Vom Himmel in die Hölle

SID
Fußball, EM, Kroatien, Ivan Klasnic, Slaven Bilic
© DPA

Wien - Die Augen von Slaven Bilic waren noch trauriger als sonst, Ivan Klasnic trocknete seine Tränen im grünen Rasen, und Darijo Srna heulte in den Armen seines väterlichen Trainers wie ein Schlosshund.

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Der gnadenlose Elfmeter-K.o. im EM-Viertelfinaldrama gegen die Türkei hat Kroatiens stolze Fußballer mitten ins Herz getroffen. "So ein unglaubliches Ende gibt es nur im Fußball. Das wird mich mein ganzes Leben lang verfolgen", stellte Bilic verbittert fest.

Aus der Heimat kamen nach einer Nacht von Ohnmacht und Trauer nur tröstende Worte. "Kopf hoch. Wir lieben euch trotzdem", schrieb die Tageszeitung "Vecernji List".

"Wir werden noch einige Tage weinen"

Wie ein 100-m-Sprinter war Bilic nach Führungstor bis an die Eckfahne gerast, streckte beide Arme in den Vollmond-Himmel über Wien - und landete kurz darauf doch in der Hölle.

Den Tränen nahe trauerte er zu mitternächtlicher Stunde der Chance nach, im Halbfinale für das Aus im EM-Viertelfinale 1996 an Deutschland Revanche nehmen zu können, "aber morgen ist ein neuer Tag, und die Sonne wird aufgehen. Aber wir werden noch einige Tage weinen."

Das Glück bleibt den Türken treu

Der Fußball-Himmel war so nah, als der Bremer Klasnic in der 119. Minute Kroatien in Führung geköpft hatte. Doch das Schicksal hatte kein Erbarmen mit den Balkan-Kickern. Der heiß ersehnte Schlusspfiff blieb aus.

Schiedsrichter Roberto Rosetti aus Italien verweigerte den Kroaten den letzten Spielerwechsel, der den Türken ihre letzte Chance geraubt hätte. Semih Sentürk schoss 14 Sekunden vor Ende der Verlängerung die Türkei ins Elfmeterschießen und die Kroaten ins Tal der Tränen. 

"Das Glück küsst die Türkei". Mit entsetzter Stimme berichtete der Kommentator des kroatischen Fernsehens über das unvermeidliche nationale Unglück.

Petric: "Ich habe versagt"

"Das 1:1 hat uns in ein psychologisches Loch gestürzt und den Türken Flügel verliehen. Das hat man beim Elfmeterschießen dann gesehen", erklärte Kapitän Niko Kovac nach seinem wohl letzten Länderspiel für Kroatien.

"Der Ausgleich hat uns geschockt, die Türken waren psychologisch im Vorteil", erkannte auch Bilic. Der überragende Spielmacher Luka Modric zog in der Elfmeter- Lotterie die erste Niete.

Dann versagten auch den Bundesligaprofis Ivan Rakitic (Schalke) und Mladen Petric die Nerven. "Ich habe versagt", stammelte der Dortmunder, der nach seinem Fehlschuss von Referee Rosetti tröstend in den Arm genommen wurde.

Wie die Bayern '99

Die Kroaten hätten sich den Nervenkitzel und das grausame Ende ersparen können, wenn HSV-Stürmer Ivica Olic und Co. ihre zahlreichen guten Tormöglichkeiten in der regulären Spielzeit genutzt hätten. "Wir haben es nicht verdient, auszuscheiden, und sind wahnsinnig enttäuscht, weil wir ins Finale kommen wollten", sagte Bilic, "aber ich bin stolz auf die Mannschaft."

Josip Simunic dachte an die Münchner Bayern, die beim Champions-League-Finale 1999 gegen Manchester United ein ähnliches Schicksal erlitten.

"Wir haben unser Herz auf dem Spielfeld gelassen", sagte der enttäuschte Hertha-Verteidiger, der beim bevorstehenden Umbruch des Teams dabei sein will: "Wir haben eine junge Mannschaft mit großer Zukunft."

Warnung an Deutschland

Mit drei Vorrundensiegen, darunter das 2:1 gegen Deutschland, hatte sich der WM-Dritte von 1998 berechtigte Hoffnung auf den erstmaligen Einzug in ein EM-Finale gemacht, aber nicht damit gerechnet, dass die Türken erneut nach einem Rückstand den Sieg davon tragen würden.

"Sie haben zum dritten Mal in einer extremen Art und Weise gewonnen und müssen irgendetwas Besonderes haben, was man im Fußball braucht", meinte Bilic und warnte die Deutschen.

"Wenn sie weiterhin so viel Glück haben und nie aufgeben, können die Türken ins Finale kommen." Auch der zu früh als Held gefeierte Klasnic machte sich Sorgen um die deutschen Halbfinalisten: "Wenn sie nicht aufpassen, verlieren sie."

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