"Selbst gegen Australien nicht chancenlos"

Von Interview: Haruka Gruber
Philippinens Nationaltrainer Michael Weiß (M.) mit Teammanager und Finanzier Dan Palami (l.)
© getty

Ein wundersamer Aufstieg nach einem einzigartigen Casting: Dank SPOX wurde der deutsche Fußball-Lehrer Michael Weiß über Nacht zum philippinischen Nationaltrainer. Zweieinhalb Jahre später ist er noch im Amt - und erfolgreich wie nie. Die einst schlechteste Fußball-Nation der Welt entwickelt sich unter Weiß Schritt für Schritt zu einem asiatischen Power House.

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SPOX: Im November 2010 fand bei SPOX ein einzigartiges Casting statt: Der philippinische Fußball-Verband bat SPOX darum, bei der Suche nach einem neuen Nationaltrainer behilflich zu sein. Sie wurden aus über 100 Bewerbern ausgewählt - und sind zweieinhalb Jahre später noch immer im Amt. Hätten Sie gedacht, dass daraus so etwas Langfristiges entstehen könnte?

Michael Weiß: Ich hatte es mir erhofft. Die gesamte Umsetzung wirkte professionell und durchdacht, so dass ich damals schon überglücklich war, diese Gelegenheit zu bekommen. Die zweieinhalb Jahre sind seitdem rasend schnell vorbeigezogen mit unzähligen Highlights - aber auch immens viel Arbeit. Zwischendurch ging ich auf dem Ersatzfelgen, weil es einiges an Energie kostet, neben der klassischen Tätigkeit als Fußballlehrer viel parallel zu organisieren und anzustoßen. Es ist jedoch schön zu sehen, dass es sich auszahlt. Die Perspektiven der philippinischen Nationalmannschaft sind riesig. Ich kann mich nur bei SPOX bedanken, dass ich die Chance erhalten habe.

SPOX: Ihre Arbeit wird in Deutschland wohlwollend wahrgenommen. Zuletzt wurden Sie neben Jürgen Klinsmann, Otto Pfister, Bernd Stange und Holger Obermann als deutscher Fußball-Botschafter des Jahres nominiert.

Weiß: Nicht nur das. In den letzten Monaten haben neben SPOX die ARD, das ZDF, Sky Sport News, die Süddeutsche Zeitung, Bild, die Frankfurter Rundschau und viele mehr über mich und die Philippinen berichtet. Es ist schön, dass das Geleistete gewürdigt wird, weil die deutschen Trainer im Ausland häufig zu sehr untergehen.

SPOX: Mit Falko Götz in Vietnam und Winnie Schäfer in Thailand folgten Ihnen zwei deutsche Kollegen nach Südostasien. Götz wurde nach einem halben Jahr entlassen, Schäfer gab Anfang Juni seinen Rücktritt bekannt. Wie schwierig ist es, in dieser Region tätig zu sein?

Weiß: Es ist eine harte, sehr lehrreiche Schule. Man muss mit den klimatischen Bedingungen, der Masse an Arbeit und der fehlenden Infrastruktur klarkommen. Und das häufig als Einzelkämpfer. Nachdem ich mich jetzt durchgesetzt und mir einen Namen gemacht habe, weiß ich, dass ich mich nicht zu verstecken brauche. Mittlerweile werde ich keine Probleme haben, in Deutschland in den Profifußball einzusteigen.

SPOX: Was war die kurioseste Geschichte der letzten Zeit?

