Mit Willen und Biss

Von Für SPOX.com in Ascona: Stefan Rommel
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© Imago

Ascona - Es ist eine komische Szenerie, die sich den Journalisten täglich auf dem Trainingsgelände der deutschen Nationalmannschaft in Tenero offenbart.

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Glückliche Kinder tollen sich auf den Fußballplätzen der riesigen Anlage, die im wahren Leben ja das Centro Sportivo Nazionale della Gioventu, eine Jugendsportanlage, ist.

Oder sie klettern, spielen Tennis oder Basketball, kurz: haben Spaß.

Umschalten von Spaß auf Ernst

Die DFB-Auswahl mit ihren 23 Spielern fällt da bei ihren Trainingseinheiten kaum aus der Rolle. Auch da wird gekichert und gescherzt, die Stimmung ist prächtig, alle haben Spaß. Philipp Lahm oder Piotr Trochwoski würden auf Grund ihrer Körpergröße als Achtkläsler durchgehen.

So verkauft sich der Tross in der rar bemessenen Zeit, die man dem Training beiwohnen darf. Und dann, plötzlich und unvermittelt, wird aus dem Klassenausflug wieder das Unternehmen Bergsturm.

Einen Tag vor dem großen Auftaktspiel gegen Polen (So., 20.30 Uhr im SPOX-TICKER) vermittelt der DFB-Tross eine eigenartige Mischung aus kindlicher Vorfreude und großer Angespanntheit und Konzentration.

"Wir brennen!"

Oftmals wirkt eine so zur Schau gestellte Leichtigkeit aufgesetzt und einstudiert. Aber auch wenn sich etliche Sätze der Spieler und Trainer auf den Pressekonferenzen aufs Wort gleichen, ist das bei der deutschen Mannschaft definitiv nicht der Fall.

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"Es wird Zeit, dass es endlich losgeht, wir sind heiß auf das erste Spiele gegen die Polen. Wir brennen!", sagte Michael Ballack. Auch der Kapitän wirkt locker und gelöst, kommt aber scharf auf den Punkt, wenn es darauf ankommt.

Ein Sinnbild für alle, die sich am Samstag um 13.45 Uhr mit einer Chartermaschine von Lugano auf den Weg nach Klagenfurt gemacht hatten. Der Ablauf vor dem Kracher gegen die Polen ist strikt geregelt.

Tischtennis, Fernsehen, iPod

Nach der letzten Trainingseinheit im Klagenfurter Wörtherseestadion (16 Uhr) bezieht die Mannschaft Quartier im Holiday Inn in Villach. Nach dem Abendessen um 19 Uhr ist Freizeit angesagt. Die nutzt jeder individuell.

Philipp Lahm und Arne Friedrich erwarten sich womöglich zum Duell an der Tischtennisplatte, Ballack lenkt sich mit Lesen ab oder schläft, Torsten Frings schwört auf Fernsehen und die Songs auf seinem iPod. Spätestens um 23.30 Uhr ist Bettruhe angesagt.

Entscheidung am Samstagabend

Bis dahin ist die Entscheidung über die Starelf bereit gefallen. "Wir setzen uns am Samstag nach dem letzten Training zusammen und entscheiden darüber, wer spielt. Bisher gab es noch keine Absagen an die Spieler, aber sieben oder acht Positionen sind fest vergeben", verriet Torwarttrainer Andreas Köpke auf der letzten Pressekonferenz im Trainingsquartier in Tenero.

Der Sonntag beginnt mit einem ausgiebigen Frühstück, um 11 Uhr dann eine kurze Lauf- und Balleinheit. "Da schwitzen wir leicht an, so wie immer", sagt Ballack. Und dann kommt das Kribbeln.

Nervosität bahnt sich ihren Weg

Beim Mittagsessen zwischen 13 und 14 Uhr schmecken viele der Köstlichkeiten, die Star-Koch Holger Stromberg kredenzt, schon nicht mehr.

"Eigentlich weiß ich genau, was ich zu tun habe, ich kenne die Mechanismen - aber die Nervosität kommt einfach und sie bleibt bis zum Anpfiff. Das kann man nicht steuern", so Ballack, der immerhin schon sein fünftes großes Turnier spielt.

Dann wird es ernst. Nach dem Essen bittet der Bundestrainer seine Jungs zur Mannschaftsbesprechung, geht zusammen mit seinen Assistenten und Chefscout Urs Siegenthaler noch mal die Stärken und Schwächen der Polen durch, spricht die taktische Marschroute durch. Spätestens jetzt kommuniziert Löw seine Entscheidung vom Vorabend und benennt die erste Elf.

Willen und Biss

Danach ziehen sich die Spieler zurück aufs Zimmer. Wer nicht schlafen kann, geht das Spiel schon mal in Gedanken durch. "Jeder handhabt das, wie er will und wie er es gewohnt ist", so Frings.

Um 17 Uhr gibt es noch Kaffee und Kuchen, Zeit für einen letzten lockeren Plausch. Um 18 Uhr wartet der Mannschaftsbus, geschmückt mit dem Spruch "Deutschland - ein Team - ein Ziel" und den Farben Schwarz, Rot, Gold. Die Chefs sitzen hinten: Ballack, Frings, Miro Klose, Jens Lehmann.

Mit der Polizei-Eskorte geht es um 18.15 Uhr vom Hotel zum Wörtherseestadion, rund eine Stunde später Ankunft im Stadion. Warmmachen, letzte Ansprache in der Kabine, heißmachen, Tunnelblick.

"Dann heißt es: 'Willen und Biss zeigen und den ersten Sieg landen'", sagt Ballack. Er spricht damit 80 Millionen Deutschen aus dem Herzen.

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