"Der schlimmste Moment meiner Karriere"

Von Interview: Sebastian Schramm
Anja Mittag hat eine schwierige Zeit durchgemacht. Nun ist sie wieder zurück
© Imago

2011 sollte das Jahr von Anja Mittag werden, doch die Weltmeisterschaft im eigenen Land wurde zum Albtraum: Sie wurde kurz vor dem Ziel aus dem Kader gestrichen. Im Interview mit SPOX spricht die Stürmerin über die schlimmsten Stunden ihrer Karriere, den Saisonstart mit Potsdam und ihre Vorliebe für Uhren.

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SPOX: Frau Mittag, wann haben Sie sich das letzte Mal eine Uhr gekauft?

Mittag: Ich glaube, das war in meinem Sommerurlaub in Schweden. Warum fragen Sie?

SPOX: Weil Sie angeblich eine große Affinität zu Uhren haben.

Mittag: Da haben Sie aber gut recherchiert (lacht). Obwohl ich mir gar nicht erklären kann, woher diese Affinität stammt. Ich liebe einfach Uhrengeschäfte, wenn ich darin stöbern kann und eine passende für mich finde. Uhren am Handgelenk sind einfach schön.

SPOX: Im Sommer lief Ihre Zeit im Nationalteam früher ab als geplant. Silvia Neid strich Sie noch vor der WM aus dem Kader. Haben Sie etwas geahnt?

Mittag: Komischerweise habe ich damit gerechnet.

SPOX: Sie haben damit gerechnet?

Mittag: Ja, schon. Ich habe mir selber nicht mehr vertraut, dadurch habe ich Stück für Stück den Glauben daran verloren, noch auf den WM-Zug aufzuspringen. Und wenn man dann Elf gegen Elf spielt und man wird nicht eingesetzt oder nur sporadisch, dann beschleicht einen dieses Gefühl und du sagst dir: "Hey, irgendwas läuft hier falsch."

SPOX: Gab es denn Anzeichen für eine Nichtnominierung?

Mittag: Im letzten Vorbereitungsspiel vor der endgültigen Nominierung kommen meist die Spielerinnen zum Einsatz, die dann auch wirklich mitfahren sollen. Da wurde ich dann auch nicht eingesetzt. Ich kannte das Prozedere schon durch die Jahre zuvor und dann war mir fast klar, dass es nichts mehr mit der Heim-WM wird.

SPOX: Wie wurde Ihnen die endgültige Absage mitgeteilt?

Mittag: Die Bundestrainerin hat mich per Telefon informiert. Das Gespräch war recht kurz und letztendlich war auch nur die Erklärung dabei, dass ich nicht dabei bin. Ich war sowieso nicht im Stande mehr aufzunehmen.

SPOX: Sie waren geschockt.

Mittag: Das war der schlimmste Moment meiner Karriere. Das haut einen schon um. Ich habe aber versucht mich abzulenken, das ist mir ganz gut gelungen. Urlaub, Freunde treffen oder sich mal bei den Eltern blicken lassen. Den Fußball einfach mal beiseiteschieben und sich Zeit für sich zu nehmen, tut nach so einer Enttäuschung sehr gut.

SPOX: Mittlerweile waren Sie schon wieder bei der EM-Qualifikation dabei und haben mit Frau Neid zusammengearbeitet. Wie war es, wieder dabei zu sein?

Mittag: Das erste Treffen war sehr komisch, ein richtiges Unwohlsein. Ich kann das gar nicht richtig beschreiben. Nichtsdestotrotz geht es um die Nationalmannschaft und unser Land. Da muss man persönliche Eitelkeiten hinten anstellen und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Wir müssen nach vorne schauen und sehen, dass wir wieder in die vorderste Weltspitze kommen. Was gestern war, zählt nicht mehr.

SPOX: In den Nachwehen der WM wurden alle Verantwortlichen der Mannschaft harsch kritisiert. Wie betrachtet man so etwas von außen, wenn man wie Sie die Mechanismen kennt?

Mittag: Ich habe ich mich bei einigen Sachen auch gefragt: "Ist das wirklich so gelaufen?" oder wurde da etwas verdreht oder falsch dargestellt. Mit einigen Mädels habe ich telefoniert oder SMS geschrieben, um dann mehr Informationen herauszubekommen. Ich war ja bis vor der WM ein Teil der Nationalmannschaft, das lässt einen nicht los.

