Erst sechs Jahre ohne Fußball, jetzt WM-Star: Die Geschichte von Deutschlands Marina Hegering

Von Celine Chorus
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© getty

Sechs Jahre lang konnte Marina Hegering keinen Fußball spielen, nun steht sie bei der Frauen-WM im Fokus. Ihre Geschichte gleicht einem Märchen.

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Den Blick auf einen Punkt in der Ferne gerichtet, wartet Marina Hegering darauf, die Stufen des Roazhon Parks hinunter auf den Rasen zu schreiten. Als sich die DFB-Frauen langsam in Bewegung setzen und sich dem Licht am Ende des Tunnels nähern, kann man nur erahnen, woran die 29-Jährige in diesem Moment wohl denken muss. Gegen China startet Deutschland an diesem Samstag in die Frauen-WM in Frankreich. Es sind nur noch wenige Meter, bis Hegering mit ihren Schuhen den Platz berühren und im Innenraum des Stadions stehen wird.

In den letzten Jahren hatte die Innenverteidigerin von der SGS Essen stets zusehen müssen, als ihre Teamkolleginnen 2013 Europameister wurden oder 2016 die olympische Goldmedaille gewannen. Dass sie nach Jahren des Leidens nun endlich selbst zum Kader von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg gehört, hätte sich die in Bocholt geborene Fußballerin noch vor wenigen Monaten niemals erträumen lassen. Angeführt von den Schiedsrichterinnen verlassen die Spielerinnen die Katakomben - und für Hegering beginnt damit die schönste Reise ihres Lebens.

Der Anfang vom Ende für Hegering?

Rückblick auf die U20-WM im eigenen Land: Damals, vor neun Jahren, gehörte Hegering zu den großen Talenten des deutschen Frauenfußballs. Sie war bereits für die U15, U17 und U19 des DFB aufgelaufen und ist mit 18 Spielen bis heute Rekordspielerin der U20 vor Dzsenifer Marozsan und Lina Magull (je 17). Auch im Verein konnte die damals 20-Jährige auf eine erfolgreiche Saison blicken: Mit dem FCR 2001 Duisburg hatte Hegering 2009 den DFB-Pokal und die UEFA Women's Champions League gewonnen, die bis dahin noch unter anderem Namen ausgetragen wurde.

Durch ein 2:0 gegen Nigeria im Finale sicherte sich die U20 in Bielefeld die Trophäe. Hegering gehörte bei dem Turnier zu den Leistungsträgerinnen, ihre Entwicklung schien bereits vorgezeichnet. Doch dann verletzte sich die Verteidigerin an der Ferse - und sollte in den nächsten sechs Jahren keinen Fußball spielen. "Eigentlich war das keine Riesensache, allerdings gab es nach der ersten Operation eine Wundheilungsstörung", sagte Hegering zuletzt im Gespräch mit dem ZDF: "Und das hat sich leider sehr lange gezogen."

Während ihren Teamkolleginnen, von denen sechs ebenfalls dem aktuellen WM-Kader angehören, alle Türen offen standen, musste das Abwehrtalent darum bangen, jemals wieder Bundesliga-Niveau zu erreichen. Die Beschwerden wollten sich einfach nicht legen. 2011 wechselte Hegering zwar zu Bayer Leverkusen, an eine Rückkehr war damals aber noch immer nicht zu denken.

Eine Osteopathin bringt für Hegering den Durchbruch

Erst nach zwei Jahren konnte sie ihr Debüt für den Bundesligisten geben, doch die Begegnung sollte sich nur als weitere Enttäuschung herausstellen. Der Fuß war noch nicht bereit für die Belastung und Hegering machte sich Gedanken, was aus ihr werden würde, sollte die Behandlung nicht bald Erfolge zeigen: "Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich niemals daran gedacht habe, aufzuhören", verrät Hegering im Interview mit SPOX und DAZN: "Das war immer wieder ein Gedanke, der da war, den ich aber trotzdem nicht wahrhaben wollte."

