"Spitzensport ist Psychoauslese"

SID
Dr. Hermann, DFB
© Getty

Wien - Wenn die deutschen Elite-Fußballer zum "Psycho-Duell" gegen den Nachbarn Österreich (20.30 Uhr im SPOX-TICKER) auf das Feld laufen, ist die Arbeit für Hans-Dieter Hermann erledigt.

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Die sportliche Leitung der Nationalmannschaft hatte vor dem EM-Gruppenfinale den 48-jährigen promovierten Sportpsychologen aus Schwetzingen bei Heidelberg intensiv in die Aufarbeitung der 1:2-Pleite gegen Kroatien einbezogen.

Denn der Druck vor und beim Hopp-oder-top-Spiel gegen den Europameisterschafts-Gastgeber ist groß wie lange nicht mehr. "Druck entsteht daraus, dass jemand ganz stark an Konsequenzen denkt", erklärte Hermann, der sich als Trainer "für den Kopf" und "Leistungsoptimierer" für Michael Ballack & Co. sieht.

Seit 1998 im Leistungssport 

Seit der Asien-Reise im Dezember 2004 gehört Hermann zum großen Nationalmannschafts-Stab, eine Situation wie vor der Partie gegen den Nachbarn Österreich hatte der seit 1988 im Leistungssport arbeitende Psychologe im DFB-Lager aber nur selten erlebt. "Ich will nicht so sehr in die Öffentlichkeit", sagte Hermann der dpa und verwies eben auf die "aktuelle Situation".

Schließlich würden gerade seine "Medien-Kontakte" auch von den Spielern besonders beobachtet, und die könnten sich fragen: "Ist er an uns interessiert oder an seinen Darstellungen?" Vor einiger Zeit hatte es Hermann schon einmal drastischer formuliert: "Würde ich meine Schweigepflicht brechen, dann könnte ich als Sportpsychologe einpacken."

Keine Psycho-Couch 

Dass Hermanns Arbeit nichts mit Handauflegen oder Psycho-Couch zu tun hat, ist inzwischen auch in der deutschen Fußball-Szene anerkannt. Nachdem Jürgen Klinsmann den Spezialisten in sein Team geholt hatte, änderte sich auch in der Bundesliga langsam die Einstellung zur psychologischen Betreuung.

Das einstige Tabu-Thema sei auch durch seine Arbeit bei der wichtigsten Mannschaft der Nation "schon ein Stückchen" aufgebrochen worden, meinte Hermann kurz vor dem dritten Spiel bei der EURO 2008. "Spitzensport ist auch eine Psychoauslese", hatte der Spezialist einmal betont. Inzwischen sprechen Nationalspieler ohne Scheu davon, dass sie psychologische Hilfe einholen. So berichtete der Berliner Arne Friedrich von der Arbeit mit einer Mental-Trainierin.

"Das absolute Vertrauen" 

Seine Arbeit sieht Hermann immer auch als Gratwanderung. Denn auf der einen Seite brauche er "das absolute Vertrauen" der Spieler, betonte Hermann. Andererseits liegt auf dem Profifußball natürlich der besondere Fokus der Öffentlichkeit. "Meine Kollegen haben in den Vereinen dort Probleme bekommen, wo sie darüber geredet haben", berichtete Hermann, ohne Einzelheiten zu verraten.

Dabei sieht sich Hermann nur höchstens zu 20 Prozent als Therapeut. 80 Prozent seiner Arbeit sei Mentaltraining: Man könne sich die eigene Stärke buchstäblich einreden, unterstrich der zweimalige Familienvater. "Nach oben kommt, wer im Kopf am stabilsten ist."

Hermann gehört zu den führenden Kräften seiner noch jungen Wissenschaft. Beim Fußball-Nationalteam sieht er sich vor allem für den Teamgeist zuständig, für die Motivation. "Eine Mannschaft zu formen, ist für den Trainer eine andere Herausforderung als vor 30 Jahren", hat Hermann in seinen Veröffentlichungen beschrieben, die er beispielsweise mit dem ehemaligen Hockey-Bundestrainer und jetzigen Sportdirektor von 1899 Hoffenheim, Bernhard Peters, herausgegeben hat.

Hermann arbeitet auch beim Bundesliga-Aufsteiger als Psychologe. Von Coach Ralf Rangnick war der Dozent an der Universität in Heidelberg einst zum SSV Ulm und damit in den Fußball geholt worden.

Klose suchte Rat 

Hermann wird auch bei schwierigen Fällen immer wieder zu Rate gezogen. So half er dem österreichischen Ski-Nationalteam 1994, den tragischen Unfall-Tod von Ulrike Maier zu verarbeiten. Vor Olympia 2004 unterstützte er die deutschen Turner, nach dem Trainingsunfall und der Querschnittslähmung von Ronny Ziesmer wieder eine positive Einstellung zu finden.

Die Aufgaben mit den Fußballern scheinen dagegen eher leichter Natur. So hatte Miroslav Klose einmal Hermanns Rat gesucht, als er sich nach der Geburt seiner Zwillinge nur schwer auf Fußball konzentrieren konnte.

Ein Hauptpunkt seiner Arbeit beim DFB ist die Stress-Bewältigung. "Jeder geht damit für sich selber um. Manche lassen es einfach sacken, andere sprechen sich mit Kollegen aus", berichtete Hermann von der Kroatien-Aufarbeitung - natürlich ohne Namen zu nennen. Und wenn die Spieler nicht mit Druck umgehen könnten, wären sie keine Nationalspieler, meinte Hermann: "Sie haben sich durch Druck-Situationen schon qualifiziert."