The 54. State: Gegen alle Widerstände

Von Arne Behr
In Gibraltar feierte man die Aufnahme als UEFA-Vollmitglied ausgiebig
© getty

Seit dem Entscheid des 28. Ordentlichen UEFA-Kongresses in London gilt das britische Überseegebiet Gibraltar offiziell als Vollmitglied des Europäischen Fußballverbandes. Ein Beschluss, der erhebliche Brisanz birgt, denn die Causa Gibraltar verwischt nicht zuletzt eine ohnehin problematische Grenze - die zwischen Sport und Politik.

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Auf den ersten Blick handelt es sich um die Einwohnerzahlen einer mittleren deutschen Kleinstadt, die Gesamtfläche des Areals lässt sich bequem in Fußballfeldern angeben.

Einen Affenfelsen gibt es dort, mit bloßem Auge kann man bis nach Afrika hinübersehen. Das kleine Fleckchen an der spanischen Südküste gilt als Steuerparadies, eine Glücksspiellizenz ist dort angeblich ähnlich leicht zu erwerben wie ein Bankkonto. Und wer nicht in einem Wettbüro arbeitet oder dort die Flure bohnert, gründet einfach eine Briefkastenfirma für spanische Immobilien.

Der Ruf des nun neuesten UEFA-Vollmitgliedes Gibraltar ist, zumindest wirtschaftlich, nicht der allerbeste. Am Vorabend des Champions League-Endspiels in London hatte der jährlich tagende Kongress des Europäischen Fußballverbandes UEFA jedoch über mehr als den Antrag einer kleinen, nicht ganz astrein wirtschaftenden Kronkolonie Großbritanniens zu beraten.

Debatte und Abstimmung hatten zwangsläufig auch eine politische Dimension, die weit in die europäische Geschichte zurückreicht und im Jahr 2013 wenig an Aktualität verloren zu haben scheint.

Gegen alle Widerstände

"Es war eine lange Reise. Aber das Wichtigste hat sich durchgesetzt, der Fußball", resümierte Gibraltars Fußball-Verbandschef Gareth Latin erleichtert. Da waren er und Präsident Joey Nunez grade zu den obersten Repräsentanten eines offiziellen Verbandes der UEFA "befördert" worden.

Und gedauert hatte es tatsächlich: 16 Jahre lang hatten Latin und Nunez bis dahin versucht, der Gibraltar Football Asociation (GFA) einen festen Startplatz für die internationalen Wettbewerbe auf Länderebene zu sichern. Stets waren auf ein kleines Erfolgserlebnis zwei herbe Rückschläge erfolgt, zuletzt im Januar dieses Jahres in Düsseldorf. Das Abstimmungsergebnis zum Antrag des damals noch provisorischen Verbandsmitgliedes war eine schallende Ohrfeige: Irland, Schottland und die Färöer Inseln stimmten (wohl auch aufgrund der eigenen politischen Vergangenheit) für den Antrag, 43 andere bei einer Enthaltung Englands dagegen.

Doch im Verband war man beharrlich geblieben, hatte sich durch Rückschläge ohnehin nie entmutigen lassen. Es folgte umgehend der erneute Gang vor den Internationalen Sportgerichtshof (CAS). Bereits von Dezember 2006 bis Januar 2007 war Gibraltar auf Weisung des CAS provisorisches Mitglied geworden, doch der Aufnahmeantrag wurde damals abgeschmettert.

Politikum Gibraltar

Erbittertster Widersacher Gibraltars in dieser Auseinandersetzung ist seit jeher Spanien. Die Iberer haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie den Landstrich als ihr rechtmäßiges Eigentum betrachten. Noch im vergangen April hatte dies die spanische Regierung höchstselbst und abermals unmissverständlich zum Ausdruck gebracht: "Die Regierung zieht offizielle Fußballspiele zwischen Spanien und Gibraltar nicht in Betracht."

Tatsächlich waren Abstimmungen in der Vergangenheit vor allem am verbissenen Widerstand des spanischen Verbandes gescheitert, doch selbst dort spricht man von einem politischen Problem.

Man werde "alle legalen Mittel" ausschöpfen und sei zuversichtlich, dass das Provisorium nicht in eine Anerkennung münden werde, hieß es noch im Oktober seitens des spanischen Sport- und Kulturministers Jose Ignacio Wert. Das war kurz nachdem der Sportgerichtshof entschieden hatte, dass die UEFA eine Mitgliedschaft Gibraltars in Betracht ziehen müsse.

Die Reaktion der GFA ließ nicht lange auf sich warten: "Wir glauben, dass Politik und Sport nicht miteinander vermischt werden sollten. Daher ist es unglücklich, dass von spanischen Politikern Bemerkungen über sportliche Angelegenheiten gemacht worden sind."

