Kuranyi: "Ich habe es geschafft zu entkommen"

Von Interview: Florian Regelmann
Kevin Kuranyis neuer Verein Dynamo Moskau liegt in Russland aktuell auf Rang neun
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SPOX: Sie leben jetzt ein sehr privilegiertes Leben in Russland. Sie haben es "geschafft". Wenn Sie an die Zeit denken, als Sie als Jungendlicher zwischen 13 und 15 in Panama in der größten Favela-Siedlung des Landes gelebt haben, was denken Sie dann?

Kuranyi: Es war eine Zeit, die mich sehr geprägt hat. Ohne Frage. Bevor ich nach Panama gekommen bin, haben wir ein gutes Leben geführt. Mein Vater hat gutes Geld verdient. Aber dann wurde alles anders, viel ärmer. Es war eine gefährliche Gegend, in der wir gelebt haben. Zum Glück habe ich es geschafft, zu entkommen und eine erfolgreiche Karriere zu machen, aber es hätte genauso gut in die andere Richtung laufen können. Die Zeit hat mich gelehrt, demütig und dankbar zu sein für das, was man hat.

SPOX: Wie gefährlich ging es damals zu?

Kuranyi: Es gab schon brenzlige Situationen. Wenn du ganz in deiner Nähe Schüsse hörst, bekommst du natürlich Angst. Ich habe viele schlimme Dinge gesehen. Im letzten Jahr ist mein Cousin mit 21 Jahren in einem Bandenkrieg erschossen worden. Das ist alles so traurig und bitter. Ich bin deshalb glücklich, dass ich das Leben habe, das ich habe. Das ist mir immer bewusst.

SPOX: Man kannte Ihre Geschichte lange nicht.

Kuranyi: Das war Absicht. Seit sieben Jahren veranstalte ich jedes Jahr ein Spiel in Panama. Ich wollte früher nie darüber sprechen, weil ich das nicht gebraucht habe. Aber jetzt habe ich das Buch über mein Leben ein bisschen weiter geöffnet. Wenn ich den Kindern dort einen Ball oder Trikots schenke und mit ihnen ein bisschen kicke und dann das Funkeln in ihren Augen sehe, macht mich das sehr glücklich. Und es macht mich stolz, dass ich es geschafft habe und diesen Kindern Hoffnung geben kann, dass sie es auch schaffen können. Und weil mich diese Zeit als Mensch so geprägt hat, kehre ich immer wieder dahin zurück. Wenn ich dann da bin, versuche ich, ganz normal Zeit zu verbringen. Es ist für mich wie ein Ausgleich zum völlig anderen Leben als Fußballer.

SPOX: Wenn man solche Dinge erlebt, wie sehr können einen dann noch Pfiffe im Stadion belasten?

Kuranyi: Die Sache mit den Pfiffen ist so: Klar bin ich sauer darüber, aber ich versuche, die Kritik so gut wie möglich anzunehmen und zu zeigen, dass ich es auch besser kann. Wenn die Leute pfeifen, dann denke ich mir: 'Heute pfeift ihr - und morgen versuche ich, so gut zu sein, dass ihr nicht mehr pfeift, sondern mir zujubelt.' Dadurch, dass ich es nie einfach hatte, bin ich ein großer Kämpfer geworden. Ich will immer zeigen, dass ich mich durchsetzen kann.

SPOX: Auch im Fußball war es ja nicht leicht für Sie. Als Mega-Talent kamen Sie als junger Knirps nicht gerade daher.

Kuranyi: (lacht) Das stimmt. Als ich mit sieben, acht, neun Jahren mit Fußball anfing und wir unter Freunden gespielt haben, wurde ich immer als Letzter in die Teams gewählt. Ich muss unglaublich schlecht gewesen sein. Aber es hat meinen Ehrgeiz geweckt und ich habe mich danach Jahr für Jahr verbessert. Bis ich dann als einer der ersten genommen wurde. Dieser Ehrgeiz hat mich auch später dahin gebracht, wo ich jetzt bin. Ich wollte mich schon immer ständig verbessern. Ich denke, das zeichnet mich aus.

