Die englischen Polen

SID
Zeitung, Polen, Löw, Ballack, Beenhakker
© Imago

Die englische Presse ist ja nicht gerade zimperlich. Vor zwölf Jahren etwa, vor dem EURO96-Halbfinale gegen Deutschland, gab die yellow press mal so richtig Gas.

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"Bring on the germans", forderte das Volk. Jetzt her mit den Deutschen. Und was ein rechter englischer Boulevard-Schreiber sein wollte, brachte die Germans on, also auf das Titelblatt seiner Postille.

Die Sun - wer auch sonst? - erschien einen Tag vor dem Clash mit dem Kopf eines schreienden deutschen Landsers aus dem - natürlich - zweiten Weltkrieg. Diese Engländer immer mit ihrer komischen Kriegs- und Welterobererromantik.

Stilecht trug der blonde Typ Stahlhelm, aus dem Mund hingen ihm triefende Sauerkrautfetzen. Und natürlich, siehe Kriegs- und Welterobererromantik, hieß der Text über dem Bild "Surrender, Fritz", "Gib' auf, Fritz".

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50 Millionen Engländer und die Sun-Redakteure fanden das total witzig. Premierminister John Major aber musste sich bei Helmut Kohl und dem deutschen Volk entschuldigen.

Beim anstehenden Euro-Turnier sind die Engländer gar nicht dabei. Das ist schade. Kein anderes Fanvolk hätte so viel Euros oder Fränkli in die Kassen der Gastgeberländer gespült, niemand wäre später so tragisch schön im Viertelfinale an ein paar Schüssen aus elf Metern gescheitert.

Wer jetzt dafür in die Bresche springt? Wir wissen es noch nicht. Die Rolle der bösen Presse-Buben wollen sich aber offenbar unbedingt die Polen krallen.

Am Montag machte die Zeitung "Fakt" mit einer Anspielung auf die Schlacht von Tannenberg von 1410 auf, als das polnische Heer die Soldaten des deutschen Ritterordens um Hochmeister Ulrich von Jungingen besiegte. Grenzwertig, aber naja.

Einen Tag später übertrumpfte aber die Bildmontage der Zeitung "Super Express", immerhin mit einer Auflage von rund 400.000 Exemplaren, alles bisher dagewesene. Auf dem Bild ist Polens Coach Leo Beenhakker zu sehen, der die beiden abgeschlagenen Häupter von Joachim Löw und Michael Ballack am Schopfe in Händen hält wie ein Barbar.

Der Titel des Machwerks: "Leo daj nam ich glowy", "Leo, bring uns ihre Köpfe". Über Geschmack braucht man sich wohl nicht zu unterhalten. Ein kleiner Fingerzeig gen Osten sei dann aber doch gestattet: Auch England riss die Klappe auf - und scheiterte grandios an den bloody krauts.

Ciao und Grüezi wohl.

SPOX-Redakteur Stefan Rommel begleitet das deutsche Team während der Europameisterschaft und berichtet täglich aus dem Quartier in Ascona.

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