300 Jahre Zankapfel europäischer Großmächte

Doch der Fall Gibraltar ist schon immer ein Politikum gewesen, ein sehr altes und ein einigermaßen brisantes dazu. Nicht zufällig mutet der Konflikt und die Art, wie er von den Beteiligten geführt wird, ein wenig an wie eine Episode aus einer längst vergangenen Zeit.

Die Felseninsel an der Südspitze der Iberischen Halbinsel befindet sich seit dem Frieden von Utrecht 1713 als strategisch wichtiger Flottenstützpunkt in britischer Hand und ist seitdem ein tief sitzender und stetig zwickender Stachel im nationalen Selbstbewusstsein Spaniens.

Sie bildet den Tiefpunkt und Abschluss einer schrittweisen Entmachtung der einstmals unangefochtenen See- und Kolonialmacht Spanien, die gut hundert Jahre zuvor mit den Niederlagen der spanischen Armada gegen Großbritannien begonnen hatte. Mit dem Westfälischen Frieden 1648 ging die Abspaltung und Unabhängigkeit der Spanischen Niederlande einher und nach dem Ende des Spanischen Erbfolgekrieges 1713/14 verlor man zusätzlich zu Gibraltar auch die südlichen Niederlande (das heutige Belgien).

Rosinenbomber für Gibraltar

In der Folgezeit war Spanien jedes Mittel recht, um wenigstens das kleine Gibraltar direkt vor den eigenen Toren zurück ins Königreich zu holen. Mehrere Belagerungen im 18. Jahrhundert blieben aber ebenso erfolglos wie spätere Versuche der Annektierung durch das Franco-Regime. Von 1969 bis 1985, also noch zehn Jahre über den Tod von El Caudillo hinaus, war die Grenze zu Spanien komplett dicht, zeitweise mussten die Briten ihre Landsleute aus der Luft versorgen. Allerlei Schikanen an der Grenze waren auch danach noch lange an der Tagesordnung.

Das alles haben die Gibraltarer nicht vergessen, zwei Volksentscheide aus den Jahren 1967 und 2002, bei denen es um die Zugehörigkeit der Kolonie ging, endeten mit 99-prozentiger Zustimmung für die britische Krone.

Die UNO hat das Problem vor einigen Jahren offiziell zur Angelegenheit zwischen Spanien und Großbritannien erklärt, erst seitdem gibt es erste vorsichtige Zeichen der Entspannung. Ein spanisch-englischer Vertrag zur Zusammenarbeit wurde geschlossen, im Sommer 2009 schließlich stattete der damalige spanische Außenminister Moratinos Gibraltar den ersten offiziellen spanischen Besuch seit 1713 ab.

Der Konflikt schwelt weiter

Gibraltar ist seit 1969 eigenständiges Mitglied im europäischen Cricket- und Hockeyverband, seit 1985 stellen sie auch eine Basketball-Nationalmannschaft. Doch der Stellenwert des Fußballs ist ein völlig anderer und eine Anerkennung der Gibraltar Football Asociation käme aus spanischer Sicht offenbar einer Verzichtserklärung auf die Enklave gleich.

Der Internationale Sportgerichtshof hatte mit seinem Urteil im Oktober des letzten Jahres aber vor allem bestätigt, dass Gibraltar die Bedingungen für eine Aufnahme grundsätzlich erfüllt.

Abgesehen vom unerheblichen rein sportlichen Aspekt - Spiele gegen das kleinste UEFA-Mitglied dürften in der Regel bereits vor dem Anpfiff entschieden sein - existiert in den Statuten ein Zusatz, der nur noch von der UN anerkannten Ländern die Möglichkeit einer Vollmitgliedschaft erlaubt. Doch für Gibraltar trifft dies nicht zu, da man ja bereits seit Ende der Neunziger Jahre bei FIFA und UEFA um die Aufnahme buhlt.

Enormes Konfliktpotenzial

So blieb dem Kongress auch nach dem CAS-Urteil in London am Ende kaum eine andere Möglichkeit, als den Mitgliedsantrag gegen alle Widerstände des Spanischen Verbandes durchzuwinken.

Doch in dem Sonderbeschluss der Kommission spiegelt sich das noch immer enorme Konfliktpotenzial des Falles Gibraltar wieder: Zur Begegnung Spanien - Gibraltar wird es in Zukunft aus nicht-sportlichen Gründen ebenso wenig kommen wie zu denen zwischen Russland und Georgien oder Aserbaidschan und Armenien.

Dafür ist die politische Dimension des Fußballs dann doch zu bedeutend.