Ajax Amsterdam: Beste Waffenschmiede der Welt

Von Matthias Kerber
Beim letzten CL-Triumph von Ajax 1995 standen neun Spieler aus der eigenen Jugend auf dem Platz
© Getty
Cookie-Einstellungen

Ziel der Ajax-Spielphilosophie ist es, einen schnellen, kreativen und technisch versierten Angriffsfußball zu spielen, bei dem der Gegner frühzeitig unter Druck gesetzt wird und die gesamte Breite des Spielfelds ausgenutzt wird, um schnellen Kombinationsfluss zu gewährleisten.

Ebenso wichtig sind ein konsequentes Flügelspiel mit zwei echten Flügelstürmern und ein mitspielender Torwart. Von besonderer Bedeutung sind das schnelle Erkennen der Spielsituation und die richtige Positionsbesetzung innerhalb der Spieltaktik.

Das Spiel soll schnell aus den Abwehrreihen in die gegnerische Hälfte nach vorne getragen werden, um den Spieler frei zu spielen, der in der jeweiligen Situation am torgefährlichsten ist.

Ein System in allen Mannschaften

Alle Mannschaften bei Ajax spielen grundsätzlich ein 4-3-3. Die Spieler werden gezielt und individuell für eine bestimmte Position ausgebildet. "Trotzdem haben die Spieler eine große Freiheit sich zu entwickeln", sagt Vanenburg.

Aufgrund dessen, dass in der Jugend die gleiche Spielphilosophie vermittelt wird wie im Profiteam, brauchen sich die Kicker taktisch nicht an ein neues System anzupassen.

Das System wird aber keineswegs starr gehandhabt. "Alle Mannschaften bis zur Altersklasse von zwölf Jahren spielen ein 3-4-3 und später ein 4-3-3, aber das ist flexibel. Wenn wir zwei absolute Topstürmer haben, können wir es in ein 4-4-2 ändern", erklärt Riekerink.

Bestmögliche Integration in die Familie

Letztlich sei aber die individuelle Klasse wichtiger als das System. Das drückt sich auch in der Ausbildung der Talente aus.

"Bei Ajax werden die Spieler individuell trainiert, von unterschiedlichen Trainern. Es gibt nicht nur einen Coach, der für eine bestimmte Mannschaft zuständig ist. Jeder einzelne Mannschaftsteil wird spezifisch trainiert. Dazu kommt, dass bei Ajax ehemalige Profis in der Ausbildung tätig sind. Das ist zum einen sehr wichtig für die Identifikation mit dem Klub, zum anderen genießen sie höchsten Respekt und können ihre Erfahrung an die jungen Spieler weitergeben", so Vanenburg.

Die Ex-Profis - zur Zeit unter anderem Dennis Bergkamp, Frank de Boer und Arnold Mühren - sollen aber nicht nur ihr fachliches Wissen weitergeben, sondern sie dienen auch der Integration in die Ajax-Familie.

Der Übergang vom Jugend- zum Profifußball

Ab dem zwölften Lebensjahr werden auf der Grundlage der TIPS-Merkmale halbjährliche Leistungstests durchgeführt.Die Fortschritte werden in einem Spielerpass festgehalten.

Wer sich zurückentwickelt, muss um die Versetzung in den nächst höheren Jahrgang bangen und damit rechnen, aus der Akademie ausgeschlossen zu werden.

Um das ehrgeizige Ziel zu erreichen, jedes Jahr mindestens ein bis zwei Spieler in den Profikader zu bringen, muss der Klub den Leistungsgedanken konsequent umsetzen und fördern. "Dieses System ist für einen Verein wie Ajax enorm wichtig. Ajax muss seine Ressourcen darauf verwenden, junge Spieler bestmöglich auszubilden, um sie später gewinnbringend zu verkaufen. Nur so kann der Verein weiterleben", erklärt Vanenburg.

Jeder Spieler übernimmt Verantwortung

Durch Wettkämpfe mit Gleichaltrigen anderer europäischer Topklubs lernen die Youngster sehr früh den absoluten Siegeswillen und saugen das typische Ajax-Selbstbewusstsein und -Selbstverständnis in sich auf.

So fällt es den jungen Kickern nach dem Sprung in den Profikader auch nicht schwer, auf dem Platz von Anfang an Verantwortung zu übernehmen und auch bereits arrivierten Spielern Anweisungen auf dem Feld zu erteilen.

Ajax will selbstbewusste und mitdenkende Spieler ausbilden, die Verantwortung übernehmen, Entscheidungen treffen und diese konsequent umsetzen.

