Der Chef als Rollenspieler

Von Für SPOX in Ascona: Stefan Rommel
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© Getty

 Ascona - Samantha Herrmann war ganz schön aufgeregt. Nicht so sehr wie noch am Sonntagabend in Klagenfurt, aber sie war aufgeregt.

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Samantha war Teil der Einlaufeskorte, die die Nationalmannschaften bei den Spielen auf den Platz begleiten und sie durfte Michael Ballack vor dem Polen-Match auf den Platz führen.

Ob er denn genauso aufgeregt gewesen sei, wie sie, las sie am Dienstag bei der Pressekonferenz des DFB kühn und fehlerfrei von ihrem großen DIN-A-4-Zettel ab. "Ich weiß ja nicht, wie aufgeregt Du warst", fragte Ballack zurück. Samantha lächelte verschmitzt. So wie der Kapitän der deutschen Nationalmannschaft auch.

Einsatz als Rollenspieler

Ein Sinnbild, denn Ballack wirkt in diesen Tagen aufgeräumt wie selten zuvor. Keine Verletzung plagt ihn, "ich bin zum ersten Mal seit langer Zeit wieder topfit ins Turnier gegangen", sagt der 31-Jährige.

Dort glänzte er bisher allerdings nicht wie vorher erwartet als torgefährlicher Mittelfeldspieler, meist offensiv orientiert, sondern als Rollenspieler in einer Mannschaft, die mit dem Rollenspieler Ballack gar keinen Superstar mehr hat - und auch nicht braucht.

Er sehe sich eher zusammen mit Torsten Frings in der Rolle der Doppelsechs. Etwas offensiver ausgerichtet zwar als Kumpel Frings, aber in erster Linie darauf bedacht, den Raum, der vor und hinter ihm liegt, zu beherrschen.

Stabilität im Mittelfeld

Seine Fitness und seine in der englischen Premier League gestählte Robustheit prädestinieren ihn für die Rolle, Ballack läuft so viel wie nie im Nationaldress, räumt im Mittelfeld auf und ab, gibt im Defensivverhalten Kommandos und taktische Anweisungen.

"Das Zusammenspiel mit Torsten Frings hat sich im Vergleich mit der WM 2006 und den zwei Jahren danach nicht groß geändert", sagte Ballack selbst. Allerdings fügte er noch eine wichtige Ansicht mit an: "Wir beiden sind verantwortlich für die Stabilität im zentralen Mittelfeld."

Vorteil des ersten Tores

Joachim Löw gefällt Ballacks neue Rolle sehr. Er hat sie ihm auf den Leib geschneidert, trotz aller offensiv ausgerichteter Spielphilosophie und -anlage liegt dem Bundestrainer die Defensive doch sehr am Herzen.

Oder anders ausgedrückt: "Der Vorteil des ersten Tores hat sich bisher doch bewahrheitet. Alle Mannschaften, die in den bisherigen Spielen das erste Tor geschossen haben, haben das Spiel später auch gewonnen", sagte Löw auf der Pressenkonferenz in Tenero.

"Die Basis unseres Spiels bleiben weiter hohe Laufbereitschaft, hohes Tempo und hohe Flexibilität", so Löw weiter.

"Gruppendynamik positiv"

Jene Flexibilität, die jetzt auch der Rollenspieler Ballack perfekt demonstriert. Innerhalb der Mannschaft hat er eine neue, leicht abgewandelte Identität gefunden. Ihn in das Gefüge gewissermaßen neu zu integrieren, war für Löw dabei ein Leichtes.

"Meine Mannschaft ist intakt, sie funktioniert. Es ist eine gewisse Grundharmonie vorhanden, unsere Gruppendynamik ist sehr positiv", sagte Löw. Übersetzt heißt das nichts anderes als: Die Struktur und die Hierarchie innerhalb der Truppe stimmt.

Kein Platzhirschdenken mehr

"Wir haben wenige Probleme im zwischenmenschlichen Bereich, das liegt eindeutig an der Struktur der Mannschaft. Ich bin ja nun auch schon einige Jahre dabei und kann das gut beurteilen", pflichtete Ballack seinem Chef bei. "Dieses Platzhirschdenken älterer Spieler, das früher normal war, gibt es nicht mehr. Das liegt auch daran, dass jüngere Spieler viel schneller die Chance bekommen, in der Nationalmannschaft zu spielen."

Dass er selbst auf dem Platz der alleinige Chef sein soll, wollte der Chelsea-Star so nicht stehen lassen. "Es bestimmen mehrere Spieler in der Mannschaft den Ton. Ich denke da vor allem an Torsten Frings und Jens Lehmann", so Ballack.

Und fügte einen Satz an, der seine nonchalante Zurückhaltung klar und deutlich auf den Punkt bringt: "Das sind die Stützen, die die Mannschaft braucht. Und die sind mindestens genauso wichtig."

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