Den verrückten Wäldern entwachsen

Von Sebastian Hahn
Ludogorez ist der erste Verein weltweit, der nach zwei direkten Aufstiegen den Meistertitel erringt
© getty

Lange Zeit waren Lewski und ZSKA Sofia die Vorzeige-Vereine im bulgarischen Fußball. Seit 2010 schickt sich ein Klub aus dem Nordosten des Balkanstaates an, dauerhaft die neue Nummer eins zu werden: Ludogorez Rasgrad hat den Titel-Hattrick gefeiert - dank eines passionierten Jägers als Investor.

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Zum ersten Ausschlag auf dem Seismograph des europäischen Fußballs kommt es Ende 2013, als die Mannschaft aus der bulgarischen 38.000-Einwohner-Gemeinde Rasgrad die Gruppenphase der Europa League ungeschlagen beendet. Mit fünf Siegen im Gepäck, unter anderem gegen den PSV Eindhoven, geht es für die Adler ins Sechzehntel-Finale gegen Lazio Rom.

Dort erfolgt dann das richtige Erdbeben. Völlig überraschend erkämpft sich Rasgrad einen 1:0-Auswärtssieg im Stadio Olimpico und steht vor der Sensation. Zuhause in Sofia, wo Ludogorez aufgrund der nur 8.000 Zuschauer fassenden eigenen Arena spielen muss, gerät der Außenseiter allerdings schnell mit 0:2 in Rückstand. Selbst eine spektakuläre Aufholjagd zum 2:2 scheint durch den erneuten Führungstreffer von Miroslav Klose acht Minuten vor Schluss nutzlos. Doch dann erlöst Juninho Quixada die Hausherren mit einem Lupfer in der 88. Minute und macht die Sensation perfekt.

Obwohl gegen Valencia in der Folge der Traum vom Viertelfinale mit 0:4 nach Hin- und Rückspiel platzt, haben die Männer aus der Ludogorie, was im Bulgarischen so viel wie "verrückte Wälder" heißt, eine mehr als deutliche Spur auf der europäischen Fußball-Landkarte hinterlassen. Und das, obwohl der Klub 2009 noch in der drittklassigen V Grupa spielte.

Domuschiew, der Leoparden-Jäger

Hinter dem Durchmarsch bis in die 16 besten Teams der Europa League steckt wie so oft im osteuropäischen Fußball ein reicher Investor. Kiril Domuschiew verdient sein Geld aber nicht mit Öl oder Schwermetall, sondern ist der Besitzer von "Huvepharma", dem führenden Pharma-Unternehmen des Balkan. Im Gegensatz zu Lewski Sofia, das einem russischen Geschäftsmann gehört, der als Gefahr für die nationale Sicherheit eingestuft wird, verfolgt Domuschiew ein ambitioniertes Konzept - fernab von Korruption, Wettbetrug und Skandal-Enthüllungen.

2010 übernimmt der passionierte Jäger, der stolz darauf ist, einen eigens erlegten Leoparden in seiner Tröphaen-Sammlung zu haben, den gerade mit einer Wildcard für die 2. Liga ausgestatteten Verein und beginnt mit dem sofortigen Umbruch. In seiner ersten Transferperiode als Vereinspräsident startet Domuschiew eine Kader-Renovierung, die an Felix Magaths beste Zeiten erinnert. Insgesamt 14 Spieler holt der 500 Millionen Euro schwere Unternehmer in der Winterpause. Das Ende vom Lied: Die traditionell in grün-weiß gekleideten Rasgrader feiern den Aufstieg in die "A Grupa".

"Aschenputtel aus der Provinz"

Doch Domuschiew, dessen Herz trotz seiner Kindheits-Liebe zu ZSKA "diesem Aschenputtel aus der Provinz" gehört, ist der Aufstieg noch lange nicht genug. Erneut dreht er am ganz großen Transfer-Rad und lotst 25 neue Spieler zu seinem Klub, 20 Akteure müssen gehen. Dabei fällt auf: Der Pharma-Unternehmer, dessen Mutter einst die größte Fahrrad-Fabrik Bulgariens gehörte, setzt nicht auf teure Kicker aus Südamerika oder Südeuropa, sondern angelt sich vornehmlich Talente aus Bulgarien und den umliegenden osteuropäischen Staaten.

