Fast alle EM-Teams mit Fußball-Migranten

SID
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© Getty

Wien - Zwei gebürtige Polen stürmen für Deutschland gegen Polen, ein Kapverde zieht die Fäden für die Schweiz, und Schwedens bester Angreifer hat seine Wurzeln auf dem Balkan. Der Fußball-Globus ist ein Dorf geworden, in dem die Herkunft der Vorfahren keine Rolle mehr spielt.

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Bei der Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz treten fast alle 16 Mannschaften mit extra eingebürgerten Spielern oder Akteuren mit Migrationshintergrund an.

"Die Welt hat sich geändert", beschreibt Polens niederländischer Trainer Leo Beenhakker die Situation knapp, aber treffend. In dem eingebürgerten Brasilianer Roger Guerreiro hat Beenhakker selbst einen assimilierten Akteur in seinen Reihen und dürfte im Gegenzug das deutsche "Polen-Trio" Lukas Podolski, Miroslav Klose und Piotr Trochowski schmerzlich vermissen.

Der verhaltene Jubel Podolskis nach seinem Tore-Doppelpack gegen die Heimat seiner Eltern war Sinnbild für den emotionalen Spagat, den manch Fußballer in Zeiten der Globalisierung vollziehen muss.

"Ich habe eine sehr große Familie in Polen, bin dort geboren. Daher muss man auch ein bisschen Respekt für das Land haben", sagte der Münchner Stürmer. Und rechtfertigt sein Mitwirken im DFB-Trikot: "Ich habe ja meine ganze Ausbildung als Fußballer in Deutschland gehabt."

Deutschland lange Nachzügler

Deutschland war lange Nachzügler beim Einsatz von außerhalb der eigenen Grenzen geborener oder aufgewachsener Fußballer - eine Konsequenz der Ausländerpolitik unter dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, die auch noch Anfang des Jahrtausends offenkundig zum sportlichen Nachteil gereichte. Dass Deutschland auch ein Fußball-Einwanderungsland ist, wurde aber zur unumstößlichen Realität.

Die Einbürgerung von Sean Dundee (Südafrika) und Paulo Rink (Brasilien) sorgte vor einigen Jahren noch für Schlagzeilen.

Bei der EURO 2008 hat die gesamte deutsche Offensive ihre Wurzeln außerhalb Deutschlands. Klose und Podolski (Polen) , Mario Gomez (Spanien), Kevin Kuranyi (Brasilien oder Panama) und Oliver Neuville (Italien oder Schweiz) hätten sich auch gegen die DFB-Elf entscheiden können. Gleiches gilt für die Mittelfeldspieler Trochowski (Polen) und David Odonkor (Ghana).

Multi-Kulti-Mannschaften sind modern

Erstmals augenscheinlich wurde die Entwicklung bei der WM 1998 in Frankreich, als die Gastgeber-Nation mit einer buntgemischten Truppe von Einwanderer-Kindern um den "Algerier" Zinedine Zidane und den gebürtigen Ghanaer Marcel Desailly zum Turniersieg marschierte und der Grande Nation ein neues Fußball-Selbstverständnis gab.

Auch England und die Niederlande profitieren seit Jahren von "Kindern" aus ihren ehemaligen Kolonien.

Im Zeichen des sich vereinenden Europas haben sich auch Nationen wie Österreich und Kroatien geöffnet, die ultimative Multi-Kulti-Truppe mit Akteuren aus neun anderen Nationen hat aber Co-Gastgeber Schweiz.

Die "Secondos" genannten Spieler stammen unter anderem aus der Elfenbeinküste, Bosnien-Herzegowina und Kolumbien.

Talent hilft bei Einbürgerung

Die "Nati"-Karriere von Mittelfeldspieler Valon Behrami wäre beinahe durch die Schweizer Justiz verhindert worden. Zweimal sollte die Flüchtlings-Familie Behrami aus dem Tessin in das Kosovo abgeschoben werden. Doch schließlich bekam der Nachwuchskicker doch noch den Schweizer Pass - sein Fußballtalent war ihm dabei sicherlich behilflich.

Viele Gastarbeiter-Kinder wie die türkischen Altintop-Zwillinge spielen hingegen für die Heimat der Eltern, statt für das Wohn-Land ihrer Kindheit. Dort sind sie Kollegen des gebürtigen Brasilianers Mehmet Aurelio, der eigentlich Marco Aurelio Brito dos Prazeres heißt und der erste Nicht-Türke im Trikot mit Stern und Halbmond ist.

Blatter will Trend stoppen

Ausgerechnet dem allzu gerne polyglott erscheinenden Weltverbandspräsidenten Joseph Blatter ist der Import ausländischer Nationalspieler ein Dorn im Auge.

Den Schweizer treibt die Sorge, dass angesichts enorm vieler Talente aus Brasilien bald nur noch assimilierte Brasilianer als Nationalmannschafts-Söldner für andere Länder spielen werden. Als Negativ-Beispiel gilt der "Verhandlungs- Flirt" von Ex-Bundesligaprofi Ailton mit dem Scheichtum Katar. 

Blatters perfekt vermarktbares WM-Produkt würde ohne nationale Identifikationsmöglichkeiten sicher an globalem Reiz verlieren. Nicht zuletzt deshalb forciert der FIFA-Chef protektionistische Projekte wie die 6+5-Regel und fordert rigidere Einbürgerungsgesetze.