Deutsches Know-how im türkischen Fußball

SID
berger, jörg
© Getty

Düsseldorf - Einsatz bis zur letzten Sekunde, mannschaftliche Geschlossenheit, enorme Kampfkraft - auch dank vermeintlich teutonischer Tugenden und mittels deutschem Trainer-Know-how ist der türkische Fußball auf dem Erfolgsweg.

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"Natürlich haben die vielen deutschen Trainer in der Türkei jede Menge Einfluss genommen", nannte Jörg Berger im "ARD-Morgenmagazin" einen möglichen Hintergrund dafür, dass die Tätigkeit zahlreicher deutscher Fußball-Lehrer in der Türkei dem deutschen Nationalteam im EM-Halbfinale zum Verhängnis werden könnte.

Berger, der ehemalige Coach des Provinzklubs Bursaspor, ist nur einer von vielen deutschen Trainern, die den türkischen Fußball in den vergangenen gut 20 Jahren hoffähig gemacht haben.

Mit Eigenschaften, die lange Zeit den deutschen Fußball maßgeblich prägten, sorgt nun die Türkei für Furore. "Der Zusammenhalt in der Mannschaft ist auffällig. Es gibt eigentlich keinen richtigen Star", sagte Berger über das türkische Kollektiv.

Derwall als Vorreiter

Den Teamgeist bekam der türkische Fußball vor 24 Jahren von Jupp Derwall verordnet. "Derwall hat Professionalität und Disziplin in den türkischen Fußball gebracht", sagte Christoph Daum, der auf drei Engagements in dem Land am Bosporus zurückblicken kann.

Auch wenn bereits 1975 Horst Buhtz mit Besiktas Istanbul den nationalen Pokal gewann, gilt der inzwischen verstorbene ehemalige deutsche Nationaltrainer Derwall durch sein Engagement von 1984 bis 1988 bei Galatasaray Istanbul als Wegbereiter seiner Kollegen.

Mit zwei Meistertiteln und einem Pokalsieg begründete Derwall den hervorragenden Ruf deutscher Trainer in der ersten türkischen Liga. Auch der aktuelle Nationaltrainer Fatih Terim profitierte als Spieler Derwalls von dessen Fachwissen.

"Spieler kämpfen für ihr Vaterland"

Und Terims Halbfinal-Konkurrent Joachim Löw weiß nach seiner Tätigkeit bei Fenerbahce ("Das hat mir viel gegeben und mich geprägt") vor knapp zehn Jahren, "was Fußball in der Türkei bedeutet".

Neben den "deutschen" Elementen sind das ganz speziell Leidenschaft und Pathos. "Da spielt eine ganze Nation mit - wie verrückt. Die Spieler kämpfen für ihr Vaterland", sagte Reinhard Saftig, einer von vier deutschen Derwall-Nachfolgern bei Galatasaray.

Auch für Berger hat der aktuelle Erfolg der Türkei viel mit dem Nationalstolz zu tun: "Der ist sicherlich größer als in anderen Ländern." Doch dies hat für die Trainer nicht immer nur angenehme Seiten. "Das ist teilweise auch grenzwertig und kann in Fanatismus umschlagen", sagte Berger.

Schusswaffen auf dem Tisch

Vor allem bei den Provinzklubs kann dies zu ungewöhnlichen Bedingungen führen. "Die großen Klubs sind sehr seriös geworden. Bei den kleinen gibt es schon noch manchmal Chaos", sagte Saftig.

Berger wurde einst während einer Präsidiumssitzung mit Schusswaffen auf dem Tisch konfrontiert. "Um die Mentalität zu verstehen, muss man lange dort gearbeitet haben - länger als ich", sagte Berger, der es nur wenige Monate bei Bursaspor aushielt.

Möglichst lange will Michael Skibbe bei Galatasaray bleiben. Der ehemalige Coach von Bayer Leverkusen schreibt als Nachfolger von Karl-Heinz Feldkamp von Juli an das neueste Kapitel deutscher Trainer in der Türkei.

Skibbe hat einen Jahresvertrag mit Option auf weitere zwölf Monate. Zu seinen Vorgängern zählen unter anderem Sepp Piontek, Siggi Held, Holger Osieck, Reiner Hollmann, Jürgen Sundermann, Werner Lorant, Horst Hrubesch, Hans-Peter Briegel oder Friedel Rausch.