Ein Schnauzer formt das kleine Deutschland

Von Jochen Tittmar
Maciej Szczesny brachte seinen Sohn Wojciech mit 10 zum ersten Mal zu Krzysztof Dowhan
© legia.com

Krzysztof Dowhan ist Torwarttrainer bei Legia Warschau. Er ist einer der Faktoren, weshalb die polnische Nationalelf seit Jahren keine Probleme auf der Torhüterposition hat. Denn ob Artur Boruc, Lukasz Fabianski oder der aktuelle Nationalkeeper Wojciech Szczesny - sie alle durchliefen Dowhans Schule.

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Eine der gängigsten Floskeln im Fußball, die auch wieder bei der kürzlich abgelaufenen EM oft bemüht wurde, ist die Geschichte von den deutschen Torhütern.

Seit Jahrzehnten hat die deutsche Nationalelf keinerlei Qualitätsprobleme auf dieser Position. Viele andere Nationen beneiden den DFB um den beständigen Nachschub an exzellenten Torleuten. Und wenn man sich so manchen Flattermann der letzten Jahre vor Augen führt, hätten anderswo selbst die deutschen Ersatzkeeper gute Chancen auf den Platz als Nummer eins.

Polen gehört zwar nicht zu den ganz großen Schwergewichten auf Länderebene, was die Produktion an Torhütern in den letzten Jahren angeht, ist das Co-Gastgeberland der EM 2012 jedoch so etwas wie das kleine Deutschland. In Jerzy Dudek, Artur Boruc, Lukasz Fabianski, Tomasz Kuszczak oder der aktuellen Nummer eins Wojciech Szczesny brachte Polen Spieler heraus, die ihre Klasse auf internationalem Top-Niveau nachgewiesen haben oder gerade dabei sind, das zu tun.

Dowhan: Als Keeper selbst zu klein

Das Geheimnis, das dahinter steckt, hört auf den Namen Krzysztof Dowhan. Ein Mann, dessen Konterfei auf den ersten Blick an ein Panini-Bild der 1980er Jahre erinnert: Dicker Schnauzer, Seitenscheitel, emotionsloser Blick.

Dowhan arbeitet seit 2001 als Torwarttrainer bei Legia Warschau, einem der erfolgreichsten polnischen Fußballvereine. Der 56-Jährige blickt auf eine dröge Profikarriere zurück, für mehr als gehobenes Amateurniveau reichte es nicht. "Fehlendes Wachstum", sagt Dowhan heute.

Doch selbst wenn er damals 20 Zentimeter größer gewesen wäre, so weit wie nun als Coach hätte er es wohl nicht gebracht. Dowhan ist Polens bester Ausbilder für Torleute. Dudek, Boruc, Fabianski, Kuszczak, Szczesny - sie alle wurden an einem Punkt ihrer Karriere von Dowhan geschliffen.

Wiederholen matchähnlicher Situationen

"Er ist wahrlich nicht als etwas Spezielles geboren. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass er eine solche Trainerkarriere hinlegt", sagt Rudolf Kapera, damals bei Polonia Warschau der erste Vorgesetzte in Dowhans Laufbahn.

Und die begann schon kurz nachdem er die Kickstiefel an den Nagel hing. Bereits Wojciech Szczesnys Vater Maciej fing die Bälle, die ihm der Schnauzbärtige entgegenwarf. "Von ihm habe ich das größte Kompliment zu hören bekommen. Maciej war 33 Jahre alt und sagte zu mir, dass er niemals dachte, noch großartig etwas dazulernen zu können. Bis er unter mir trainierte", erzählt Dowhan.

Dowhans Trainingsansatz klingt simpel: Er baut auf das ständige Simulieren und Wiederholen matchähnlicher Situationen und versucht durch sein ruhiges und bescheidenes Naturell seinen Schülern den Druck zu nehmen, um die Konzentration aufs Wesentliche zu maximieren. "Ein Torwart muss effektiv sein, das ist der wichtigste Faktor. Eine gute Parade muss nicht schön aussehen, wie man einen Ball hält ist unwichtig", sagt Dowhan.