2011 lässt er das "Adlernest" bauen, das mit Abstand modernste Trainingszentrum Bulgariens. Mit einer erstligatauglichen Truppe hält sich Ludogorez dauerhaft an der Tabellenspitze, geht allerdings mit zwei Punkten Rückstand in das entscheidende Duell gegen ZSKA Sofia am letzten Spieltag. Ein Treffer von Miroslav Ivanov macht die Sensation perfekt und Rasgrad zum ersten Verein weltweit, der nach zwei direkten Aufstiegen sofort den Meistertitel erringt. Der Sieg im Pokalfinale sowie der Supercup-Titel machen Domuschiew und Rasgrad zudem zum erst dritten bulgarischen Triple-Gewinner nach ZSKA und Lewski.

"Rufe die UEFA auf, uns zu töten"

Rasgrad spielt nun in der Champions-League-Qualifikation, doch in der zweiten Runde gegen Dinamo Zagreb erfährt Domuschiews Projekt erstmals einen Dämpfer. Erst in der 98. Minute des Rückspiels setzt es den K.o.-Schlag. Grund genug für den ansonsten seriösen und zurückhaltenden Besitzer, auszurasten: "Warum wundern sich alle, das ist pures Lobbying. Hiermit rufe ich die UEFA auf, uns zu töten!"

In der Liga läuft es am letzten Spieltag erneut auf ein Herzschlag-Finale hinaus: Lewski Sofia muss beim klaren Außenseiter Slawia Punkte liegen lassen, damit der zweite Titel in Folge in die "verrückten Wälder" wandert. Erneut folgt das Wunder: Ein Eigentor von Lewski in der Nachspielzeit lässt Ludogorez jubeln.

Mit Platini und Letschkows Enkel

Der Saisonstart im vergangenen Herbst verläuft diesmal nicht optimal. Trainer Ivayno Petev muss nach einer überraschenden Auftaktniederlage gegen Aufsteiger Lyubometz seinen Stuhl räumen, Stoycho Stoev leitet nun mit dynamischem Angriffsfußball die Geschicke bei Bulgariens Doppel-Meister - mit Erfolg.

Mit 67 Toren stellt Ludogorez nicht nur die stärkste, sondern auch die prominenteste Sturm-Abteilung der Liga. Mit Iwan Stoyanow knipst der Neffe von Ex-HSV-Spieler und Deutschlands WM-Albtraum Jordan Letschkow für Rasgrad, neben ihm läuft nicht selten Michel Platini auf. Der ist zwar weder Franzose, noch mit seinem prominenten Namensvetter verwandt, die Eltern des Brasilianers ließen sich aber wohl vom Spiel des jetzigen UEFA-Präsidenten so beeindrucken, dass sie ihr Kind kurzerhand nach ihm benannten.

"The best is yet to come"

Neben den prominenten Kadermitgliedern überzeugen noch der Brasilianer Marcelinho, der bereits seit 2011 für Rasgrad aufläuft, sowie Roman Bejzak, aktuell mit zwölf Treffern Top-Torschütze des Vereins. Mit Virgil Misjidan, kurz Vura, haben die Bulgaren sogar ein europäisches Kronjuwel im eigenen Kader. Der 20-jährige Flügelspieler wird seit einigen Wochen mit Manchester United in Verbindung gebracht.

Nachdem sieg über Lokomotive Plowdiw im Nachholspiel liegt Ludogorets uneinholbar an der Tabellenspitze und feiert den dritten Meistertitel in Folge, im Sommer dürfte der erneute Anlauf in Richtung Champions-League-Gruppenphase folgen. Kiril Domuschiew wird dafür wohl wieder ordentlich investieren.

"Die Entwicklung des Fußballs im Nordosten Bulgariens hilft nicht nur Rasgrad, sondern der ganzen Region", erklärte der Besitzer unlängst. Ruft man die Internetseite des Serien-Meisters auf, wird klar, was in Zukunft noch zu erwarten ist: "The best is yet to come" steht dort in dicken, schwarzen Lettern geschrieben.

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