EM

Albaner gegen Albaner

Albanien ließ in seiner Qualifikations-Gruppe Dänemark und Serbien hinter sich
© getty

Albanien nimmt bei der Europameisterschaft in Frankreich erstmals an einem großen Turnier teil - einigen kuriosen Begebenheiten sei Dank. Die Schweizer Fußball-Ausbildung und die serbische Hartnäckigkeit spielten dem kleinen Balkan-Land dabei in die Karten. Der steile Höhenflug könnte aber bald jäh enden. Just wegen dem eigentlichen Bruder-Staat Kosovo.

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Es ist wohl eines der kuriosesten Spiele, das sich je bei einer Europameisterschaft zutragen wird. Albanien gegen die Schweiz, 11. Juni 2016, Stade Bollaert-Delelis, Lens. Lenjani und Abrashi treffen dann auf Dzemaili und Shaqiri; Basha und Gashi auf Mehmedi und Behrami. Und Xhaka trifft dann auch auf Xhaka. Das Bruderduell zwischen Granit und Taulant ist die absolute Zuspitzung dieser erstaunlichen Kuriosität.

Ein knappes Dutzend Spieler in den Kadern der beiden Mannschaften könnte auch für die jeweils andere Nation kicken. Fast 1.200 Kilometer Luftlinie liegen zwischen der albanischen Hauptstadt Tirana und Bern. Eine Busfahrt zwischen den beiden Städten dauert knapp 35 Stunden. Sofern die zahlreichen Grenzkontrollen flüssig laufen, versteht sich, und auch keine Staus für Verzögerungen sorgen. Trotz dieser enormen Entfernung gibt es in Europa wohl keine zwei Nationen, deren aktuelles Fußball-Geschehen so verwoben ist.

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Knapp 250.000 Albaner leben im Moment in der Schweiz. Besonders bemerkbar macht sich das im Vorlauf der EM. Die lokalen Sportartikel-Geschäfte verkaufen mehr albanische als Schweizer Trikots. Die größte Schweizer Boulevard-Zeitung Blick berichtet im Vorfeld der EM neben Deutsch auch auf Albanisch. Die 250.000 Albaner machen etwa drei Prozent der Schweizer Gesamtbevölkerung aus. Fußballerisches Talent scheint diesen drei Prozent im Blut zu liegen. Im EM-Kader der Schweiz hat jeder vierte Spieler albanische Wurzeln.

Heimat oder Ruhm?

Diese Spieler repräsentieren nicht nur die Schweiz sondern waren lange auch die Aushängeschilder des albanischen Fußballs. Granit Xhaka und Xherdan Shaqiri - sie würden wohl in fast jeder Nationalmannschaft der Welt ihren Kader-Platz finden. Auf der Jagd nach internationalem Ruhm und Turnier-Teilnahmen entschieden sie sich für das Land, in dem sie aufgewachsen sind, und gegen die Heimat-Nation ihrer Eltern.

Auch der Deutsch-Albaner Shkodran Mustafi stand einst vor der schwierigen Entscheidung: Heimat oder Ruhm? Seine Wahl ist bekannt. "Sich gegen die Heimat der Eltern zu entscheiden, ist nicht leicht", sagte Mustafi mal dem Tagesspiegel, "aber ich wollte nicht der Held einer Nation werden, sondern ich wollte Karriere machen, viel erreichen." Jetzt ist Mustafi Weltmeister. Mission erfüllt.

All diese Spieler, die Xhakas, Shaqiris und Mustafis, wurden Anfang der 1990er Jahre geboren, in der Zeit unmittelbar nach dem Zusammenbruch des diktatorischen Regimes in Albanien. Dass sie durchstarteten, ist kein Zufall. Erfolgreichen Fußball unterbanden die Herrscher mit ihrem Kurs der totalen Isolation zuvor fast gänzlich.

Kein europäisches Land war so abgeschottet wie Albanien, sogar die Ausrichtung der Sowjetunion war den Herrschern zu liberal. Was nach dem Sturz der Diktatur folgte, war eine beispiellose Diaspora. Das Land blutete aus, die Bürger verteilten sich über den gesamten Globus. Etwas weniger als drei Millionen Albaner leben derzeit in ihrem Land - knapp doppelt so viele im Ausland.

Erfolgreiches Geschäftsmodell

Für den nationalen Fußball hätte wohl nichts Besseres passieren können. Abertausende junge Albaner leben nun in Nationen, die großen Wert auf Fußball-Ausbildung legen. Die talentiertesten werden in Nachwuchsleitungszentren geschult. "In Albanien kann man Fußballer nicht gleich fördern, die entsprechende Infrastruktur fehlt", sagte Redi Jupi, der technische Leiter des albanischen Verbands, dem SRF. Manche dieser geförderten Spieler schaffen es dann in die A-Nationalteams der jeweiligen Nationen, andere nicht.

