Italien auf der Suche nach Plan B

Von Florian Bogner
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© Imago

München - Ein Zweikampf, ein Schrei und 7000 Italien-Fans auf den Rängen schlugen kollektiv die Hände über dem Kopf zusammen.

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Beim ersten Training im EM-Land Österreich, genauer auf dem perfekt rasierten Trainingsplatz in Maria Enzersdorf, waren am Montagabend Giorgio Chiellini und Fabio Cannavaro zusammengerasselt - mit unglücklichem Ausgang für Letzteren.

Italiens Teamarzt Paolo Zeppilli kam herbei geeilt und meinte alsbald: "Die EM kann Fabio vergessen." Die niederschmetternde Diagnose für Italiens Kapitän, 2006 Weltfußballer und Weltmeister: Doppelter Bänderriss im linken Knöchel, mindestens zwei Monate Pause.

Trainer Roberto Donadoni (im Bild) dürften in dem Moment, als Cannavaro vom Platz getragen wurde, schon die Gedanken kreuz und quer durch den Schädel galoppiert sein. Sein Problem: In einem homogenen, vor Selbstvertrauen nur so strotzenden Team war der Kapitän eigentlich unersetzlich. Und jetzt fällt er aus.

Materazzi als Cannavaro-Ersatz?

In fünf Tagen muss Donadoni nun einen Plan B für die Innenverteidigung ausarbeiten, während das Vertrauen in der Heimat in die Squadra Azzurra minütlich sinkt. "Addio EM", schrieb "Corriere dello Sport" am Dienstag, die "Gazzetta dello Sport" wertete Cannavaros Ausfall sogar als "tödlich".

Mit dem 34-jährigen Kapitän und Andrea Barzagli, sowie Christian Panucci (rechts) und Gianluca Zambrotta (links) stand die Abwehr eigentlich schon.

Variante A von Plan B sieht nun den zuletzt arg schwächelnden Marco Materazzi neben Barzagli vor. "In den vergangenen zwei Jahren haben Barzagli und Materazzi gute Leistungen gezeigt. Jetzt werde ich mir ihre Verfassung und ihr Zusammenspiel anschauen und dann entscheiden", meinte Donadoni. Am Dienstag ließ er im Training bereits so spielen.

Keine Zeit für Spielereien

Als zweite Alternative steht ausgerechnet Chiellini parat. "Es war ein ganz normaler Zweikampf, ich schwöre es", meinte der Juve-Spieler nach dem Trainingsunfall sichtlich geschockt. Cannavaro selbst nahm Druck von dem 23-Jährigen: "Ihn trifft absolut keine Schuld." Panucci in die Mitte zu ziehen wäre die Variante C.

Als absolute Notlösung für den Cannavaro-Ersatz gilt Mittelfeld-Spieler Massimo Ambrosini. Für Ambrosini würden Alberto Aquilani oder Daniele De Rossi ins Mittelfeld rücken.

Cannavaro wurde am Mittwoch in Wien operiert und wird in den nächsten Tagen wieder zur Mannschaft stoßen, "um ihr in den entscheidenden Momenten zu helfen". Eine Art Kahn-Effekt, quasi.

Viel Zeit für Planungsspielchen bleibt den Italienern nicht mehr. In der EM Gruppe C warten am Montag die Niederlande auf den Weltmeister und am folgenden Freitag geht es gegen unangenehme Rumänen, die Donadoni nach eigenen Angaben Kopfschmerzen bereiten. Zum Abschluss der Gruppe gibt es dann noch die Neuauflage des WM-Finals gegen Frankreich.

Offensive läuft auf Hochtouren

Von seinem 4-3-3-System will der Italien-Coach allerdings trotz des Ausfalls des Kapitäns nicht abrücken: "Es gibt keinen Grund dazu. Es wäre schlichtweg dumm, das komplette Team deswegen umzukrempeln."

Erstmals seit langem drückt Italien der Schuh in der Abwehr, während Mittelfeld und Angriff überzeugen. Das bekamen am Freitag die Belgier zu spüren, die der Squadra Azzurra beim 1:3 nicht viel entgegen zu setzen hatten.

Der Motor des Weltmeisters läuft also, nur im Getriebe hakt es. Fraglich ist nur noch, ob Donadoni den Milan-Block im Mittelfeld (Ambrosini, Pirlo, Gattuso) zu Gunsten von Aquilani oder De Rossi sprengt.

Im Angriff sind die quirligen Halbstürmer Antonio Di Natale und Mauro Camoranesi neben Bundesliga-Torschützenkönig Luca Toni gesetzt. Und in der Hinterhand hat Donadoni ja noch Italiens besten Torjäger Alessandro Del Piero sowie Antonio Cassano.

Der legte sich am Dienstagabend im Training gleich mal lautstark mit Buh-Mann Chiellini an und rauschte danach übermotiviert in Barzaglis Beine. Donadoni wieß den Heißsporn darauf hin lautstark zurecht.

Gattuso: "Mit dem Rücken zur Wand sind wir am besten"

Auf der To-Do-Liste hat Donadoni neben dem Finden des Cannavaro-Ersatzes nur noch das Feintuning stehen.

"Mehr Präzision, Konzentration und eine noch bessere Chancenverwertung", wünschte er sich nach dem Belgien-Spiel.

Und vielleicht ist der Ausfall des Kapitäns doch gar nicht so schlimm. Fast schon zu ruhig, zu beschaulich, zu perfekt lief die EM-Vorbereitung ab.

Ganz anders als noch 2006, als der Manipulations-Skandal im Vorfeld der WM für eine "Jetzt-erst-recht"-Einstellung der Italiener sorgte. Das Ende ist bekannt.

"Ohne dieses Trotzgefühl hätten wir wahrscheinlich nie die WM gewonnen", erinnerte sich Gennaro Gattuso zurück. "Denn mit dem Rücken zur Wand holen wir Italiener immer das Beste aus uns heraus." Vielleicht ja auch diesmal.

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