Abgang durch die Hintertür

Von Matthias Kerber
Patrick Kluivert feierte mit Ajax seinen größten internationen Triumph
© Getty

Patrick Kluivert war ein Ausnahmestürmer. Er bestritt 343 Ligaspiele und schoss 149 Tore. Er ist immer noch Rekordtorschütze im Oranje-Team. Für Aufsehen sorgte er aber vor allem abseits des Platzes. Nun hat er seine Karriere beendet. Das Enfant terrible im Porträt.

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Die berühmte Ajax-Schule hat sich fast ein Vierteljahrhundert Zeit gelassen, um sich wieder Europas Krone aufzusetzen. Es gibt wieder eine Mannschaft, die den Gegnern den Angstschweiß auf die Stirn treibt. Eine bunte Mischung aus Eigengewächsen und erfahrenen Spielern. Eigengewächse, die der Verein züchtet, wie man es sonst nur aus holländischen Gewächshäusern kennt.

Für die gesamte Ajax-Rasselbande wird die Champions-League-Saison 1994/95 zur Tingeltour durch Europas Stadien, wo jeder Gegner unaufgeregt in Grund und Boden gespielt wird.

Europa liegt Kluivert zu Füßen

Im Finale vollstreckt Kluivert zum Sieg. Der Jubel um den Youngster kennt keine Grenzen. Zwar gibt es in jener Mannschaft mit Edgar Davids, Clarence Seedorf, Marc Overmars, Edwin van der Sar und den de Boer-Zwillingen bereits eine Reihe von Weltklassespielern - allesamt noch keine 25 Jahre alt. Doch die größten Begehrlichkeiten weckt der junge Kluivert.

Die Welt und die Topklubs Europas liegen ihm zu Füßen. Kluivert zieht es 1997 zum AC Milan. Da ist er gerade mal 20 Jahre alt und gilt nicht nur bloß als größtes Stürmertalent der Welt, sondern bereits als einer der besten Angreifer überhaupt.

Tragische Vergangenheit

Doch zu diesem Zeitpunkt hat er in seinem noch jungen Leben abseits des Fußballplatzes schon einiges hinter sich und zu verkraften. Seine Unbekümmertheit und Ausgelassenheit, die ihn auf dem Platz zu einem Ausnahmestürmer macht, wird ihm im Alltag zum Verhängnis. Im Herbst 1995 verursacht er betrunken einen tödlichen Verkehrsunfall. Er wird zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Ein Jahr später wird er wegen des Verdachts der Vergewaltigung angeklagt. Das Verfahren wird jedoch aus Mangel an Beweisen eingestellt. Die Folge sind Morddrohungen und Beschimpfungen. Seine Familie geht vorerst zurück nach Curacao.

Sein Glanz verblasst. Mit der traumwandlerischen Sicherheit, mit der er seine Tore markiert, ramponiert er zunehmend sein Image als Mensch. Die Eskapaden abseits des Fußballplatzes werden zu einer schweren Hypothek und begleiten ihn seine gesamte Karriere. Seine Leistungen auf dem Platz treten in den Hintergrund. Es dreht sich zu häufig um seine tragische Vergangenheit. Sportlich ist er bei Milan nur noch ein Schatten früherer Tage. Er wechselt nach nur einem Jahr in Italien zum FC Barcelona.

Image der Skandalnudel

Nach dem Seuchenjahr in Mailand spielt er bei der Weltmeisterschaft in Frankreich. Es soll seine WM werden. Aber auch hier holt ihn seine Vergangenheit ein. Im ersten Spiel gegen Belgien fliegt Kluivert vom Platz und wird für zwei Spiele gesperrt. Sein Gegenspieler Lorenzo Staelens soll ihn als Vergewaltiger beschimpft haben. Kluivert revanchiert sich mit einem Ellbogencheck.

"Das war eine WM mit Hoch- und Tiefpunkten", sagte er später. Die Höhepunkte - er trifft im Viertelfinale gegen Argentinien und im Halbfinale gegen Brasilien - werden nur am Rande erwähnt. Es scheint interessanter zu sein über seine Vergangenheit zu berichten. Gegen das Image als Skandalnudel kämpft er seine ganze Karriere an, weshalb ihm mal der Spitzennamen Don Quijote verliehen wurde. Sein damaliger Teamkollege bei Ajax und Barcelona, Michael Reiziger, sagte einst: "Alles was ich über ihn sage, wird gegen ihn verwendet."

