Problemzone Innenverteidigung

Von Für SPOX.com bei der EM: Stefan Rommel
EM, Metzelder, Mertesacker
© Getty

Ascona - Selten zuvor hat eine deutsche Nationalmannschaft ein derartiges Auf und Ab gezeigt wie bei diesem Turnier.

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Früher wurde entweder konstant schlecht gespielt und dann auch verdientermaßen früh der Heimweg angetreten, oder aber konstant gut - oder zumindest vernünftig gerumpelt - und somit eines von mittlerweile 13 Finals bei großen Turnieren erreicht.

Vor dem Endspiel gegen Spanien (So., 20 Uhr im SPOX-TICKER) bleiben viele Fragezeichen. Mit einer Leistung wie gegen Portugal ist der EM-Titel allemal drin, tritt die deutsche Mannschaft so auf wie gegen die Türkei, wird es fast unmöglich.

SPOX.com hat das DFB-Team unter die Lupe genommen und geht Mannschaftsteil für Mannschaftsteil durch.

Torhüter

Aus Jens Lehmann wird man bei diesem Turnier nicht so recht schlau. Sein Arbeitsprotokoll im Zeitraffer: Diskussion über die fehlende Spielpraxis. Schlimme Wackler im vorletzten Testspiel gegen Weißrussland. Diskussion über den angeblichen Flatterball. Kleine Wackler gegen Polen und Kroatien. Gegen Österreich solide. Gegen Portugal ruhig und souverän. Gegen die Türkei wieder diese Wackler.

Machte sein bestes Spiel als auch die Mannschaft ihr bestes Spiel zeigte. Alles in allem ein mittelmäßiges Turnier bisher. Im Finale dürfte das aber zu wenig sein. Ein paar Prozent mehr müssen her.

Abwehr

Auf den Außenbahnen gibt es keine Probleme. Arne Friedrich ist nicht der Prototyp des offensivstarken Verteidigers, aber bis auf das Türkei-Spiel in der Defensive robust, zweikampfstark und abgeklärt. Entnervte immerhin schon Cristiano Ronaldo.

Auf links spielt Philipp Lahm bisher ein überzeugendes Turnier und darf sich sogar berechtigte Hoffnungen auf einen Platz im All-Star-Team machen. Das alles wird den bescheidenen Münchener herzlich wenig interessieren. Gegen die Türken erst der Buhmann, dann der gefeierte Star. Bisher die Konstante im deutschen Spiel, eine Bank.

Die Innenverteidigung bereitet am meisten Kopfzerbrechen. Vor dem Turnier waren die bangen Blicke auf Christoph Metzelder gerichtet. Fehlende Spielpraxis und Fitness wurden dem Madrilenen attestiert, nicht zu Unrecht. Aber Metzelder hat sich wie versprochen heran gerobbt an seine gewohnte Leistungsstärke, auch wenn er nicht der Metzelder von 2002 oder 2006 ist. Musste in den ersten Spielen damit leben, dass sich der eine gegnerische Stürmer immer auf ihn, den vermeintlich schwächeren der beiden deutschen Innenverteidiger, stürzte. Mittlerweile hat sich das ein wenig geändert. Was auch an Per Mertesacker liegt.

Die Leistungskurve des Bremers zeigt kontinuierlich nach unten. Begann stark, half dem viel beschäftigten Metze, war der Ruhepol in der deutschen Abwehr. Baute dann aber Spiel für Spiel ab, Tiefpunkt war seine fahrige Vorstellung gegen die Türken. Viele ungewohnte Stellungsfehler und schlampige Abspiele in der Spieleröffnung machen Mertesacker zur Schwachstelle in der deutschen Deckung. Im Finale muss eine deutliche Steigerung her.

Mittelfeld

Die gute Nachricht: Deutschland kann mit zwei Systemen agieren. Die schlechte Nachricht: Beide Systeme sind anfällig. Im 4-4-2 mit Torsten Frings und Michael Ballack auf einer Linie stimmt zwar die Absicherung nach hinten, das Offensivspiel leidet darunter aber sehr.