Hegering musste sich einen Plan B überlegen, sich auf die Erkenntnis vorbereiten, vielleicht niemals wieder Fußball spielen zu können. Ihr Sport-Studium konnte sie wegen der Verletzung ebenfalls nicht fortsetzen. Sie fasste daher den Entschluss, eine kaufmännische Ausbildung anzufangen - in dem Bauunternehmen arbeitet die 29-Jährige bis heute.

Doch Hegering wollte ihren Traum, eines Tages wieder auf dem Platz zu stehen, nicht aufgeben, und wendete sich in ihrer Heimat an eine Osteopathin. Dort ist sie inzwischen seit vier Jahren in Behandlung, mit ihrer Hilfe konnte sie in der Bundesliga nochmals Fuß fassen. In ihrer ersten Saison für die SGS Essen, bei der Hegering seit 2017 unter Vertrag steht, absolvierte sie an der Seite von Sara Doorsoun 21 Spiele - aber als Fußballerin erneut das deutsche Trikot tragen?

Hegering über ihre WM-Nominierung: "Eine Riesenfreude"

Sie hatte die Hoffnung bereits aufgegeben. Ihr Wille, nach der schwierigen Verletzung wieder aufzustehen und einen neuen Anlauf zu wagen, sollte sich allerdings auszahlen. Voss-Tecklenburg, die Hegering bereits in Duisburg trainiert hatte, verlor die Verteidigerin nicht aus den Augen. Vor zwei Monaten gegen Schweden (2:1) gab Hegering ihr längst abgeschriebenes Debüt bei den DFB-Frauen.

"Ihre Lebensgeschichte ist etwas Besonderes. Ich glaube, dass sie mit ihrer Erfahrung ganz wichtig für das Team werden kann. Sie kommt in einen Raum und ist sofort präsent", lobte die Bundestrainerin. Deutschland bei der WM in Frankreich vertreten zu dürfen, wäre Hegering aber wohl selbst im Traum nicht eingefallen. "Das ist Wahnsinn! Am Anfang habe ich es nicht glauben, nicht realisieren können", ließ die 29-Jährige bei Spiegel Online ​durchblicken: "Es war eine Riesenfreude, mit Tränen und allem."

Zwar möchte Hegering bei der WM bis ins Finale kommen und nochmals einen Titel mit Deutschland gewinnen, in erster Linie geht es für sie aber darum, jeden einzelnen Moment des Turniers in sich aufzusaugen. Das unterscheidet sie von den anderen 14 Spielerinnen, die in Frankreich ebenfalls ihr WM-Debüt geben. "Sechs Jahre steckt man nicht einfach weg. Zu manchen Dingen habe ich vielleicht auch eine andere Einstellung", betonte Hegering einst im ZDF.

Marina Hegering schreibt ihr eigenes Märchen

Das ist auch dem Publikum nicht entgangen. Gegen Japan (2:2) und Chile (2:0) wurde Hegering jeweils zur "Spielerin des Spiels" gekürt - und Voss-Tecklenburg sieht sie in einer tragenden Rolle bei der WM. "Das, was gerade passiert, ist das i-Tüpfelchen auf allem", meinte Hegering selbst. In den ersten vier WM-Spielen bildete sie mit Doorsoun die Abwehrzentrale und ließ sich über jeweils 90 Minuten nicht anmerken, dass die WM ihr erstes großes Turnier nach sechs Jahren Pause ist.

"Den Ausgang meiner Geschichte kann man tatsächlich als Märchen bezeichnen. Dass ich nochmals in der Bundesliga spielen darf, ist bereits ein Traum, und dass ich nun hier bin, ist die Krönung", so die Innenverteidigerin. Denn wie auch immer sich die DFB-Frauen im weiteren Verlauf der WM schlagen, die Erinnerungen kann Hegering keiner nehmen: "Ich habe nichts zu verlieren, weil ich bereits alles gewonnen habe."

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