EM

Defensive gewinnt Titel? Von wegen!

Von Johannes Raif
Opta hat die Daten der Europameisterschaften seit 1980 ausgewertet
© spox

Mit Beginn der Europameisterschaft 1980 analysierte Opta alle Spiele bei EM-Endrunden. Die gesammelten Daten lassen aussagekräftige Quervergleiche von Stars und Spielweisen von heute und früher zu. In der EM-Serie wird SPOX in den kommenden Tagen einige Einblicke in die Zahlen geben. Heute: Die Entwicklung des Fußballs.

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Seit 1980 liefen 1.513 Spieler in 214 Endrundenspielen bei Europameisterschaften auf, spielten 170.517 Pässe, führten 24.799 Zweikämpfe und erzielten insgesamt 513 Tore. Ein ziemlicher Wust an Daten, den Opta hier in den letzten Jahren gesammelt hat und den es nun zu ordnen gilt. Die Formel, wie man am leichtesten Europameister wird, findet man dabei nicht, einige Trends lassen sich aber ablesen.

Es fallen mehr Tore: Hält der Trend an, dürfen sich die Fans wieder auf Tore freuen. Nach dem Allzeithoch von durchschnittlich 2,74 Toren pro Spiel bei der Europameisterschaft 2000 in Belgien und der Niederlande hat sich der Schnitt bei EM-Endrunden in den letzten Jahren bei rund 2,5 Toren pro Partie eingependelt. Im vergangenen Jahrtausend lag er mit Ausnahme der EURO 1984 in Frankreich immer darunter - vielleicht ebenfalls ein gutes Zeichen mit Blick auf den Austragungsort in diesem Jahr.

Die verbesserte Treffsicherheit lässt sich übrigens damit erklären, dass bis zur EM 2000 der Anteil von Fernschüssen immer bei über 50 Prozent lag, seither war der Anteil an Versuchen von innerhalb des Strafraums immer höher. Allerdings nahm die Anzahl der Torschüsse pro Partie bei der EURO 2012 erstmals in diesem Jahrtausend wieder ab.

Offensive gewinnt Titel: Offensive gewinnt Spiele, Defensive gewinnt Titel - von wegen! Seit 1980 stellte der Europameister in 78 Prozent der Fälle die beste Offensive im Turnier, in zwei Drittel der Turniere hatte der spätere Titelträger auch den besten Toreschnitt. Gerade mal 44 Prozent der Europameister kassierte dagegen die durchschnittlich wenigsten Gegentore pro Partie.

Effektivität hat im Offensivspiel der Europameister übrigens keine Priorität: Die Chancenverwertung war gerade mal bei einem Drittel der Europameister seit 1980 die beste im Turnierverlauf, nur bei 55 Prozent gehörte sie zu den besten Zwei. Am fahrlässigsten mit den eigenen Möglichkeiten gingen übrigens die Niederländer auf dem Weg zum EM-Titel 1988 um, die gerade einmal auf eine Chancenverwertung von 10 Prozent kamen.

Abkehr vom ruhenden Ball: Die Bedeutung von Standards nahm bei den vergangenen Endrunden ab - mit Ausnahme der Griechen 2004 erzielte seit 1992 ein Europameister immer über zwei Drittel seiner Tore aus dem Spiel heraus. Mit 43 Prozent hatten die von Otto Rehhagel trainierten Hellenen gemeinsam mit Frankreich 1984 den höchsten Anteil an Standardtoren.

Doch während Griechenland beim EM-Sieg aufgrund fehlender spielerischer Mittel auf die wenigen sich bietenden Chancen nach Standards angewiesen war, erzielten die Franzosen bei der Heim-EM 1984 alleine drei direkte Freistoßtore - bis heute unerreicht bei EM-Endrunden.

Rückkehr zum Kombinationsfußball: Mit durchschnittlich 455 Pässen pro Partie stellten die Teams bei der vergangenen Europameisterschaft einen neuen Höchstwert auf, damit einhergehend war jedoch auch, dass so wenige Flanken wie nie zuvor aus dem Spiel heraus geschlagen wurden (26 pro Partie). Zudem erreichten die Teams zum zweiten Mal in Folge eine Passquote von 80 Prozent oder höher.

Das gab es zuvor nur bei den Europameisterschaften 1980 und 1984, die aber mit weniger Teams ausgetragen wurden und somit den Zugang für vermeintlich weniger passsichere Fußballzwerge verwehrten. Aber nicht nur das zeigt, dass der Kombinationsfußball zuletzt eine kleine Renaissance erlebte: In den 1980er Jahren hatte der Europameister bei Passgenauigkeit und Ballbesitz immer den besten oder zumindest zweitbesten Wert im Turnier.

Eine solche Konstellation war dann erst wieder durch den Einzug der spanischen Passmaschinerie bei den vergangenen beiden Europameisterschaften der Fall. Einzig Frankreich 2000 gestellte sich in der Zwischenzeit unter die passsichersten Mannschaften, jedoch bei relativ schwachen Ballbesitzwerten.

Es geht friedlicher zu: Bei der EM 2012 wurden im Schnitt lediglich 29 Fouls pro Partie gepfiffen, das war der kleinste Wert seit Erfassung der Daten. Seit der EM 2004, bei der mit durchschnittlich 39 Fouls pro Partie bisher am häufigsten hingelangt wurde, nahmen die Foulspiele wieder kontinuierlich ab. Diesen Trend unterstützt auch, dass nach der EM 1992 die Anzahl an Zweikämpfen pro Partie immer weiter abnahm - 2012 waren es nur noch 90 direkte Duelle am Ball pro Spiel und damit so wenige wie nie seit Datenerfassung.

Die Schiedsrichter haben übrigens auch ihren Anteil daran, dass weniger Härte in den Spielen aufkommt. Bei den vergangenen fünf Endrunden zeigten die Referees im Schnitt mindestens vier Gelbe Karten pro Partie, 2004 und 1996 lag der Mittelwert sogar bei fünf Verwarnungen. In den drei Turnieren in den 1980er Jahren griffen die Schiedsrichter nur rund zweimal pro Spiel in die Brusttasche.

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