Last-Minute-Türken vom Glück verlassen

SID
EM 2008, Fussball, Türkei, Semih
© DPA

Basel - Anders als in den drei vorigen Partien lagen nicht die Gegner, sondern die Türken nach dem Abpfiff fassungslos auf dem Rasen. Beim 2:3 (1:1) gegen Deutschland im EM-Halbfinale waren sie diesmal die Leidtragenden einer dramatischen Schlussphase mit späten Toren.

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Der Gegentreffer von Philipp Lahm in der letzten Minute des Spiels machte den Traum vom größten nationalen Erfolg auf denkbar bittere Weise zunichte. Abwehrspieler Sabri vergoss Tränen, Regisseur Hamit Altintop ließ sich von seinen Münchner Vereinskollegen Lukas Podolski und Miroslav Klose trösten.

Erst später mischte sich in die Enttäuschung auch Stolz über die starke Leistung der Notelf. "Die Welt hat gesehen, welch großartiges Team die Türkei hat. Sie kann das Turnier erhobenen Hauptes verlassen", schwärmte Trainer Fatih Terim.

Mitleid statt Schadenfreude

Ausgerechnet nach der besten EM-Leistung gab es kein Happy End. Im Gegensatz zu den Spielen gegen die Schweiz (2:1), Tschechien (3:2) und Kroatien (3:1 i. E.) mit finalen Toren von Arda (90+3.), Nihat (90.) und Semih (122.) wurde das EM-Überraschungsteam aus der Türkei im prestigeträchtigen Duell mit Deutschland kurz vor dem Abpfiff böse erwischt.

Angesichts der couragierten Gegenwehr empfanden die meisten Fans mehr Mitleid als Schadenfreude. "Seid nicht traurig, wir haben gewonnen", tröstete die Zeitung "Hürriyet".

Noch auf dem Spielfeld bedankte sich Terim per Handschlag bei jedem einzelnen Spieler, die den großen Favoriten an den Rand einer Niederlage gedrängt hatten. "In einigen Partien hatten wir Glück, doch diesmal war es den Deutschen hold", kommentierte der Trainer.

Empfang am Istanbuler Flughafen

Die Nationalmannschaft ist in Istanbul bei ihrer Rückkehr von jubelnden Fans empfangen worden. Die Spieler wurden auf dem Flughafen von hunderten Menschen empfangen, die Fahnen und Kappen trugen. Wenig später fuhr das Team in einem knallroten Reisebus zum zentralen Taksim-Platz.

Dort wollen Tausende mit der Mannschaft feiern. "Die Europameisterschaft ist der schwerste Wettbewerb der Welt. Wir sind traurig, aber wir schauen in die Zukunft", sagte der Präsident des Türkischen Fußballverbandes, Hasam Dogan, nachdem die Mannschaft im EM-Halbfinale mit 2:3 verloren hatte und damit ausgeschieden war.

"Ich bin sicher, dass die Türkei in absehbarer Zeit Europa- oder Weltmeister wird."

Tritt Terim zurück?

Hauptprofiteur der landesweiten Euphorie ist Terim. Gestenreich verwies der "Imperator" auf die Verdienste der Mannschaft: "Sie war fähig, die Menschen in Verzückung zu versetzen. Wir verlassen die EM als eines der faszinierensten Teams."

Noch während der holprigen EM-Qualifikation hatte Terim im Kreuzfeuer der Medien und bereits kurz vor dem Rauswurf gestanden. Für ihn war nun die passende Gelegenheit gekommen, den Spieß umzudrehen.

Im Anschluss an die Partie stellte der 54-Jährige den vorzeitigen Ausstieg aus seinem bis 2010 datierten Vertrag in Aussicht: "Ich denke, dass ich wieder in ein europäisches Land gehen werde. Wer auch immer nach mir kommt, ich hoffe, dass er aus diesem Team einen Champion macht."

Die Wirkung seiner Worte ließ nicht lange auf sich warten: Schon am nächsten Tag signalisierte der Verband seinen Willen zur Fortsetzung der Zusammenarbeit.

Geburtsstunde einer starken Mannschaft

Als die Not am größten schien, trat die Mannschaft als geschlossene Einheit auf und verblüffte die Deutschen mit großer Ballsicherheit und taktischem Geschick. Auch ohne vier gesperrte Profis und einige verletzte Leistungsträger wie Nihat und Servet waren sie dem Gegner zumeist überlegen.

Das stärkt den Glauben an einen dauerhafteren Aufschwung als 2002. Ein großes Turnier ohne türkische Beteiligung wie 2006 in Deutschland soll es in Zukunft nicht mehr geben.

Abwehrspieler Gökhan wertete die Partie als Geburtsstunde einer starken Mannschaft: "Wir werden das nie vergessen. Ich bin sicher, dass unser Volk und vielleicht ganz Europa zu uns aufschaut."

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