"Erschreckend und verheerend"

Von Interview: Andreas Lehner
Polster, Toni, Österreich
© Imago

München - Österreich darf die EM 2008 ausrichten. Und Österreich darf (oder eher muss) gegen Deutschland spielen. Am 16. Juni 2008 um 20.45 Uhr im Wörthersee-Stadion in Klagenfurt. Die rot-weiß-rote Nation träumt von einem zweiten Cordoba. Bei der WM 1978 schlug Österreich den Erzrivalen 3:2.

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Die guten Zeiten der österreichischen Nationalelf liegen eben lange zurück. Bei der Heim-EM soll der eine oder andere Coup gelingen. Toni Polster glaubt nicht wirklich dran. Im Gespäch mit SPOX.com macht sich Österreichs Stürmerlegende (44 Tore in 95 Länderspielen) große Sorgen um sein Land.

Die Partie gegen Deutschland kann er aber kaum erwarten.

SPOX.com: Herr Polster, Österreich hat ein schwaches Jahr mit nur einem Sieg aus zwölf Spielen hinter sich. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Toni Polster: Wir sind deutlich hinter den Erwartungen zurück. Die Bilanz ist erschreckend und verheerend, da brauchen wir gar nicht drum herum reden. Die sportlichen Aussichten sind nicht rosig.

SPOX: Wie sehen Sie die Chancen auf ein positives Abschneiden bei der EM in der Gruppe mit Deutschland, Kroatien und Polen?

Polster: Ich bin Patriot und eine Chance hat man immer. Wir sind natürlich der große Außenseiter, aber es hätte auch viel schlimmer kommen können. Wir haben eine Gruppe erwischt, in der die Mannschaft den ein oder anderen Punkt holen kann. Wenn wir ins Viertelfinale kommen würden, wäre es eine riesige Sensation. Dazu muss sich die Mannschaft natürlich steigern. Aber ich hoffe, dass sie mit dem Publikum im Rücken über sich hinauswachsen kann.

SPOX: Wie sehen Sie das Kräfteverhältnis innerhalb der Gruppe?

Polster: Natürlich ist Deutschland Favorit auf den Gruppensieg.  Die Kroaten sind die Brasilianer Europas und haben England in Wembley geschlagen. Polen hat die WM- und EM-Qualifikationen überragend abgeschlossen. Im Turnier waren sie allerdings nicht so stark, und darauf hoffen wir Österreicher natürlich.

SPOX: Freuen Sie sich auf das Duell mit Deutschland knapp 30 Jahre nach Cordoba?

Polster: Ich habe mir gewünscht, auf Deutschland zu treffen! Weil es ein Derby auf Nationalmannschaftsebene ist. Das ist mir lieber als gegen Rumänien zu spielen, denn gegen die Deutschen wird es ein Spiel mit großer Brisanz und einer explosiven Stimmung.

SPOX: Wie ist die Stimmung im Land nach der Auslosung?

Polster: Einige sind in Euphorie ausgebrochen und glauben, dass wir Europameister werden können. Aber die meisten sind realistisch und wissen, dass wir Losglück hatten. Das müssen wir jetzt auch beweisen und in Resultate ummünzen.

SPOX: Wo liegen die Stärken und die Schwächen des österreichischen Teams?

Polster: Wir hatten früher in jedem Mannschaftsteil herausragende Spieler. Diese individuelle Klasse ist im Moment nicht vorhanden. Unseren Gegnern muss nicht angst und bange werden. Die Probleme liegen ganz klar im Sturm. Den Kreativspielern fehlt der Wille eines Stranzl oder Pogatetz. Unsere Stärken liegen im Defensivbereich. Wir haben einen guten Torwart, da hat Macho im Moment die Nase vorn. Mit Stranzl und Pogatetz hat Österreich zwei Innenverteidiger, die internationale Klasse besitzen. 

SPOX: Die österreichische U 20 wurde bei der WM Vierter. Können Spieler wie Martin Harnik oder Erwin Hoffer 2008 schon helfen?

Polster: Ich bin der Meinung, dass Leute, die in der Nationalmannschaft spielen, in ihren Vereinen Stammspieler sein müssen. Wir hatten zeitweise fünf Ersatzspieler im Team - und die Leistung war erschreckend. Deshalb müssen sich diese Spieler erst bei ihren Vereinen durchsetzen. Wer sonst im Vorzimmer Flöte üben muss, kann nicht am Samstag in der Staatsoper bei den Philharmonikern mitspielen.

SPOX: Wie stehen Sie zu Teamchef Josef Hickersberger?

Polster: Die Bilanz von Hans Krankl war besser als die von Hickersberger. Wir wollten sehen, dass sich die Mannschaft in kleinen Schritten nach vorne entwickelt. Die Entwicklung war aber eine andere, wir haben kleine Schritte nach hinten gemacht, zum Teil auch größere. Die Mannschaft hat die Vorstellungen von Peppi Hickersberger auch fast nie umgesetzt.

SPOX: Was muss nun passieren?

Polster: Hickersberger hat seine Qualität oft unter Beweis gestellt. Aber ich muss mir als Teamchef die Frage stellen, ob mir das noch Spaß macht. Wenn ich jedes Mal erklären muss, dass wir flach spielen wollten, über die Flügel spielen wollten, kurze Doppelpässe spielen wollten, den Gegner früh attackieren wollten, aber er nach 90 Prozent der Spiele konstatieren muss, dass nichts umgesetzt wurde, muss ich mich fragen: 'Hören die Spieler nicht zu? Können sie es nicht umsetzen? Erreiche ich die Spieler nicht mehr?' Ich als Kritiker hab's aber auch leicht, ich muss ja keine Visionen entwickeln.

SPOX: In der WM-Qualifikation muss Österreich gegen die Färöer Inseln ran. Sie waren 1990 bei der historischen 0:1-Niederlage dabei. Haben Sie Angst vor einer erneuten Blamage?

Polster: Wir hatten ja damals alles Pech der Welt. Ich weiß nicht, wie oft ich diesem Tormann mit der Zipfelmütze auf den Kopf geschossen habe und wie oft wir an die Stange geschossen haben. Die kamen einmal nach vorn und machen ein Tor. Die werden wir zweimal schlagen, Punkt.

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