SPOX: Was ist von der WM geblieben?

Mittag: Vieles ist noch immer wie es vorher war. Natürlich haben sich für kurze Zeit viele Leute für den Frauen-Fußball interessiert, aber in der Bundesliga spürt man nicht richtig, dass das größte Turnier der Welt bei uns stattgefunden hat.

SPOX: Sie sprechen die Bundesliga an: Mit sieben Siegen aus sieben Spielen ist Potsdam wieder ein Start nach Maß gelungen. Droht Langeweile?

Mittag: Also für Potsdam ist die Langeweile sicherlich nicht so schlimm (lacht). Wir werden in den meisten Spielen einfach unserer Favoritenrolle gerecht und das erwarten wir auch von uns selber. Schlimm wäre, wenn wir gleich Punkte liegen lassen würden, denn mit Frankfurt und Duisburg gibt es zwei richtig starke Mannschaften, die darauf warten, dass du Fehler machst.

SPOX: Haben Sie nur diese beiden Mannschaften auf dem Zettel? Immerhin hat sich zum Beispiel der VfL Wolfsburg mit Lena Goeßling sinnvoll verstärkt.

Mittag: Wolfsburg hat auf jeden Fall eine gute Truppe beisammen. Sie sind wahrscheinlich einfach noch nicht so gut eingespielt wie wir. Aber man muss die Mädels auf jeden Fall auf der Rechnung haben. Auch gegen uns haben sie eine richtig gute Leistung gebracht, nur einfach ihre Torchancen nicht genutzt.

SPOX: Apropos Torchancen nutzen. Sie hatten für Potsdam längere Zeit nicht mehr getroffen. Können Sie sich diese Ladehemmung erklären?

Mittag: Ja, es hat eine zeitlang irgendwie nicht geklappt mit dem Torschießen, aber welcher Stürmer hat das nicht mal? Wenn du wieder zwei Tore schießen würdest und wir verlieren noch 2:3, dann bringt uns das als Mannschaft auch nicht viel. Ich habe abgewartet, es kam wieder. Verlernt hatte ich es also nicht. Immerhin konnte ich meinen Mitspielerinnen schon das eine oder andere Tor auflegen (lacht). Für mich steht der Teamerfolg über dem persönlichen Erfolg.

SPOX: Ihr Trainer Bernd Schröder sagt oft, was er denkt und kritisiert immer wieder Spielerinnen oder Kollegen in der Öffentlichkeit. Wie ist Ihr Verhältnis zu ihm?

Mittag: Ich arbeite schon länger mit ihm zusammen. Man muss sicherlich wissen, wie man ihn zu nehmen hat. Da muss man einfach die Sachen, die er sagt, hinnehmen und damit umgehen können. Daran gewöhnt man sich aber. Und er ist nun mal unser Chef. Ich habe aber auch immer wieder mal sein gutes Herz kennengelernt.

SPOX: Auch während der WM hat er beispielweise Lira Bajramaj kritisiert. Glauben Sie, das war ein Grund, Potsdam in Richtung Frankfurt zu verlassen?

Mittag: Das kann ich nicht beurteilen. Aber es wiegt schwer, dass Lira uns verlassen hat. Sie ist eine Spielerin, die es so auf der Welt nicht oft gibt. Wir haben in der Sommerpause versucht, die Lücke mit Genoveva Anonma und Patricia Hanebeck zu schließen. Bisher hat das auch gut geklappt.

SPOX: Neben der Bundesliga ist auch wieder die Champions League gestartet. Wer kann in diesem Jahr den Titel holen?

Mittag: Wenn man sich die letzten Jahre anschaut, ist davon auszugehen, dass Frankfurt, Lyon und Potsdam die Favoriten sind. Vielleicht ist eine schwedische Mannschaft diese Saison vorne dabei, oder eine Mannschaft, die keiner auf dem Zettel hat. Für den Wettbewerb wäre es sicherlich gut, wenn die großen Drei erst spät aufeinander treffen. Unser Ziel bleibt trotzdem, den Titel zu gewinnen. Vielleicht kann ich ja mit meinen Toren helfen (lacht).

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