Polizei drückt bei Autofahnen ein Auge zu

SID
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© Getty

Berlin - Sie sind wieder da. Schwarz-rot-goldene Flaggen wehen an Autofenstern, Balkonen, Strandkörben, Imbissbuden und Rathäusern. Vor zwei Jahren rieb sich Deutschland angesichts des Fahnenmeers verwundert die Augen.

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Von neuem Nationalstolz und einem unverkrampften Verhältnis zum eigenen Land war die Rede. Nach der Weltmeisterschaft verschwanden die meisten Flaggen aber wieder im Schrank. Manche wirbelte der Wind vom Auto in den Straßengraben.

Zur Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz ist es wieder soweit: Deutschland zeigt Flagge. Die Polizei drückt bei Wimpeln und Autokorsos ein Auge zu, sie will kein "Sommermärchen"-Bremser sein.

Deutschland zeigt Flagge

Auch wenn sich der Boom von der WM 2006 kaum wiederholen dürfte, als Deutschland Gastgeber war: Das Interesse an Fahnen ist da. Allein beim Internetversand Flaggenparadies wurden schon vor der EM täglich ungefähr 150 bis 200 Autofähnchen bestellt.

Der Berliner Händler Jens Hennlein vom "Flaggenhaus am Alex" ist erstaunt darüber, dass auch mancher Osteuropäer, dessen Land gar nicht bei der Euro dabei ist, sich mit den Wimpeln eindeckt. Ob der Umsatz so gut werden könnte wie zur WM? "Das hoffen wir", sagt Hennlein. Er glaubt aber nicht an ein vergleichbares Geschäft.

Die Händler wissen: Bei der Deutschland-Fahne hängt das Interesse stark davon ab, wie weit die Mannschaft von Joachim Löw kommt. Kaufhäuser, Baumärkte, Getränkehändler, Tankstellen und Supermärkte sind jedenfalls gerüstet. Autowimpel gibt es schon zum Schleuderpreis von 80 Cent. Wer es in XXL mag: Bei der Stadt Krefeld kann man ein 1,50 mal 5 Meter großes Exemplar mieten. Die sogenannte Hiss-Fahne kostet für drei Tage 10,24 Euro. 

Mancher zeigt gleich doppelt Flagge. "An meinem Wagen hängen beide Fahnen", berichtet der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat. "Deutschland ist unser Vaterland, die Türkei unser Mutterland, sie sind beide in unserem Herzen, und das ist eine positive Art, es auszudrücken."

Verändertes Image seit WM 2006

In Deutschland wurden zur WM etwa fünf Millionen Fahnen verkauft, auf den Fan-Meilen leuchtete Schwarz-Rot-Gold. Das Fußballfest hat das Image der Nation im Ausland geprägt:

Selbst die Briten "schließen nicht mehr aus, dass wir heiter feiern und auch mal lachen können", wie es Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich in der "Süddeutschen Zeitung" formulierte. "Das Bild von Deutschland hat sich durch die WM 2006 in einer Weise verändert, wie man sich das nicht vorstellen konnte."

Professor Klaus Boehnke von der Jacobs University in Bremen sieht das Thema Fußball und Patriotismus mit gemischten Gefühlen. "Nationalflaggen symbolisieren Abgrenzung, nicht Offenheit", meint der Sozialwissenschaftler. Abgrenzung sei aber gerade nicht der Sinn von Sport, sondern das Miteinander.

Fähnchen im Stadion oder auf der Wange beim gemeinsamen Fußballgucken sind aus Boehnkes Sicht etwas anderes als am Wagenfenster. Sie seien "sportgerechter" zu bewerten als Fahnen, die "wie Bajonette aufs Auto gepflanzt werden", findet er.

Polizei milde gestimmt

Rund um Berlin sammelten Mitarbeiter der Autobahnmeistereien im Sommer 2006 so viele abgeflogene Deutschland-Fähnchen ein, dass sie daraus eine riesige Wimpelkette basteln konnten. Ähnliches dürfte bald in Österreich möglich sein:

Dort gingen etwa 850 000 Auto-Fahnen über den Verkaufstresen. Dabei sind Flaggen am Wagen "eigentlich nicht wirklich erlaubt", heißt es bei der Berliner Polizei. "Aufgrund der Euphorie drücken wir aber ein Auge zu", sagt ein Sprecher.

Auch Autokorsos dürfen wieder rollen, so lange die Fahrer sich einigermaßen gesittet verhalten und die Fahnen nicht gleich die ganze Windschutzscheibe verhüllen.

Was Fans wissen sollten: Der Wimpel am Fenster schlägt sich auf den Benzinverbrauch nieder, wie Experten berichten. Zwei Fahnen am Auto sind demnach mit einem unbeladenen Fahrradträger vergleichbar.