SPOX: Ab welchem Zeitpunkt wussten Sie, dass Sie eine gute Fußballer-Karriere machen können?

Kuranyi: Das kam erst relativ spät. Als ich mit 15 Jahren nach Deutschland gekommen bin, war es am Anfang schwierig für mich. Ich war allein, kannte die Sprache nicht und musste jeden Tag 90 Minuten zum Training hin- und zurückfahren. Aber ich habe mir gesagt: 'Sei froh, was du hier in Deutschland für eine Möglichkeit hast, dich weiterzuentwickeln. Nutze diese Chance.' Danach bin ich in der Jugend immer weiter nach oben gekommen und habe einen Amateur-Vertrag beim VfB bekommen. Da wusste ich dann, dass ich es schaffen kann, durch den Fußball mein Leben zu sichern. Dafür habe ich alles gegeben.

SPOX: Wenn Sie die letzten Jahre Revue passieren lassen: Was war der schwierigste Moment Ihrer Karriere?

Kuranyi: Den größten Frust hatte ich 2006, als ich nicht für die WM im eigenen Land nominiert wurde. Das war ein echter Tiefschlag. Ich hatte so viele Spiele gemacht, auch Tore geschossen, ich war mir absolut sicher, dass mein Platz sicher ist. Aber so war es dann nicht. Daran hatte ich lange zu knabbern. Aber auch danach habe ich die Schuld bei mir gesucht und noch mehr trainiert, noch härter an mir gearbeitet, dass die Leute mit mir zufrieden sind und ich schließlich wieder im Kader stand. Das sind eigentlich die schönsten Erlebnisse meiner Karriere. Ich bin immer wieder zurückgekommen und habe mich überall durchgesetzt.

SPOX: Jetzt sind wir am Schluss bei der Nationalmannschaft angekommen. Sie wurden schon so oft nach ihrem Rauswurf befragt. Sagen Sie doch einfach mal, was Sie heute darüber denken.

Kuranyi: Wenn es eine Sache gäbe in meinem Leben, die ich ungeschehen machen könnte, dann wäre das nicht die Aktion von Dortmund. Da gibt es andere Sachen, die ich lieber nicht gemacht hätte. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich eine Entscheidung getroffen habe, die ich im Nachhinein bereut habe. Ich habe einen Fehler gemacht. Aber das ist das Leben. Menschen machen Fehler. Wer weiß, ob mir der Fehler nicht sogar geholfen hat, mich so weiterzuentwickeln, wie ich es seitdem getan habe. Alles was im Leben passiert, hat einen Grund. Daran glaube ich.

SPOX: Viel interessanter als die Vergangenheit ist die Zukunft. In Russland werden Sie nicht so im Fokus stehen wie in der Bundesliga. Glauben Sie innerlich wirklich noch an ein Comeback im DFB-Team?

Kuranyi: Ja, ich glaube daran. Joachim Löw hat mir vor der WM in einem Gespräch gesagt, dass ich es verdient gehabt hätte, zur WM zu fahren. Er wollte aber die Mannschaft, die die Qualifikation gespielt hat, zusammenlassen und niemanden von diesen Jungs für mich rauslassen. Nach der WM ändert sich die Lage jetzt wieder. Ich muss aber auch in Russland Leistung bringen und Tore schießen. Ich hoffe einfach auf eine faire Chance.

SPOX: Und dann kommt die WM 2014. Kevin Kuranyi. In seinem Geburtsland Brasilien. Für Deutschland. Im Finale...

Kuranyi: (lacht) Hören Sie auf. Ich hatte schon zweimal einen ganz großen Traum und zweimal ist er geplatzt. Deshalb will ich gar nicht mehr darüber nachdenken, was sein könnte. Zumal es noch so weit weg ist. Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt. Ich weiß nur, dass ich so gut wie möglich spielen und so viel wie möglich Erfolg haben will. Über alles weitere denke ich später nach. Aber natürlich wäre eine WM in Brasilien für mich der Hammer.

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