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GESPONSERT VON

Kleinlaute Riesen

Von Florian Bogner
Der FC Sevilla ist nach vier Pleiten in Folge in der Primera Division bis auf Platz elf abgerutscht
© Getty

Dortmunds Europa-League-Gegner FC Sevilla steht nach fünf Niederlagen in Folge mit dem Rücken zur Wand. Im Fokus: eine demotivierte Mannschaft, ein ratloser Trainer und ein Präsident, dessen kühne Träume wohl unerfüllt bleiben.

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Jose Maria del Nido hatte sich ordentlich herausgeputzt. Schließlich stand ja auch ein Festakt an, den der Präsident des FC Sevilla mit einer weltmännischen Message krönen wollte.

"Wir können stolz sein, in einem der besten Momente der Vereinsgeschichte hier zu stehen", sagte del Nido stolz und blickte andächtig in die Runde. "Wir alle müssen weiter an einem aufregenden und brillanten Sevilla arbeiten, und damit den Grundstein für die Zukunft legen, denn wir sind nun ein Riese - in Spanien und in Europa!"

Es ist erst knapp acht Wochen her, dass der Sevilla-Präsident diese Worte anlässlich des 105. Vereinsjubiläums feierlich aussprach. Warum auch nicht? Schließlich war sein Klub als amtierender Pokalsieger und Europapokal-Abonnent in die Saison gegangen.

Dass man die dritte Champions-League-Teilnahme binnen vier Jahren in der Quali gegen Sporting Braga (0:1, 3:4) bereits leichtfertig verdaddelt hatte, störte del Nido offenbar nicht besonders.

Fünf Niederlagen in Folge

Doch seit dem Jubiläum und del Nidos Rede ist der selbsternannte Riese schlimm ins Stolpern geraten und auf dem besten Weg, sich der Nase lang hinzulegen. Die Zukunft als Kronprinz der Giganten Barca und Real ist ernsthaft in Gefahr.

Fünf Niederlagen in Folge hat Sevilla in den letzten Wochen hingelegt. Eine in der Europa League, vier in der Liga - drei davon zuhause. Eine solche Serie gab es zuletzt in der Saison 1999/2000, als man sechs Spiele in Folge verlor. Sevilla stieg am Saisonende ab.

"Dem Team ist der Ehrgeiz abhanden gekommen", bilanzierte Verteidiger Ivica Dragutinovic dieser Tage trostlos. "Jetzt regiert bei uns der Selbstzweifel und wir haben keine Ahnung, wie wir damit umgehen sollen."

Sollten die Nervionenses im Europa-League-Spiel gegen Borussia Dortmund (Mi., 20.45 Uhr im LIVE-TICKER und bei Sat.1) das halbe Dutzend Niederlagen voll machen und damit aus dem internationalen Wettbewerb ausscheiden, hätte man sich in knapp vier Monaten alles, aber auch wirklich alles eingerissen, wovon del Nido in seiner flammenden Rede Mitte Oktober gesprochen hatte.

Trainer mit dem Latein am Ende

Die Liste der Versäumnisse der letzten Wochen ist lang. Mal war der Schiedsrichter schuld, mal war eine gehörige Portion Pech dabei, mal leistete sich die Hintermannschaft unerklärliche Fehler. Dazu kommt ein ungeheures Verletzungspech (z.B. Fazio, Navas, Acosta, Dragutinovic).

Unterm Strich stand aber auch meist eine demotivierte Mannschaft auf dem Platz, die nicht alles für die Vereinsfarben zu geben scheint. Und waren da auch nicht körperliche Defizite erkennbar? Der Trainer jedenfalls scheint bereits mit seinem Latein am Ende.

"Ich habe Probleme damit, auf ein Team, das wenig Moral hat, entscheidend Einfluss zu nehmen", sagte Gregorio Manzano nach der jüngsten 1:3-Heimschlappe gegen Almeria. "Die Realität sieht so aus: Die Mannschaft durchlebt im Spiel Licht und Schatten - und leider ist das Glück auch nicht auf unserer Seite."

Wenn ein Coach solche Hilferufe von sich gibt, schrillen bei del Nido normalerweise die Alarmglocken. Normalerweise wird es dann Zeit für Plan B. Das Dumme an der derzeitigen Situation: Manzano ist bereits Plan B, der 54-Jährige wurde erst Ende September für Antonio Alvarez installiert, der für die verpasste Königsklassen-Qualifikation büßen musste.