In der Ajax-Akademie gibt es bei diesem Druck aber nicht nur Gewinner. Die Spieler, die den Sprung in die erste Mannschaft nicht schaffen, werden an andere Klubs ausgeliehen oder verkauft. Eine Statistik besagt, dass etwa 55 Prozent aller Profifußballer in den Niederlanden zumindest eine kurzfristige Ausbildung an der Amsterdamer Talentschmiede durchlaufen haben. Oder anders ausgedrückt: Von den 14 im WM-Finale eingesetzten Spielern, haben sieben Teile ihrer Ausbildung bei Ajax genossen.

Seit Jahren im Champions-League-Exil

Doch auch Ajax Amsterdam bekommt die Auswirkungen des Bosman-Urteils und der globalisierten Fußballwelt zu spüren. Der Klub leidet wahrscheinlich wie kaum ein anderer unter den neuen Voraussetzungen. Die jungen Talente werden durch die europäische Konkurrenz bereits mit Anfang Zwanzig abgeworben. Bis Mitte der 90er Jahre konnten die Spieler reifen und haben den Klub im Durchschnitt erst mit 25 Jahren verlassen.

Dieser Aderlass ist sportlich nur sehr schwer zu kompensieren. Die letzte Meisterschaft errang man 2004. In der Champions League war man zuletzt in der Saison 2005/2006 vertreten.

Die letzte goldene Generation, mit der Ajax als Team erfolgreich war, wurde von Louis van Gaal trainiert. "Van Gaal ist ein Perfektionist. Der will die perfekte Organisation - auf dem Platz und im Verein. Der will immer das Maximale ausschöpfen und daran arbeitet er permanent. Das sieht man heute bei den Bayern und an der erfolgreichen Saison von Thomas Müller und Holger Badstuber", so Vanenburg.

Van Gaal ist der letzte Coach, der Ajax grundlegend neu strukturiert und konsequent auf Erfolg getrimmt hat - sowohl im Jugend- als auch im Profibereich. Der Erfolg gibt ihm Recht: 1992 gewann Ajax unter seiner Regie den UEFA-Cup, 1995 die Champions League sowie insgesamt drei Meisterschaften.

Immer schnellerer Aderlass

In jüngster Vergangenheit hat Ajax Spieler wie Zlatan Ibrahimovic, Rafael van der Vaart und Wesley Sneijder in schneller Abfolge verloren. Der Klub war nicht in der Lage, eine schlagkräftige Truppe aufzubauen, die europäischen Ansprüchen genügt.

Das liegt daran, dass die jungen Stars relativ günstig zu haben und hervorragend ausgebildet sind. Die Anzahl der verkauften Stars zeigt aber, dass Ajax nach wie vor mit die beste Jugendausbildung in der Welt unterhält. Auch in der aktuellen Mannschaft von Ajax spielen wieder hervorragend ausgebildete Talente.

Der 18-jährige Däne Christian Eriksen wird in seiner Heimat als neuer Michael Laudrup gehandelt. "Er ist ballsicher, bietet sich immer an und wirkt für sein Alter auf dem Platz ungemein erwachsen und reif", sagt der ehemalige HSV-Profi Stig Töfting im SPOX-Interview. Damit verkörpert Eriksen genau die Eigenschaften, auf die in der Ajax-Ausbildung besonders Wert gelegt wird. Auch sein 20-jähriger Teamkollege Siem de Jong wird mit Sicherheit in nicht allzu ferner Zukunft in den Fokus europäischer Spitzenklubs geraten.

Die beste Waffenschmiede der Welt

"Auch wenn Ajax momentan international keine große Rolle spielt, sieht man doch, dass der Verein immer noch eine Reihe sehr guter Spieler hervorbringt und ins Ausland verkauft. Diese Jungs genießen immer noch einen sehr großen Respekt in der Welt", resümiert Vanenburg.

Dass es dem Ajax von heute aber ergeht wie seinem griechischen Namensgeber ist nicht zu erwarten, aber vielleicht gibt es dennoch eine kleine Parallele.

Nach Achilleus' Tod stritten sich Odysseus und Ajax über die Waffen und die Rüstung des Achilleus. Odysseus konnte den ausgeschriebenen Wettkampf und so die Waffen für sich gewinnen.

Der Odysseus unserer Zeit sind die großen europäischen Klubs, die stets die besten Waffen, sprich Spieler für sich gewinnen. Produziert werden diese allerdings in der besten Waffenschmiede - und die heißt Ajax Amsterdam.

Der aktuelle Kader von Ajax Amsterdam