Die blaue Eminenz

Von Stefan Rommel
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© Getty

München - Es ist doch jedes Mal dasselbe: Wenn vor großen Turniere die Topfavoriten benannt werden, finden sich Italien, Portugal oder die Niederlande sich. In günstigen Fällen sogar Deutschland.

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Aber Frankreich? Niemand hat die Grande Nation vorher so richtig auf dem Zettel. Gute Chancen ja, aber gleich der heiße Anwärter auf den Titel? Doch eher nicht.

Umso größer ist dann die Verwunderung, dass die Franzosen doch durchs Turnier marschieren. So wie wohl auch bei der EURO 2008. Denn die equipe tricolor hat alles, was ein echter Champion haben muss.

Stärken:

Zunächst ist zu sagen, dass wohl keine andere Mannschaft - noch nicht ml Deutschland - über eine derart eingespielte erste Elf verfügt wie die Franzosen. Bis auf Magier Zinedine Zidane ist der WM-Kader zusammen geblieben. Recken wie Lilian Thuram oder Thierry Henry bringen jede Menge Erfahrung mit.

Trainer Raymond Domenech hat es trotz wackeliger Qualifikation geschafft, eine ganze handvoll junger Supertalente an die Nationalelf heranzuführen. Die Mischung im Kader zwischen Jung und Alt passt perfekt.

Besonderes Prachtstück ist die Offensive. Die Franzosen nennen ihre Angriffsreihe ganz mystisch das "magische Viereck". Dessen Protagonisten heißen Frank Ribery, Florent Malouda, Thierry Henry und Nicolas Anelka.

Starke linke Seite

Die linke Seite der Franzosen ist vielleicht die beste der Welt. Die beiden Kumpels Malouda (vorne) und Außenverteidiger Eric Abidal vom FC Barcelona wirbeln gegnerische Abwehrreihen nur so durcheinander.

Und sollten es die ersten Elf mal nicht bringen, dann hat Domenech immer noch die talentierteste Bank aller EM-Teilnehmer zu Verfügung. Mit Samir Nasri (Olympique Marseille), Karim Benzema und Hatem Ben Arfa (beide Olympique Lyon) sitzen drei Juwelen unter 20 Jahren auf der Bank. Alle drei werden mit dem jungen Zidane verglichen...

Schwächen:

Die Sache mit der guten Mischung beinhaltet allerdings auch, dass einige ältere Spieler noch regelmäßig zum Einsatz kommen - zumindest in der Nationalelf. Im Klub sieht das schon anders aus, was zwangsläufig zu einer Lehmann-mäßigen Diskussion über fehlende Spielpraxis führen muss.

Thuram etwa ist mit seinen bald 36 Lenzen für einen Innenverteidiger doch sehr in die Jahre gekommen. Der WM-Held von 1998 ist mittlerweile schlicht zu langsam, bei Domenech aber trotzdem in jedem Spiel gesetzt.

Ähnlich verhält es sich im zentralen defensiven Mittelfeld. Patrick Vieira ist ständig verletzt und kommt in dieser Saison überhaupt nicht ins Laufen. Niemand weiß so recht, ob und wie er bis zur EM wieder fit wird.

Probleme auf der Torhüterposition

Claude Makelele ist zwar fit, darf beim FC Chelsea seit dem Rauswurf seines Mentors Jose Mourinho aber allenfalls nur noch jedes zweite Spiel ran und weißt erheblich Defizite auf, was seine Spielpraxis betrifft. Auf zwei Spieler mit derart wenig Spielpraxis zu setzen, in einem so entscheidenden Mannschaftsteil, kommt beinahe einer Katastrophe gleich.

Und noch eine Schwachstelle: Die Torhüterposition. Hört sich angesichts eines Topmannes wie Gregory Coupet zwar komisch an - die letzten EM-Qualispiele wiesen jedoch einen eklatanten Missstand auf.

Hinter Coupet, der mittlerweile nach seinem Kreuzbandriss wieder trainiert, hat Domenech keinen Plan B. Fliegenfänger Mikael Laundreau (PSG) oder Schönling Sebastian Frey (AC Florenz) patzten einige Male gründlich. Coupet ist die Versicherung - alles andere wird zum Fiasko bei der EM.

Taktik:

Domenech spielt in einem klassischen 4-4-2 mit einem Viereck im Mittelfeld (Vieira, Makelele, Ribery, Malouda). Die Position hinter den Spitzen bleibt unbesetzt.

In Ausnahmefällen praktizieren die Franzosen aber auch ein 4-5-1. Dann wäre Henry die einzige Spitze, der sprunghafte Anelka dafür draußen. Die Zehnerposition füllt dann der blutjunge Nasri aus.

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