Mit Licht und Schatten

In Spanien wird er trotz des Gewinns der Meisterschaft und einer unglaublichen Quote von 90 Toren in 182 Spielen für die Katalanen nicht zur Wunderwaffe, vor der jeder Gegner in Ehrfurcht erstarrt. Die Ajax-Zeit scheint endgültig vorbei. Kluivert spielt zwar regelmäßig, aber so richtig zufrieden ist man mit ihm nicht. Als der brasilianische Weltstar Rivaldo kommt, nimmt kaum noch jemand Notiz von dem Niederländer.

Sein Stern sinkt weiter. Kluivert scheint den Spaß und die Lust verloren zu haben. Er macht nur noch durch Abenteuer in Barcelonas Nachtleben auf sich aufmerksam. Barca zieht 2004 einen Schlussstrich und schiebt ihn ablösefrei zu Newcastle United ab.

Kluivert ist mittlerweile 28 Jahre alt - eigentlich das beste Alter für einen Fußballer. Nicht so bei ihm. Die Stars auf der Insel sind andere - sein Landsmann Ruud van Nistelrooy und der Franzose Thierry Henry. Kluivert ist einer unter Vielen. Hier ist nach einer Saison Schicht.

Rückkehr nach Spanien

Er geht zurück nach Spanien, zum FC Valencia. Die Spanier können sich noch gut an den feierlaunigen ehemaligen Weltklassestürmer erinnern und gehen auf Nummer sicher. Es wird vertraglich festgehalten, dass der Klub den Kontrakt mit dem Spieler auflösen kann, wenn dieser mehr als dreimal in einer Disko gesichtet werden sollte. Eine Demütigung. Kluivert gibt sich trotzdem kämpferisch. "Ich bin nach Valencia gekommen, um Tore zu schießen und nicht um auf Partys zu gehen. Die Leute werden das bald merken." Das tun sie leider nicht.

Die Sondervereinbarung ist gegenstandslos. Denn auch bei Valencia ist er nur noch Mitläufer und wird nicht benötigt. Sein einstig hell leuchtender Stern hat nur noch den stumpfen Glanz einer abgegriffenen Münze.

Kluivert wird aussortiert

Er kehrt in die Heimat zurück - zum PSV Eindhoven. Aber auch hier kommt er nicht mehr in Tritt. Kluivert ist alt geworden. Die Fitness und die Spritzigkeit früherer Tage ist weg. Er wirkt schwerfällig und nicht fit. PSV-Trainer Ronald Koeman sortiert ihn aus. Auf der Suche nach einer sportlichen Renaissance zieht Kluivert weiter nach Frankreich zum OSC Lille. Dort spielt er für "bescheidene" 45.000 Euro brutto im Monat. "Wäre es ums Geld gegangen, dann hätte ich sicherlich in den Emiraten unterschrieben", sagte Kluivert damals.

Aber auch in Lille findet er nicht mehr zu alter Form zurück. Er bestreitet kein Spiel über die volle Distanz. Zweimal wird er bereits nach nur einer halben Stunde vom Platz genommen. Die Höchststrafe für den einstigen Weltklassestürmer. Sein Vertrag wird nicht verlängert.

Das war vor zwei Jahren. Einen Verein als Spieler hat er seitdem nicht mehr gefunden. Bei seinem alten Spiritus Rector Louis van Gaal macht er im Rahmen der verkürzten Trainerausbildung für Ex-Profis ein Praktikum.

Ganz leiser Abgang

Das Fußballspielen will er da aber noch nicht aufgeben. "Ich gebe mir noch einen Monat Zeit, um noch mal einen ordentlichen Klub zu finden. Ich fühle mich immer noch als Fußballer. Seit ich bei AZ als Assistent arbeite, kribbelt es wieder", sagte er damals. Dieses Kribbeln scheint nun aufgehört zu haben.

Seine Tingeltour durch Europa, die 1995 mit dem Champions-League-Gewinn begann, endet nun. Patrick Kluivert hat jetzt offiziell seine Laufbahn beendet; ohne Pomp und Gloria, wie seine Karriere einst begann. Ganz leise sagte Kluivert Servus.

Kluivert bekommt Trainerdiplom