Es fehlt die Motivation

Del Nido bleibt deshalb nichts anderes übrig, als die Saisonvorgaben noch vor Halbzeit nach unten zu korrigieren. "Wir werden weiter unsere Ziele ehrgeizig formulieren, aber ich weise darauf hin, dass die Klubs mit den wahren Ambitionen Barcelona, Real, Atletico und Valencia sind", stellte er in der vergangenen Woche fest. Vielleicht habe sein Sevilla in den vergangenen Jahren doch etwas über seinen Verhältnissen gespielt, meinte del Nido kleinlaut.

Das Problem: In genau dieser Nische nistet sich die Mannschaft gerade ein. In Spanien, wo Barcelona und Real in der letzten Saison zusammen 62 Spiele gewannen, geht eben nicht mehr als Platz drei und alle paar Jahre mal ein Pokalsieg. In der Champions League war Sevilla indes zu schwach für Fenerbahce (2008) und ZSKA Moskau (2010). Woraus soll man da Motivation ziehen?

Del Nido weist in diesem Zusammenhang gerne auf sein Lieblingsthema hin: Die ungerechte Verteilung der TV-Gelder. In Spanien bekommen Barca und Real satte 40 Prozent vom TV-Kuchen ab, der Rest vertilgt nur Krümel. "Wenn dieser Trend so weiter geht, ist die Meisterschaft schon vor der Saison entschieden", sagt del Nido, der Rädelsführer der Kleinen.

200 Millionen für Transfers eingenommen

Seine Vision war einst eine andere gewesen. Bevor del Nido 2002 zum Präsidenten gekürt wurde, war Sevilla sechs Jahre lang ein Fahrstuhlklub gewesen. Mit ihm wurde alles anders. Seit 2004 stand Sevilla immer unter den besten Sechs, eine wahre Erfolgsgeschichte. Nur der Meistertitel fehlt del Nido zu seinem ganz persönlichen Märchen.

Sevilla wuchs und gedieh, weil sich del Nido stets als tüchtiger Geschäftsmann erwies. Für spanische Verhältnisse, versteht sich. Die ihm bei Amtsantritt anhängenden 40 Millionen Euro Schulden nannte der Präsident kurzerhand "Peanuts" und steigerte sich in den folgenden Jahren in einen wahren Transferrausch.

Auf der einen Seite wurden Spieler wie Jose Antonio Reyes, Sergio Ramos, Julio Baptista, Dani Alves und Seydou Keita für irrsinnige Summen abgegeben, auf der anderen Seite der Kader mit verheißungsvollen Talenten und Stars aus der zweiten Reihe aufgefüllt. Insgesamt nahm Sevilla seit 2002 knapp 200 Millionen Euro aus Transfers ein und gab knapp 155 Millionen wieder aus.

Aufgeblähter Kader - viel Durchschnitt

Im Laufe der Jahre scheint del Nido und Sportdirektor Monchi allerdings der gute Riecher abhanden gekommen zu sein. In den vergangenen Spielzeiten schlugen die Top-Transfers meist mäßig ein, dazu klafft im Mittelfeld stetig ein kreatives Loch, weil alle dafür vorgesehenen Spieler durchfielen.

Was anno 2010 übrig bleibt, ist ein aufgeblähter Kader, der aus wenigen Stützen, ein paar gescheiterten Talenten und jeder Menge Durchschnitt besteht. Stars wie Luis Fabiano wurden mit guten Verträgen gehalten, schielen jedoch trotzdem ab und an auf die Top-Klubs. Sternchen wie Diego Capel, Diego Perotti oder Jesus Navas stagnieren.

Kein Wunder, dass die Fans des Traditionsvereins angesichts der mangelhaften Perspektiven und des emotionslosen Kaders mittlerweile auf die Barrikaden gehen.

"Sind den Fans was schuldig"

Was bleibt, ist die Hoffnung, dass sich mit einem Sieg über Borussia Dortmund, dem momentanen Aushängeschild der aufstrebenden Bundesliga, alles noch zum Guten wendet.

"Wir sind alle sehr traurig und betroffen, aber jetzt müssen wir Farbe bekennen", fordert Manzano, der sich angesichts seiner formschwachen Spieler am Wochenende bereits in der zweiten Mannschaft nach Alternativen umsah. Ob es nur ein Signal an sein Team war oder ob er wirklich fündig wurde? Dortmund wird es erfahren.

"Was wir brauchen, sind Fleiß, Leidenschaft und eine ganze Portion mehr Bescheidenheit", sagt Martin Caceres vor dem Gruppen-Endspiel - bezeichnenderweise ein Leihspieler. Seine klare Message: "Wir können uns jetzt nicht hängen lassen. Wir sind den Fans was schuldig, denn sie verdienen was Besseres als das."

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