Weiß: Mitte März fand in Manila das Qualifikationsturnier für den AFC Challenge Cup 2014 statt. Kurz vor dem Turnier sagte Brunei die Teilnahme ohne eine Erklärung einfach ab. Dann begann das Turnier: Zum Auftakt hatte Turkmenistan gegen Kambodscha mit 7:0 gewonnen. Wir traten danach gegen Kambodscha an und wollten selbst mindestens 8:0 gewinnen, damit uns im letzten Spiel gegen Turkmenistan ein Unentschieden reicht. Es ging also los gegen Kambodscha - und plötzlich war das gesamte Stadion dunkel, weil die Fluchtlichter ausfielen. Als diese wieder funktionierten, setzte ein unglaublicher Platzregen ein, weswegen das Spiel unterbrochen werden musste. Wir kehrten in die Kabine zurück und versuchten so viele Plastikboxen wie möglich zu finden, damit die Ordner das ganze Wasser reinschütten konnten. Irgendwann wurde es fortgesetzt, wir erzielten Tor um Tor - und in der letzten Minute gelang uns tatsächlich das 8:0. Wahnsinn! Der Abend steht sinnbildlich für den philippinischen Fußball: Einiges ist amateurhaft und nichts läuft wie geplant, aber am Ende ist man trotzdem irgendwie erfolgreich. (lacht)

Philippinen: Aus dem Abgrund des Weltfußballs

SPOX: Ihnen glückte mit Philippinen tatsächlich die Qualifikation für den AFC Challenge Cup, der März 2014 auf den Malediven stattfindet. Dort treffen acht asiatische Fußball-Entwicklungsländer aufeinander und der Gewinner erhält automatisch das Teilnahmerecht an den asiatischen Meisterschaften 2015.

Weiß: Deswegen sind die Planungen voll auf den Challenge Cup ausgerichtet. Die Philippinen haben das Turnier noch nie gewonnen, geschweige denn die asiatischen Meisterschaften erreicht. Und das Ziel zu erreichen, ist realistisch. Palästina und Turkmenistan dürften die stärksten Gegner sein, doch die Topfavoriten sind wir. Es hängt einiges davon ab, ob die europäischen Legionäre wie Stephan Schröck anreisen können, wobei wir selbst mit der zweiten Garde nach einer guten Vorbereitung den Challenge Cup holen können. Es wäre ein historischer Erfolg.

SPOX: Ihre Bilanz als philippinischer Nationaltrainer liest sich beeindruckend: Sie gewinnen 65 Prozent der Spiele, zu 20 Prozent gibt es ein Remis und nur zu 15 Prozent setzt es eine Niederlage. 2013 gab es in vier Spielen sogar vier Siege ohne Gegentor. Was ist der Schlüssel?

Weiß: Es gibt mehrere Faktoren. Einer der wichtigsten: Wir verfügen über einen wesentlich breiteren Kader. Es gibt eine Gruppe von ungefähr 30 Spielern, die auf den Philippinen oder in der Region spielen und ein Fundament bilden, die durch die Legionäre in der Spitze verstärkt wird. Es hat sich als richtig erwiesen, dass Ex-Hannover-Profi Dennis Wolf oder der frühere Cottbuser Patrick Reichelt nach Manila geholt wurden, damit die Klubs im Inland gestärkt werden und gleichzeitig Trainingslager für die Nationalmannschaft einfacher zu organisieren sind.

SPOX: Es gab anfangs an Ihnen die Kritik, dass die Philippinen zu defensiv spielen würden.

Weiß: Was blieb uns sonst übrig? Jetzt bewegen wir uns auf einem viel höheren Niveau und müssen und nicht nur nach der Defensive orientieren. Unser technisches Level ist sehr ordentlich und die Offensive ist im asiatischen Fußball absolut vorzeigbar. Mit Javier Patino haben wir sogar eine Granate hinzubekommen: Patino war in der zweiten spanischen Liga bei Cordoba und spielt jetzt in Thailand beim asiatischen Topklub Buriram United. Mit Schröck auf der linken Seite, Angel Guirado auf der rechten Seite, Patino auf der Zehn und Phil Younghusband in der Spitze haben wir echte Kaliber. In Bestbesetzung sind wir mittlerweile selbst gegen Teams wie Australien, Bahrein oder Kuweit nicht chancenlos.

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