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Eine Stadt, ein Team, eine Familie

Von Andreas Inama
Die berüchtigte Curva A: Hier sind die militanten Fangruppierungen von Napoli untergebracht
© getty

Das Sao Paolo in Neapel zählt zu den lautesten Stadien Europas. Die Gegner müssen sich nicht nur mit Gonzalo Higuain oder Jose Callejon auseinandersetzen. Eine ganze Region unterstützt Napoli - wenn es sein muss, bis die Erde bebt und die Knie zittern.

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Wir schreiben den 22. November 2011. Es läuft die 18. Minute im Stadio San Paolo zu Neapel. Ezequiel Lavezzi legt sich den Ball zur Ecke zurecht. Einen Augenblick überlegt der Argentinier den Ball kurz abzuspielen, deutet die Bewegung aber nur an. Nochmal ein schneller Handgriff zur Kugel, Anlauf und das Leder segelt Richtung erster Pfosten.

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Sekunden darauf gibt es im San Paolo kein Halten mehr. Aus dem Stadion und der ganzen Stadt ertönt ein Gebrüll, ein Urschrei, den Neapel so schon lange nicht mehr gehört hatte. Genauer gesagt, seit mehr als 20 Jahren.

Edinson Cavani hatte gerade zum 1:0 gegen Manchester City getroffen und damit Napoli in der Champions League willkommen geheißen. Sieben Kilometer entfernt, bei der Universität Neapels "Federico II", schlagen die Seismographen aus.

Der über die letzten Jahre aufgestauten Wut der Fans wird freien Lauf gelassen, gepaart mit tiefer, ehrlicher süditalienischer Freude. Die Insolvenz 2004, der Neustart in der dritten Liga und die andauernden rassistischen Anfeindungen gegen die Stadt und deren Bevölkerung - all dies scheint in den zwei Minuten nach dem Tor von der Seele gebrüllt zu werden und Neapel zu verlassen. Man ist wieder jemand auf der großen Bühne Europas.

Die ganze Stadt eine Mannschaft

Neapel hat nicht nur die einzige Fußballmannschaft, die in Süditalien größere Erfolge nachweisen kann. Sie hat dort auch die größte Fangemeinde. Doch die Fans in Neapel sind anders. Es ist keine "Echte Liebe" oder ein "Mia sein Mia" - Es ist beides. Es ist totale Hingabe zum Prunkstück der Stadt.

Es ist die absolute Verschmelzung der Bevölkerung mit den hellblauen Farben sowie die Identität einer krisengebeutelten Region und deren größter Stolz. Der ehemalige Inter-Co- und Chelsea-Trainer Andres Villas-Boas war vom San Paolo einfach nur beeindruckt: "Napoli ist nicht nur eine Fußball-Mannschaft, es ist der Gemütszustand einer ganzen Stadt."

Mit dieser Einstellung pilgern an jedem Wochenende über 60.000 Menschen ins altehrwürdige Stadio San Paolo, um dort ihre Mannschaft bei einem Fußballspiel anzufeuern wie ein Vater seinen Sohn. Im Gegensatz zu Madrid oder Mailand, wo die Klubs zwei verschiedene Bevölkerungsschichten repräsentieren, gibt es in Neapel nur die eine Mannschaft, welche die Stadt für ein paar Stunden vereint.

"Napoli bringt Menschen aus allen Gesellschaftsschichten zusammen, sei es aus den Nobelvierteln, sei es aus den Blockbauten. Napoli gehört allen Neapolitanern." So versuchte der Sportjournalist Mimmo Carratelli den symbolträchtigen Charakter der Partenopei zu beschreiben.

Verschmähung durch den Norden

Durch diese starke Identifikation der Bevölkerung wird die Mannschaft sehr oft auch Ziel rassistischer Ausschweifungen der Fans aus dem Norden Italiens. Die Fangemeinschaft von Napoli pflegt seit jeher Rivalitäten zu den großen Mannschaften aus Norditalien, die ihre Wurzeln kaum im Fußball haben und meist zum Politikum werden.

Vor allem die Fangemeinden von Juventus Turin und Inter Mailand fallen immer wieder mit beleidigenden Bannern und Chören auf, die sich direkt gegen die südliche Bevölkerung und Kultur richten. Allzu oft kommt es dadurch zu größeren Auseinandersetzungen und Tumulten, die den Calcio nach wie vor prägen.

Das Derby der Sonne

In den letzten Jahren hat sich eine besondere Feindschaft zu einem früheren Verbündeten entwickelt. In den Achtzigern pflegte man zur AS Rom eine Fanfreundschaft, die mehr als nur gegenseitigen Respekt bedeutete. Bei den Aufeinandertreffen der Mannschaften wurde die jeweils gegnerische Mannschaft angefeuert.

Die gegnerischen Ultrà wurden in die eigenen Fanblöcke eingeladen. Die Anführer der Fangruppierungen veranstalteten Märsche vor den Spielen, bei denen man gemeinsam durch das Stadion ging. Das "Derby del Sole" zwischen Napoli und der Roma war Sinnbild der Sportlichkeit und fußballerischen Brüderlichkeit. Man fühlte sich als Repräsentanten des vernachlässigten Südens, der so vereint miteinander auftrat.

Als Napoli gegen Mitte der 80er mit Diego Maradona zu einer der besten Mannschaften Italiens avancierte und schließlich 1985 Bruno Giordano vom Lokalrivalen Lazio Rom verpflichtete, begann die Stimmung zu kippen. In Rom konnte man nicht verdauen, dass sich der eigentlich "kleine Bruder" auf dem gleichen Niveau bewegte.

Am 25. Oktober 1987 kam es dann zum Bruch: Bei dem traditionellen Fahnentausch zwischen den Tifosi wurde der Napolifahnenträger von der Curva Sud im Stadio Olimpico in Rom beschimpft und mit Gegenständen beworfen. Ein Sakrileg in den Augen der leidenschaftlichen Napoli-Fans und der Auslöser für den tiefgründigen Hass.

Seite 1: Das Erdbeben und das Derby del Sole

Seite 2: Der Fall Esposito und Yaya Toures Liebeserklärung