Neues Cordoba in Wien?

SID
EM 2008, Fussball, Österreich, Vastic
© DPA

Wien - Österreich wird ganz narrisch - und Wien ein neues Cordoba? Als ältester Torschütze der EM-Geschichte hat Ivica Vastic beim 1:1 (0:1) gegen Polen in letzter Sekunde dem EM-Gastgeber eine historische Chance eröffnet.

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Mit einem Sieg über den Erzrivalen Deutschland, wie beim 3:2-WM-Triumph vor 30 Jahren, können die Österreicher den rot-weiß-roten Traum vom Viertelfinale wahr werden zu lassen.

Vier Tage vor dem "Super Monday" im Wiener Prater schossen die Österreicher schon die ersten Giftpfeile auf die "Piefkes" ab.

Harnik spottet über Deutschland 

"Die Deutschen machen sich jetzt schon in die Hose", tönte Bremens Bundesliga-Profi Martin Harnik. Teammanager Andreas Herzog glaubt an das "Wunder von Wien", für das Österreich allerdings einen Sieg braucht: "Wir sind bereit für ein neues Cordoba. Warum sollen wir die Deutschen nicht schlagen?"

Als Publikumsliebling Vastic, mit 38 Jahren der älteste Turnierspieler, in der dritten Minute der Nachspielzeit seiner Mannschaft per Foulelfmeter den ersten EM-Punkt gerettet hatte, herrschte im ganzen Land der Ausnahmezustand.

Sieg nur "alle heiligen Zeiten" 

Auf der Fanmeile in Wien feierten 70.000 Menschen den dramatischen Schlussakkord wie eine Erlösung, im Ernst-Happel-Stadion ging ein Aufschrei durch die rot-weiß-rote Menschenmasse.

Am Tag nach dem Spiel traf Teamchef Josef Hickersberger im Teamquartier in Stegersbach die Euphoriebremse: "Deutschland ist haushoher Favorit. Ein Sieg gegen Deutschland gelingt uns nur alle heiligen Zeiten wie 1978 oder 1986 bei der Stadioneröffnung in Wien."

Vorfreude auf das Spiel

Die Freude der Österreicher auf das Reiz-Duell mit Deutschland kennt allerdings keine Grenzen. Beim Mitternachtsmahl im eleganten Kursalon Hübner im Wiener Stadtpark war der legendäre Sieg in Argentinien das Thema bei den Erben von Hans Krankl, der am 21. Juni 1978 den hohen Favoriten vorzeitig K.o. geschossen hatte.

"Nach Cordoba wollen wir nun die Sensation von Wien schaffen", sagte Roland Linz. "Das ist die Chance unseres Lebens. Wir können unser eigenes Cordoba schreiben", meinte Emanuel Pogatetz.

"Wir werden ein neues Highlight in der österreichischen Fußball-Geschichte schreiben", kündigte Sebastian Prödl an. Am Montag ist der Neu-Bremer aber nur Zuschauer - gegen Polen kassierte er seine zweite Gelbe Karte.

Angriff verbesserungswürdig

Mit breiter Brust, aber auch ein wenig Unbehagen fiebert der Fußballzwerg aus der Alpenrepublik dem "Showdown" im Prater entgegen. "Vor dem Tor müssen wir cooler werden", sprach Prödl das große Manko seiner Mannschaft an.

In den ersten 30 Minuten hatte sie ein wahres Offensivfeuerwerk geboten, aber den Ball nicht ins polnische Tor gebracht. "Das war kein Pech, sondern Unvermögen", gestand Harnik.

Einen Tag später stand er erneut in der Kritik. "Mit solchen Äußerungen sammelt er keine Pluspunkte", schimpfte Hickersberger über die vorlauten Aussagen des Bremers und warf ihm zudem eine mangelhafte Berufseinstellung vor: "Er hat sich für das Polen-Spiel nicht wie ein Vollprofi vorbereitet."

Hoffen auf das Wunder

Der gebürtige Hamburger vergab zwei von drei Riesenmöglichkeiten. Das Happy End blieb aber nicht aus. In bester Ringermanier riss Mariusz Lewandowski den langen Prödl um, Vastic verwandelte zum ersten EM-Tor überhaupt für Österreich. Hickersberger trauerte dem verpassten Sieg nicht lange nach.

"Die Chance lebt", sagte der 60-jährige Ex-Spieler und -Trainer in Offenbach und Düsseldorf vor dem "besonderen Spiel" gegen das Nachbarland: "Ich habe sechs wunderschöne Jahre in Deutschland verbracht."

Mit der Cordoba-Hysterie kann er nichts mehr anfangen: "Das ist abgehakt und spielt für mich überhaupt keine Rolle".

Frust in Polen

Bei den Polen herrschte nach dem späten Elfmeterschock grenzenloser Frust: Die verärgerten Spieler demolierten in den Katakomben die Werbebanden, der sonst so bedachte Trainer Leo Beenhakker setzte zu einer spontanen Wutrede an und Polens Presse attackierte kollektiv den Referee.

Auch am Tag nach dem 1:1 hatten sich die Gemüter noch lange nicht beruhigt, und der Schuldige für das drohende EM-Aus war längst gefunden. Der englische Schiedsrichter Howard Webb wurde an den Pranger gestellt und als "Versager" ("Dziennik"), "Dieb" und sogar als "Monster" ("Super-Express") massiv verunglimpft.