"Milliarden werden verschwinden"

SID
Romario Dunga Blatter 2014 WM Brasilien
© Getty

Rio de Janeiro - Samba, Sorge, Skepsis: Die WM 2014 spaltet Brasilien. Bei den offiziellen Jubelfeiern tanzten die Menschen fähnchenschwenkend zu heißen Rhythmen, doch der Zuschlag für das Fußball-Fest in sieben Jahren löste nicht nur Partys, sondern auch Skepsis aus.

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"Das wird wieder eine große Klauerei, Steuergelder werden verschwinden", klagte Socrates. Ein Großteil der geplanten Kosten von mindestens neun Milliarden Dollar (6,3 Mrd. Euro) "wird aus der Tasche des Volkes fließen", ist sich der frühere Weltstar sicher.

Mit diesen Bedenken ist er nicht allein. Zweifel an der Fähigkeit des Schwellenlandes, das WM-Mammutprojekt zu stemmen, überlagerten schnell die Freude.

Auch die bekannte TV-Sportjournalistin und Stadträtin von Sao Paulo, Soninha, ahnt für 2014 Schlimmes. "Die WM-Vergabe an Brasilien ist verwegen. Unsere Korruption ist ja mehr als bekannt", sagte sie. Kritische Stimmen dieser Art erzürnen nicht nur den nationalen Fußball-Verbandspräsidenten Ricardo Teixera.

"Ich verlange Respekt"

Auch FIFA-Chef Joseph Blatter reagierte gleich nach der Vergabe an den Rekordchampion gereizt auf Fragen zu den brennenden Themen Kriminalität, Verkehr und Stadionbau. "Ich verlange Respekt gegenüber der FIFA und ihren Mitgliedern", raunzte Blatter auf kritische Fragen.

Mit aller Macht will der Weltverbandspräsident verhindern, dass um die WM-Tauglichkeit Brasiliens die gleiche Diskussion entsteht wie um 2010-Gastgeber Südafrika. Dass die zweite WM nacheinander in ein Land mit großen sozialen Problemen vergeben wurde, ist aber auch dem Schweizer offenbar bewusst.

Schon jetzt kündigte der FIFA-Boss an, dass es in Brasilien wie auch in drei Jahren in Südafrika eine spezielle, vergünstigte Ticketkategorie für die einheimische Bevölkerung geben wird.

Komfort eines Drittligastadions

Nicht ein einziges der 18 zur Auswahl stehenden Stadion ist zur Zeit reif für die WM. Das legendäre Maracana in Rio wurde vor den Panamerikanischen Spielen für 150 Millionen Euro renoviert. Dennoch bietet es nur den Komfort eines europäischen Drittligastadions.

Eine Inspektionskommission der FIFA schätzte jüngst, Brasilien werde allein für die Stadien 1,1 Milliarden Dollar ausgeben müssen. Dass diese Summe nicht genügen könnte, ist anzunehmen. Derzeit wird untersucht, warum die Kosten für die Panamerikanischen Spiele 2007 in Rio auf mysteriöse Weise um das Zehnfache auf 1,6 Milliarden Euro in die Höhe schossen.

Alles nur Vorurteile? 

Sportminister Orlando Silva weist unterdessen alle Bedenken zurück. Die Kritiken ausländischer Medien zeugten von Vorurteilen, meint er. Auch Altcoach Mario Zagallo sieht nur Positives: "Wir haben sieben Jahre, das ist sehr viel Zeit". Die meisten im Ausland tätigen Profis erklärten, eine WM-Teilnahme im eigenen Land wäre ein Traum.

"Die WM wird die Stimmung in Deutschland noch übertreffen. Denn Brasilien ist rettungslos Fußball verrückt. Es wird ein Riesenfest. Mein Land wird einen Monat durchfeiern", sagte Marcelo Bordon von Schalke 04. 

Zu Investitionen gezwungen

Der Alltag in Brasilien ist für viele Menschen keineswegs ein Traum. Rio ist von unzähligen Slumhügeln "umzingelt", in denen die Drogenmafia das Sagen hat. Stundenlange Feuergefechte mit der Polizei und zwischen rivalisierenden Banden sind an der Tagesordnung. Rund 40.000 Menschen werden jedes Jahr in Brasilien ermordet. Aber nicht nur die Frage der Sicherheit treibt Sorgenfalten auf die Stirn der realistischen Brasileiros - und wohl auch der FIFA-Verantwortlichen. 

Der schlechte Zustand der Landstraßen in einem riesigen Land ohne Eisenbahnnetz und mit einem chaotischen Luftverkehr, das Fehlen einer U-Bahn in den meisten der 18 Bewerberstädten sowie das tägliche Verkehrschaos in allen Großstädten sind weitere Problemfelder. Dramatisch ist auch die Situation in fast allen öffentlichen Krankenhäusern. Die Zeitung "O Globo" enthüllte, dass schlecht verdienende Ärzte Pflaster aus eigener Tasche bezahlen und oft mit behelfsmäßigen Instrumenten operieren müssen.

Die WM-Befürworter argumentieren, dass gerade diese Sorgen durch die WM beseitigt würden, da das Land zu Investitionen gezwungen sei. Eine Aberkennung der Gastgeberrolle, wie 1986 Kolumbien widerfahren, wäre eine nationale Schande. Und wie in einer Drohkulisse schreibt die Zeitung "Folha de Sao Paulo" in ihrer Onlineausgabe schon von beginnender "Lobbyarbeit" der Notfallkandidaten USA und Kanada.