Oranje feiert Abkehr vom Hurra-Stil

SID
Fußball, EM 2008, Niederlande, van Basten
© DPA

Lausanne - Spätestens mit dem grandiosen 3:0 gegen Weltmeister Italien ist die fast 40-jährige Tradition der Schönspielerei in den Niederlanden beerdigt worden. Es war ein Begräbnis 1. Klasse.

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Lange, fast dogmatisch hielten diejenigen, die beim Nachbarn im Fußball etwas zu sagen haben, am Hurra-Stil des einst erfolgreichen 4-3-3-Systems fest. Dabei war die Effektivität längst auf der Strecke geblieben, die "Oranjes" Gefangene ihres eigenen Auslaufmodells geworden.

König Johan Cruyff gilt als größter Verfechter des in den 70er und 80er Jahren in Perfektion beherrschten Systems mit Viererkette, drei Mittelfeldspielern und drei Angreifern.

"Van Basten bleibt mein Freund" 

Marco van Basten, einst Profiteur der berühmten Ajax-Fußballschule, übernahm auch als Trainer automatisch die dort gelehrte Variante. Seit seinem Amtsantritt als Bondscoach 2004 durfte er sich der Unterstützung seines Mentors Cruyff sicher sein, der ihn gegen jede Kritik verteidigte. Doch die Zuneigung bröckelte, als van Basten das System kippte.

Seit Monaten sollen Cruyff und sein Lieblingsschüler nicht mehr miteinander gesprochen haben. "Van Basten bleibt mein Freund, aber ich verabscheue seine Taktik."

Als Verrat hatte Cruyff wortgewaltig noch vor wenigen Tagen die Abkehr von Hollands Fußball-Idealen verteufelt. Bis zum 3:0 in Bern. Nun leistete er Abbitte: "Die Mannschaft ist reifer geworden", sagte er. "Totaler Fußball, das war vor 40 Jahren", befand van Basten, nachdem seine Elf Italien am Montal mit modernen Tempofußball demontiert hatte.

Doppel-Sechs mit Durchschlagskraft 

Hinter Speerspitze Ruud van Nistelrooy wirbelte nach Herzenslust das offensive Mittelfeld-Trio Rafael van der Vaart (zentral), Wesley Sneijder (links) und Dirk Kuyt (rechts).

Die größte Verbesserung aber bewirkte die Umstellung auf die "Doppel-Sechs". Die Organisation ist besser, das System stabiler und kompakter. Im zentralen defensiven Mittelfeld verrichten nun der Hamburger Nigel de Jong und der von Schalke 04 umworbene Orlando Engelaar die Drecksarbeit.

Lauf- und kampfstark erobern sie die Bälle und verteilt sie blitzschnell an die Abteilung Attacke. Auch die Außenverteidiger Khalid Boulahrouz und Routinier Giovanni van Bronckhorst schalten sich immer wieder ins Angriffsspiel ein.

"Besser geht's nicht" 

Fast fassungslos standen die Akteure nach dem EM-Auftaktspiel vor ihrer eigenen Leistung. "Wir steigen jetzt in den Bus und denken darüber nach, wie wir das gemacht haben", meinte HSV-Verteidiger Joris Mathijsen. Und van der Vaart schwärmte. "Das war überragend. Besser kann man nicht Fußball spielen."

Der Sinneswandel in Orange war aber nicht van Bastens Idee allein. Nach dem frühen Scheitern bei der WM 2006 hatte Führungskräfte wie der für ein Jahr verbannte van Nistelrooy, Torhüter Edwin van der Sar, van Bronckhorst, van der Vaart oder der an seinem 24. Geburtstag gegen Italien überragende Sneijder für die Umstellung auf 4-2-3-1 plädiert.

"Wir haben schon in der EM-Qualifikation viel weniger Tore bekommen", sagte van Nistelrooy. Er ist froh, das System gegen alle Kritik durchgezogen zu haben. Dem alten Modell weint er keine Träne nach: "In den Niederlanden ist uns eine bestimmte Vision von Fußball indoktriniert worden und die íst zu unserm Spielstil geworden. Aber viele Wege führen nach Rom." - Vielleicht sogar nach Wien.

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