Abgesehen von seinem Rippenbruch war Frings bisher nicht der dynamische Antreiber, als den man ihn kennt. Er klaut immer noch viele Bälle und bringt die nötige Robustheit ins deutsche Spiel, aber seine Spieleröffnung lässt zu wünschen übrig. Gegen Spanien aber mit seiner gesunden Härte ein wichtiger Faktor.

Die Alternativen zu Frings zeigten Licht und Schatten. Simon Rolfes und Thomas Hitzlsperger spielten gegen Portugal überragend, gegen die Türkei waren sie in der Defensive fast nicht existent. Zumindest hatte Hitzlsperger offensiv einige gute Szenen und dürfte damit den Vorzug vor Rolfes für das Finale bekommen.

Ballack spielt ein solides Turnier. Wichtiges Tor gegen Österreich, überragende Partie gegen Portugal. Aber gegen die Türken fast nicht zu sehen. Was auch daran liegt, dass er extrem viel Drecksarbeit für die Mannschaft macht. Allerdings hätte er im Halbfinale mehr Präsenz zeigen und seine Mitspieler auch mal aufrütteln müssen. Vom Kapitän hängt im Finale jede Menge ab. Nur mit einem überragenden Ballack hat Deutschland eine Chance.

Wie in der Abwehr stechen auch im Mittelfeld die beiden Außenspieler heraus. Lukas Podolski hat sich in diesem Turnier bis auf einen kurzen Ausflug auf seine angestammte Position im Sturm als linker Mittelfeldspieler etabliert. In der Offensive bärenstark, mit dem nötigen Zug zum Tor und einem gefährlichen Torabschluss. Defensiv offenbart er noch einige Schwächen, die Kollege Lahm zusammen mit einem der beiden defensiven Mittelfeldspieler aber immer wieder glattbügelt.

Bastian Schweinsteiger hat die steilste Karriere des Turniers hingelegt. Vor dem ersten Spiel gegen die Polen wurde er aussortiert und fand sich nur auf der Bank wieder. Clemens Fritz machte ein beeindruckendes Spiel, Schweini schien raus aus der Mannschaft. Gegen die Kroaten dann der Tiefpunkt mit der Roten Karte. Schweinsteiger war der große Verlierer - um dann aus dem Nichts wieder aufzutauchen und gegen Portugal das beste seiner 55 Länderspiele zu machen. Er ist wieder der freche Schweini, aber auch der fleißige Arbeiter Schweinsteiger. Auf den Punkt topfit, ein großer Hoffnungsträger für das Finale.

In der Hinterhand hat Bundestrainer Joachim Löw außerdem noch Tim Borowski. Der Noch-Bremer hatte Pech mit seiner langwierigen Erkrankung, durch die er im Trainingslager auf Mallorca den Anschluss an die Mannschaft etwas verlor. Jetzt ist Boro aber wieder bei 100 Prozent und eine denkbare Alternative im Finale - zumindest als erster Einwechselspieler.

Angriff

Podolski abkommandiert ins Mittelfeld, Mario Gomez mit einem, nun ja, unglücklichen Turnier, Kevin Kuranyi mit bisher nur elf Minuten Einsatzzeit und Oliver Neuville als Mann für die letzten Minuten. Bleibt nur noch Miroslav Klose übrig.

Der Münchener ist etwas aus seinem Tief gekrochen, in dem er noch in der Schlussphase der Meisterschaft steckte. In den letzten beiden Spielen phasenweise wieder der Killer-Klose vor dem Tor. Spielt nicht überragend, aber ist doch immer wieder für ein Tor gut. Das beruhigt ungemein.

Denn an Alternativen mangelt es. Gomez hat sich durch die Spekulationen um seine Zukunft selbst völlig aus dem Turnier genommen. Der Stuttgarter selbst hat zwar beharrlich geschwiegen, leider hat sich sein Umfeld in Form von Berater, Verein und Interessenten nicht daran gehalten. Gomez durchlebt die schwerste Phase seiner Karriere, ausgerechnet bei seinem ersten großen Turnier.

In Kuranyi hat Bundestrainer Löw offenbar kein großes Vertrauen, bei Neuville war vor dem Turnier schon klar, dass dieser die Rolle des Edel-Jokers einnehmen würde.

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