EM

"Jetzt lachen wir über die Holländer"

Jean-Marie Pfaff erreichte mit Belgien 1980 das EM-Finale gegen Deutschland
© getty
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SPOX: 1980 wurde die Teilnehmerzahl der EM erstmals von vier auf acht angehoben. 2016 sind 24 Mannschaften am Start. Das war damals noch undenkbar, oder?

Pfaff: Absolut. Mittlerweile kommen die Spieler ja auf zehn bis 20 Länderspiele im Jahr. Wir waren damals froh, wenn wir in einer Saison vielleicht dreimal mit der Nationalmannschaft unterwegs waren. Genauso war das bei den großen Turnieren. Da war jedes Spiel für sich schon viel wichtiger als das heute der Fall ist. Es ist deutlich einfacher geworden, länger im Turnier zu bleiben.

SPOX: Sinkt dadurch die Qualität des Turniers, da auch mehrere kleine Nationen mitspielen?

Pfaff: Das soll Mannschaften wie Albanien oder Island gegenüber nicht respektlos klingen, aber früher mussten wir uns schon in der Gruppe gegen England oder Italien durchsetzen, um das Finale zu erreichen. Für die Außenseiter finde ich es aber schön, dass sie dabei sind. Das gibt auch ihnen die Chance, sich mal auf der großen Bühne zu zeigen. Generell stecken aber vor allem die Faktoren Unterhaltung und Geld dahinter. Das ist von den Organisatoren alles perfekt geplant. Die Saison in den Vereinen ist vorüber, jetzt sollen die Zuschauer möglichst lange von der EM unterhalten werden. Am Ausgang des Turniers ändert die Teilnehmerzahl aber nichts.

SPOX: Wie meinen Sie das?

Pfaff: Die Besten landen immer ganz vorne. Das kann man mit Öl vergleichen: Egal, wie viel Wasser ich im Becken habe, das Öl schwimmt immer ganz oben. Deshalb wird sich auch einer der Favoriten durchsetzen.

SPOX: Welche Chancen sprechen Sie in diesem Jahr dem belgischen Team zu?

Pfaff: Wenn diese Mannschaft nicht unter die ersten Vier kommt, dann müssen sich die Spieler alle einen anderen Job suchen. Das ist so eine große Mannschaft. Auf jeder Position haben sie drei gute Spieler. Fast alle spielen im Ausland - und das bei großen Vereinen. Sie haben viel Erfahrung gesammelt und sind reifer geworden. Die belgischen Nationalspieler sind es mittlerweile gewohnt, vor 60.000 Zuschauern in der Champions League zu spielen. Außerdem können sie sich ausschließlich auf den Fußball konzentrieren. Die Erwartungshaltung ist entsprechend hoch.

SPOX: Konnten Sie das damals nicht?

Pfaff: Während wir damals 75 Euro pro Monat bekommen haben, verdienen die Spieler heute 400.000 Euro pro Woche. Wir mussten damals tagsüber arbeiten gehen. Fußball war unser Hobby. Mittlerweile ist der Fußball professionalisiert. Wenn ein Spieler außerhalb des Platzes noch arbeitet, ist es höchstens, um dem Gärtner das Schloss zum Gartenhaus aufzuschließen und ihm den Rasenmäher zu geben. (lacht) Ich muss schmunzeln, wenn ich daran denke.

SPOX: Man spricht bei der aktuellen Mannschaft immerhin von der "Goldenen Generation" des Landes. Zurecht?

Pfaff: Wenn die Mannschaft verletzungsfrei und klar im Kopf bleibt, hat sie gute Chancen, große Erfolge zu feiern. Die Euphorie im Land ist riesig. Jeder glaubt, dass wir das Endspiel erreichen und gewinnen. In Belgien ist in diesen Tagen alles schwarz-gelb-rot. Früher haben die Holländer über uns gelacht, jetzt lachen wir über die Holländer.

SPOX: Alle Mannschaftsteile sind gespickt mit Spielern europäischer Top-Klubs. Um nur einige zu nennen: Thibaut Courtois, Thomas Vermaelen, Marouane Fellaini, Kevin de Bruyne oder Eden Hazard. Was macht sie als Kollektiv aber so stark?

Pfaff: Viele von ihnen sind noch jung und spritzig, obwohl sie schon über eine große internationale Erfahrung verfügen. Diese Unbekümmertheit zusammen mit der nötigen Geduld zeichnet die Mannschaft aus.

SPOX: Wie bewerten Sie de Bruynes Entwicklung in England?

Pfaff: Der Wechsel nach Manchester hat ihn auf jeden Fall weitergebracht. Schon in Wolfsburg hat er große Schritte gemacht. Er ist in nur wenigen Jahren extrem gewachsen. Vor drei, vier Jahren war er noch nicht so gut. Das ist beeindruckend.

SPOX: Wie wichtig ist es, auch auf der Torhüterposition einen Mann von Weltklasseformat zu haben?

Pfaff: Sehr wichtig. Ein Torwart muss auch dann gut spielen, wenn die Mannschaft vielleicht mal nicht so gut drauf ist. Courtois ist für mich aber kein Weltklasse-Mann. Es ist noch viel zu früh, als dass man so etwas über ihn sagen könnte. Courtois hat in dieser Saison mehr Schüsse aufs Tor bekommen - und auch mehr Fehler gemacht. Anstatt Bälle festzuhalten, baggert er sie zum Teil weg wie ein Volleyballer. Wir müssen weg von dem Gedanken, dass ein Torwart, der bei einem großen Klub spielt, automatisch auch ein Spieler von großem Format ist. Courtois hatte Glück, drei Jahre bei Atletico zu spielen und nicht viele Bälle aufs Tor zu bekommen zu haben. Bei Casillas ist es genauso.

SPOX: Fahren Sie gerne fort.

Pfaff: Jetzt, wo er nicht mehr in Madrid spielt, spricht auch keiner mehr über ihn. Porto ist kein schlechter Klub, aber natürlich nicht vergleichbar mit Real. Jetzt hat er nicht mehr so gute Vorderleute und kassiert plötzlich auch mehr Gegentore. Ein großer Torwart ist für mich einer, der dem Team weiterhilft, wenn es Probleme hat und nicht einer, der die Null hält, wenn das Team ohnehin gut spielt.

SPOX: Beschäftigen Sie sich eigentlich noch mit der deutschen Mannschaft?

Pfaff: Natürlich, ich habe mehrere Jahre in Deutschland gespielt. Entsprechend verfolge ich die Bundesliga und auch die Nationalmannschaft noch regelmäßig.

SPOX: Wie schätzen Sie das DFB-Team ein? Geht man als Weltmeister automatisch als Topfavorit ins Turnier?

Pfaff: Ich habe enorm viel Respekt vor dem deutschen Fußball. Viele andere Länder ziehen ihre Motivation aus der deutschen Mannschaft. Deutschland setzt sich feste Ziele und verfolgt diese immer ehrgeizig. Das macht das Team so stark. Sie sind der erste Kandidat auf das Finale. Und dort treffen sie dann auf Belgien zur Neuauflage des Enspiels von 1980. (lacht)

SPOX: Wer gewinnt 2016?

Pfaff: Diesmal drehen wir das Ergebnis um. (lacht)

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