EM

Mit blauen Augen zum Kindheitstraum

Von Daniel Reimann
Nico Schulz erzielte das goldene Tor für den Halbfinaleinzug
© getty

Durch ein 1:1 gegen Tschechien zieht Deutschlands U21 ins Halbfinale ein und macht die Qualifikation für Olympia 2016 klar. Die Erleichterung ist groß - doch Euphorie will nicht aufkommen. Schließlich hat die Partie einen doppelt faden Beigeschmack.

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"Wenn man ihn nachts um 4 Uhr weckt und ihm einen Ball an die Mittellinie legt, macht er den im Schlaf rein", witzelte Johannes Geis in der Mixed Zone. Er sprach von Teamkollege Kevin Volland, der kurz vor Schluss einen Konter per Fernschuss abschloss, weil das gegnerische Tor leer war. Doch Volland zielte drüber.

"Ich habe es in der Situation zuerst nicht realisiert", erzählte der Protagonist hinterher. "Ich habe mich zuerst auf die rechte Seite orientiert und auf die Ballannahme konzentriert, dann sah ich plötzlich: Der ist ja noch nicht mal im Tor. Ich habe ein bisschen zu spät geschossen", musste sich Volland eingestehen.

Er hätte den Abend damit perfekt machen können. Mit einem 2:1 wäre Deutschland als Gruppensieger weitergekommen, hätte sich die Reise nach Olmütz und den etwas faden Beigeschmack des Remis' ersparen können. "Ich wäre lieber hier geblieben", meinte auch Emre Can. Und Trainer Horst Hrubesch verriet: "Die Spieler jubeln nicht großartig, obwohl sie alles erreicht haben, was sie erreichen wollten."

Erleichterung nach Nervenschlacht spürbar

Auch trotz überschaubarer Jubelausbrüche hat die U21 ihr Minimalziel erreicht. Der "Kindheitstraum", wie es vom DFB via Hashtag formuliert wird, von den Olympischen Spielen wird wahr, 2016 in Rio. Doch nicht nur für die Spieler geht ein großer Traum in Erfüllung.

Für Coach Hrubesch war die Perspektive Rio einer der Gründe, weshalb er vor zwei Jahren wieder das Amt des U21-Trainers übernahm. Sein letztes Ziel, bevor er wohl im Anschluss in Rente gehen wir. "Das waren wir unserem Trainer schuldig. Er wollte unbedingt zu Olympia", sagte Can.

Gleichzeitig ist das Halbfinalticket gebucht, der EM-Titel nur noch zwei Siege entfernt. Die Erleichterung über das Weiterkommen war den Spielern ebenso anzusehen wie die Nervosität auf dem Platz. "Die drei Spiele waren für jeden Einzelnen extrem intensiv, dieses auch noch nervenaufreibend. Wir sind einfach froh, dass wir jetzt ins Halbfinale eingezogen sind", so Volland.

Besonders nach dem Ausgleich, als das Publikum plötzlich die Arena tatsächlich noch in einen Hexenkessel verwandelte, wurde die Partie zur Nervenschlacht. "Diese Spiele muss man auch erst über die Bühne kriegen", sagte Volland ein wenig stolz.

Problemfeld Chancenverwertung

Dass trotzdem keine Euphorie beim deutschen Team aufkommen mag, lag einerseits am verpassten Gruppensieg. Denn nicht nur Volland hätte am Ende den Sieg fürs DFB-Team mit seinem Weitschuss eintüten können. Über die gesamten 90 Minuten hatte Deutschland zahlreiche vielversprechende Konter- bzw. Torchancen.

"Gerade in der zweiten Halbzeit gab es zwei, drei Aktionen, aus denen einfach ein Tor fallen muss. Und dann gab es viele weitere Aktionen, die wir einfach besser ausspielen müssen", bemängelte auch DFB-Sportdirektor Hansi Flick.

Auch diese Tatsache, dass die Mannschaft das Spiel für sich deutlich schwerer und für die Zuschauer deutlich spannender gestaltet hat, trübt das Gesamtbild ein wenig. "Die Konsequenz im Abschluss hat gefehlt. Die braucht es im Halbfinale", fordert Flick.

Gratwanderung geglückt

Dass die Gratwanderung am Ende doch noch ein gutes Ende fand, lag auch daran, dass den Tschechen in der Schlussphase Kraft und Konzentration fehlten, um die letzten vielversprechenden Angriffsaktionen noch in Tore umzumünzen.

Ein einziger Treffer hätte gereicht, um Deutschland aus dem Turnier zu katapultieren. Der Traum von Rio wäre geplatzt. Die DFB-Kicker schienen sich nach dem Spiel bewusst zu sein, wie knapp sie dem Vorrunden-Tod nochmal von der Schippe gesprungen waren. Sie waren nochmal mit einem blauen Auge davongekommen. Auch diese Tatsache mahnte zur Bodenständigkeit.

Nur einer war dann doch zumindest ein wenig euphorisch. Leonardo Bittencourt hat brasilianische Eltern, für ihn ist die Olympia-Qualifikation nochmal etwas ganz besonderes.

"Ich denke, meine komplette Familie dreht gerade durch bei Whatsapp", meinte er nach dem Spiel freudig. "Die haben wahrscheinlich schon alles gebucht. Ich muss beim DFB jetzt schon Tickets anfordern, damit ich genug für meine Familie bekomme."

Tschechien - Deutschland: Die Daten zum Spiel

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