplatzverlust im Verein.

Ähnlich steht es um Pedro oder Busquets. Beide mussten sich zuletzt harte Kritik anhören und befinden sich seit fast einem Jahr in einem Formtief. Der Trainer vertraut ihnen und wird belohnt. Pedro ist im aktuellen Aufgebot der Mann mit den meisten Länderspieltoren, Busquets traf beim Sieg über Weißrussland.

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Selbst Absagen wie die von Diego Costa und Cesc Fabregas, die aufgrund der Kurzfristigkeit und verdachtserregenden Begründungen schnell als medialer Brennpunkt ausgemacht wurden behandelt er auf seine gewohnte Art und Weise. Eine ruhige Antwort in das Mikrofon, verbunden mit einem langen Blick durch den Raum und der Bitte um die nächste Frage. "Welche Bombe soll hier explodieren? Wenn sie es wissen, sagen sie es mir bitte, denn ich weiß es nicht."

Ein Denkanstoß, keine Drohung

Del Bosque ist der Ruhepol in einer schnelllebigen und impulsiven Umgebung und damit exakt das, was die spanische Nationalmannschaft zu diesem Zeitpunkt braucht. Er ist auch nach dem Aus in Brasilien zu keinem Mann der weitreichenden Zeichen geworden und steht vor dem Team wie der sprichwörtliche Fels in der Brandung. Seine Sätze sind ebenso durchdacht wie kalkuliert und bieten immer möglichst wenig Angriffspotenzial.

Ein kleiner, aber deutlicher Hinweis reicht ihm aus, um seine Autorität zu unterstreichen: "Cesc und Diego müssen daran denken, dass es passieren kann, dass andere ihren Platz eingenommen haben, wenn sie wieder kommen." Ein Denkanstoß, keine Drohung. Er droht nicht und er mahnt nicht, er sucht keinen Konflikt, sondern meint es einfach nur so, wie er es sagt. Die Mannschaft ist im langsamen Umbau. Jeder Schritt, der verpasst wird, kann schwere Folgen haben.

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