Es war einmal ein Superstar

Von Alexis Menuge
kluivert, patrick, lille
© Imago

München/Lille - Im Norden Frankreichs, auf dem Trainingsgelände von Camphin-En-Pevele, dreht ein Mann seine Runden. Er wirkt langsam, fast behäbig, sein rechtes Knie ist angeschwollen. Nach zehn Minuten Lauftraining scheint er völlig erschöpft.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

Sein Körper sieht schwerfällig aus, seine Backen sind dick. Doch sein Gesicht trägt altbekannte Züge: Es ist Patrick Kluivert (Steckbrief). Der einstige niederländische Superstar steht seit vier Monaten beim französischen Erstligisten OSC Lille unter Vertrag.

Allerdings schleppt er ganz offensichtlich einige Kilos zu viel mit sich herum, und er ist meilenweit von seiner Topform aus früheren Zeiten entfernt. Nach Weltvereinen wie Ajax Amsterdam, AC Mailand, Barcelona, Valencia, Newcastle und zuletzt Eindhoven hatte er im letzten Sommer keine große Auswahl, nachdem seine Zeit beim PSV unter Trainer Ronald Koeman endgültig abgelaufen war.

Beide sprachen monatelang nicht miteinander, weil der "große Blonde" nicht mehr auf Kluivert setzte und ihm mangelnde Fitness vorwarf. Neben Klubs aus den Emiraten waren dann auch Lille und angeblich sogar Hansa Rostock an ihm interessiert.

Bescheiden, aber empfindlich

"Wäre es nur wegen des Geldes gewesen, dann hätte ich sicherlich in den Emiraten unterschrieben. Doch die Herausforderung in Lille gefiel mir, weil der Verein mich brauchte, um die jungen Spieler zu führen. Außerdem spielte Lille in den letzten Jahren zwei Mal in der Champions League. Und schließlich sind hier die Arbeitsbedingungen sehr modern. Auf jeden Fall besser als in Eindhoven", teilte Kluivert kürzlich mit.

Doch der wahre Grund für seinen Transfer nach Frankreich: Die Metropole aus der Region Pas-de-Calais liegt nur drei Autostunden von Amsterdam entfernt, wo drei seiner vier Kinder derzeit leben.

Und bisher zeigt der Holländer auch keinerlei Star-Allüren. Er ist eher nett und bescheiden gegenüber seinen Teamkollegen. Empfindlich wirkt er lediglich bei manchen Interviews.

Tragische Vergangenheit

Dabei kam es schon mal vor, dass er einen Journalisten nach ein paar Fragen einfach stehen ließ, nachdem die zwei für ihn tragischen Themen aus seiner Vergangenheit zum Gegenstand des Gesprächs wurden.

Einmal verursachte Kluivert in Amsterdam einen tödlichen Unfall, bei dem er selbst betrunken am Steuer saß. Und er war in einer Vergewaltigungs-Affäre verwickelt. Das Verfahren wurde letztlich eingestellt.

Doch darüber will Kluivert heute nicht mehr sprechen. Er will sich rein aufs Sportliche konzentrieren.

"Es ist meine Schuld"

Nach vier Monaten allerdings ist seine diesbezügliche Bilanz alles andere als beeindruckend.  Lille ist akut abstiegsgefährdet (Platz 17). Und Kluivert zeigt bei Weitem mehr schwache als starke Spiele. Was er auch unumwunden zugibt: "Mit nur zwei Toren in sieben Liga-Partien kann ich natürlich nicht zufrieden sein. Es ist vor allem meine Schuld dass Lille so schlecht da steht."

Lille-Trainer Claude Puel ließ Kluivert noch kein einziges Mal durchspielen. Zuletzt holte er den Holländer zwei Mal bereits nach einer halben Stunde vom Feld: Die Höchststrafe für den einstigen Weltstar, die ihn tief deprimierte und noch tiefer verärgerte.

Sein Noten-Schnitt in der französischen Sport-Zeitung "l'equipe" allerdings spricht für sich: Eine glatte 5! Bitter für einen Mann, der sich heute mit einem Monats-Gehalt von "nur" 45.000 € brutto zufrieden geben muss.

Der letzte große Traum

Nicht einmal in Lille ist Kluivert Spitzenverdiener. Doch er will sich nicht hängen lassen und kündigt an: "Ich will es noch einmal allen zeigen. Und außerdem: Ich wiege nicht mehr als ich wiegen muss. Ich bin fit. Ich esse völlig gesund. Ich habe keine Defizite."

Kluivert, der allein mehr Titel gewonnen hat als der gesamte Verein Lille in seiner ganzen Geschichte, hat noch immer einen großen Traum: Allen Kritikern zum Trotz, peilt er nämlich die kommende Europameisterschaft an!

"Wenn es mit Lille gut läuft, und ich meine Leistung zeige, dann werde ich auch zur EM mitfahren", glaubt er selbstbewusst. Außer ihm jedoch glaubt das kaum jemand: Seit 2004 hat Kluivert nicht mehr das Oranje-Trikot getragen.

Trauriges Ende in den Emiraten

Auch wenn Kluivert insgesamt 40 Treffer in 79 Länderspielen erzielt hat, trennen ihn heute Welten von den Konkurrenten aus der Nationalmannschaft wie zum Beispiel Ruud van Nistelrooy, der bei Real Madrid nach wie vor ein Tor nach dem anderen erzielt.

Und Kluivert weiß selbst nur zu genau: "Ich bin heute 31. Ich habe in meiner Karriere viele Spiele bestritten, und im konditionellen Bereich kann ich nicht mehr so viel tun wie früher." Sein Vertrag läuft in fünf Monaten aus. Und bis dato sind die Verantwortlichen von Lille nicht bereit, mit ihm zu verlängern.

"Ich möchte noch zwei Jahre spielen. Vielleicht dann in den Emiraten. Und irgendwann wird dann der Körper Stopp sagen", weiß Kluivert. In jeder Hinsicht ein trauriges Karriere-Ende für einen einstigen Weltstar.