Andere nicht. Als den Verantwortungsträgern des albanischen Verbandes dieser Umstand vor einigen Jahren bewusst wurde, begann eine Entwicklung, die die kleine Nation letztlich zur EM nach Frankreich beförderte. Gezielt wurde nach albanisch-stämmigen Spielern gesucht, die im Ausland ausgebildet wurden, den letzten Schritt aber nicht schafften. Mittlerweile wird die Methode professionell betrieben. In der Schweiz arbeitet etwa ein eigener Scout für den albanischen Verband. Über hundert Talente, die für Albanien spielberechtigt wären, beobachtet er momentan angeblich.

Gelohnt hat sich das Engagement bereits jetzt. Abrashi, Xhaka, Gashi und Co. harmonieren auf dem Platz genauso einwandfrei, wie sie abseits des Rasens auf Schwyzerdütsch kommunizieren. Albanisch sprechen nämlich nicht alle Nationalspieler; einige immerhin gebrochen. Stören tut das kaum jemanden. "Das Team ist ein Symbol des nationalen Stolzes", sagte Kapitän Lorik Cana AFP.

Dem Erzfeind sei Dank

Der albanische Fußball befindet sich auf dem Höhepunkt seiner Geschichte. Einer Geschichte, die sich lange Zeit unterhalb des internationalen Beachtungs-Radars bewegte. 1946 gewann Albanien den Balkan Cup, immerhin. 1967 leistete Albanien einen Beitrag zur deutschen Fußball-Geschichte. Wolfgang Overath, Günter Netzer und die ganze DFB-Elf trafen in Tirana einfach nicht ins Tor. 0:0, Qualifikation für die EM 1968 verpasst. Besser bekannt als "die Schmach von Tirana".

Im Herbst 2015 qualifizierte sich Albanien erstmals selbst für eine EM. Und das gar nicht einmal unverdient. Als Gruppenzweiter beendete Albanien die Qualifikation, noch vor Dänemark und vor allem vor Serbien. Für ein vor Nationalstolz nur so strotzendes Volk versüßt dieser Umstand die EM-Teilnahme noch einmal exponentiell. Der Erzfeind wurde in die Schranken gewiesen.

Eigentlich müsste man diesem Erzfeind aber zu Dank verpflichtet sein. Zumindest ein wenig. So abstrus es klingen mag: Serbien ist mitverantwortlich für die positive Entwicklung der albanischen Nationalmannschaft. Lange war die Blockade-Taktik der Serben in FIFA und UEFA Grund dafür, dass der Kosovo keine offiziellen Länderspiele austragen durfte - und die besten kosovarischen Spieler (sofern sie nicht für die Schweiz spielen) für Albanien aktiv sind. Nach jahrelangen Verhandlungen wurde der Kosovo Anfang Mai diesen Jahres aber doch zum offiziellen UEFA-Mitglied gekürt, wenig später folgte auch die Aufnahme in die FIFA.

Werden Brüder zu Rivalen?

Dieser Umstand könnte die kurze Blütephase des albanischen Fußballs jäh beenden. Etliche wichtige Akteure der aktuellen Nationalmannschaft wären auch für den Kosovo spielberechtigt, einige werden diese Chance wohl wahrnehmen - und die albanische Nationalmannschaft womöglich austrocknen.

Für viele Albaner ist das unverständlich. Der Wunsch nach einer großalbanischen Nation mit einer gemeinsamen Fußball-Nationalmannschaft ist weit verbreitet. Am plakativsten wurde dies mit dem skandalösen Drohnen-Flug einer großalbanischen Flagge beim EM-Quali-Spiel gegen Serbien dargestellt. Viele Kosovaren und Albaner fühlen sich der gleichen Nation zugehörig, die Auftrennung in zwei Nationalteams wird für Spannungen sorgen. Beim Kampf um die besten Talente hört das Zusammengehörigkeitsgefühl schnell einmal auf.

Im November vergangenen Jahres trafen sich Albanien und der Kosovo zu einem inoffiziellen Freundschaftsspiel. Der harte Kern der albanischen Fans blieb der Partie jedoch fern. Sie wollen nicht Albaner gegen Albaner spielen sehen, hieß es von Seiten eines Sprechers gegenüber BIRN. Für wen soll man denn da nur sein? Das ist aber ein Post-EM-Problem und steht erst einmal hinten an, denn zuvor erlebt Albanien noch die aufregendsten Wochen seiner Fußballgeschichte.

Das wohl aufregendste Spiel dieser aufregenden Wochen steigt am 11. Juni 2016 im Stade Bollaert-Delelis von Lens. Schweiz gegen Albanien. Oder auch: Albaner gegen Albaner.

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