Der Baron von Münchhausen des Fußballs

Von Benjamin Wahlen
Carlos "Kaiser" Henrique (l.) und Renato Gaucho (r.) bei einer Karnevalsveranstaltung in Brasilien
© getty
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So überzeugte er die Klub-Verantwortlichen zunächst von einem unzureichenden Fitnesszustand und trainierte wochenlang ohne Ball. Sobald er merkte, dass der Verein langsam ungeduldig wurde, täuschte er eine schwere bis katastrophale Verletzung vor, die ihm eine lange Schonfrist in der Reha-Abteilung verschaffte.

Kontrollieren konnte man das Ganze damals noch nicht, also glaubte man ihm. Viele Vereine verlängerten seinen Vertrag sogar trotz der andauernden Verletzungen, weil man den talentierten, im Ausland gereiften Henrique nicht einfach so ziehen lassen wollte.

Presse-Gewitter und Auslandsgespräche

Seine Schwindeleien wurden immer ausgereifter, Carlos konstruierte ein perfides Lügengerüst, dem er immer weitere Komponenten hinzufügte. So bezahlte er Zeitungen und Journalisten, die sich dafür irrsinnige Lobesgeschichten über ihn aus dem Fingern saugten und veröffentlichten. Er war auch einer der Ersten, der ein mobiles Telefon besaß. Damit lief er über das Vereinsgelände und täuschte lauthals Gespräche mit europäischen Top-Teams vor. Die Wenigsten ahnten, dass er nur mit seiner Phantasie sprach.

Zwei seiner überlieferten Aktionen sollten es auf die Spitze treiben. So hat er nach einem Wechsel ins schöne Frankreich zu Beginn des Trainings alle Bälle in die Zuschauerränge geschossen. Während sich die Verantwortlichen wunderten, freuten sich die Fans über die edle Geste der Neuverpflichtung. Dass der "Kaiser" sämtliche Spielgeräte entsorgte, lag in Wirklichkeit aber schlichtweg an seiner Angst, beim Training am Ball entlarvt zu werden.

Ein anderes Mal stand er kurz vor der Einwechslung. Ein Trainer hatte tatsächlich vor, ihn bei einem Pflichtspiel zum Einsatz kommen zu lassen. Nicht mit Carlos! Kurz bevor er den Rasen betreten sollte, zettelte er einen Streit und eine Schlägerei mit einem am Rande sitzenden Fan an.

In der Folge wurde Henrique mit Rot vom Platz gestellt. Das musste es jetzt aber doch wirklich gewesen sein, oder? Nicht mit Carlos! Als er vom Manager zum Apell gerufen wurde, erklärte ihm Carlo, dass er nur dessen Ehre verteidigt habe. Der Fan hätte den Manager beleidigt, woraufhin er habe einschreiten müssen. Zur Belohnung sprang eine Vertragsverlängerung heraus.

Kaiserliche Beziehungen und wilde Partys

Mittlerweile verfügte Carlos über ein riesiges Netz aus Verbindungen und Vitamin B. So hatte er zum Beispiel einen Freund mit gefälschtem Doktortitel, der ihm Bescheinigungen und Atteste schrieb. Im Gegenzug nahm er ihn zu etlichen seiner schillernden Partys mit.

Auf diesen Feiern traf er auch immer wieder die ganz Großen seines Sports, die ihm regelmäßig ihre Trikots schenkten. Die gab Henrique dann wiederrum an internationale Pressevertreter weiter, damit diese ihm auch in Europa zu einem hohen Bekanntheitsgrad verhalfen. So entstand auch sein Spitzname "Kaiser", der suggerieren sollte, er pflege eine ähnliche Spielweise wie der damalige Welt-Star Franz Beckenbauer.

So währte seine Karriere unglaubliche 20 Jahre, bis Carlos diese im Alter von 39 Jahren in Frankreich offiziell beendete und zurück nach Rio de Janeiro zog.

Die Geschichte von Kaiser Carlos Henrique pendelt stets zwischen Mythos, Legende, Lüge, Wahrheit und kreativer Erweiterung. Sicher spielte sich nicht alles so ab, wie es heute überliefert ist. Aber seien wir ehrlich: In einer Zeit, wo Fernsehrechte, Sponsorentermine und Steuerfragen Teil des Fußballs sind, da möchte man doch gerne daran glauben. An den Jungen, der Fußballer wurde, obwohl er kein Fußball spielen konnte.

Und wenn er nicht gestorben ist, dann trickst er die Welt wohl noch heute aus.