"Man kann die Physiologie nicht betrügen"

Zu seiner aktiven Zeit herrschte noch der Gedanke vor, dass ein Torwart nicht richtig trainiert habe, wenn er nach der Einheit noch laufen konnte. Dowhan beschreibt sein Training dagegen als elastisch und bekömmlich, er habe mit der Zeit gelernt, dass zu viel Ehrgeiz und Strenge die Beziehung zu seinen Torleuten vergifte. Zumal der Spezies Torwart nachgesagt wird, ein besonders eigenwilliger Typus Mensch zu sein.

"Eine gute Atmosphäre unter den Torhütern ist mir wichtig, die Beziehung zwischen mir und ihnen und jene unter den Keepern - alles muss stimmen. Ich spreche viel mit ihnen", so Dowhan, der auch auf die individuellen Talente seiner Schützlinge eingeht und diese gezielt fördert. Boruc, den er sechs Jahre trainierte, konnte beispielsweise seit der Jugend ordentlich mit der Kugel umgehen - Dowhans Fittiche verließ er als beidfüßiger und exzellenter Techniker. Ex-Legia-Torwart Jan Mucha hievte er in die slowakische Nationalelf und zum FC Everton.

Wer Dowhan auf dem Trainingsplatz herumtigern sieht, wird neben dem lässigen Schnauzer die Stoppuhr als auffälliges Merkmal wahrnehmen. Die lege er auch nie ab, denn: "Die Zeit für die Wiederholung einer Übung entspricht bei mir der Erholungszeit. Man kann die Physiologie nicht betrügen. Es ist essenziell, dass die Leistungseffizienz nach der ersten und der letzten Wiederholung dieselbe ist", sagt Dowhan. Und so wird eben wiederholt, bis der gewünschte Trainingseffekt erzielt ist. Eine etwaige Monotonie nimmt er bewusst in Kauf.

Angebot vom FC Arsenal ausgeschlagen

Eine der Stärken von Arsenals Szczesny ist dessen große Beweglichkeit, die er sich als Folge von Dowhans Akrobatik-Übungen bei Legia Warschau antrainiert hat. Handstände sind bei ihm an der Tagesordnung, alle "seine" Keeper zeichnen sich durch eine grandiose Koordination ihres Körpers aus. "Ein Torhüter muss ein ausgeprägtes Körpergefühl haben. Gerade bei hohen Bällen muss die Körperkoordination stimmen, um Verletzungen vorzubeugen", so Dowhan.

Polens Tiefe auf der Torhüterposition und Dowhans Reputation haben sich nicht erst durch die Wechsel seiner Schützlinge zu europäischen Großklubs auch in höherklassigen Ligen herumgesprochen. Als sich Szczesny (2006) und Fabianski (2007) den Gunners anschlossen und beide von ihrem ehemaligen Förderer schwärmten, klingelte bald darauf Dowhans Telefon.

Am anderen Ende der Leitung war Gerry Peyton, Ex-Nationalkeeper Irlands und derzeitiger Torwarttrainer unter Arsene Wenger. Er bot Dowhan an, sich Arsenals Jugendakademie anzuschließen und wieder mit Szczesny zu trainieren. Neben einer saftigen Gehaltserhöhung bestand die Chance, in der Hierarchie bis zu den Profis zu klettern.

Dowhan lehnte ab, auch der FC Fulham klopfte bereits vergeblich an. Die Aufgabe bei Legia ist für ihn eine Herzensangelegenheit. "Ich war nicht bereit. Einerseits wegen meiner Familie und weil es bei Legia noch Arbeit gab und noch immer gibt", so seine einfache Begründung.

Die Bescheidenheit des Torwarttrainers ist für Legia ein wahrer Segen. Rund sieben Millionen Euro verdiente der polnische Rekordpokalsieger mit Transfers von ihm ausgebildeter Torhüter. Eine enorme Stange Geld in der Ekstraklasa. Verrückt dabei: Für Szczesny bekam man von Arsenal damals nur 50.000 Euro.

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